EIN HELDENHAFTES GESCHENK


Der Werther und Italien – eine Ausstellung in der Casa di Goethe spiegelt die Rezeptionsgeschichte eines europäischen Bestsellers südlich der Alpen

© Cluverius

Gemeinsam den Werther lesen – Aquarell von Heinrich Beck (Ausschnitt)

Rom (Casa di Goethe bis 20.9.2019) – Die Casa di Goethe in Rom, eingerichtet in den Räumen, in denen Goethe bei seinem Romaufenthalt lebte, zeigt eine Ausstellung darüber, „wie Italien den Werther las“. Unter dem Titel Poesia e destino / Poesie und Schicksal illustrieren Gemälde, Skizzen, Buchausgaben, Kultobjekte und Fotografien über 200 Jahre Kulturgeschichte. Maria Gazzetti, Leiterin der Casa di Goethe, hat die kleine aber feine Ausstellung kuratiert, die parallel zur Schau „Goethe. Verwandlung der Welt“ in der Bonner Kunsthalle (17. Mai bis 20. September) stattfindet.

Als Johann Wolfgang Goethe 1787 bei seiner italienischen Reise nach Rom kam, wo er sich mit Abstechern nach Neapel und Palermo fast zwei Jahre lang aufhielt, ging ihm bereits der Ruf eines Erfolgsautors voraus. Der Briefroman Die Leiden des jungen Werther über eine unglückliche Liebe mit tragischem Ende, 1774 in Leipzig erschienen, hatte ihn in ganz Europa und natürlich auch in Italien bekannt gemacht. Im Tagebuch seiner italienischen Reise notierte er etwas genervt: „Hier sekkieren sie mich mit den Übersetzungen meines Werthers und fragen, welches die beste sei, und ob auch alles wahr sei! Das ist nun ein Unheil, was mich bis nach Indien verfolgen würde.“

Die Tragödie wird zur Tragikkomödie

Bereits die erste Übersetzung 1782 in Mailand – über den Umweg des Französischen –  hatte einen Werther-Boom ausgelöst, der allerdings durch die Kulturtradition des Landes gebrochen wurde. Zum Beispiel in Bühnenfassungen, in denen aber der Selbstmord nicht mehr vorkam. Am Schluss der Veranstaltung, erzählt Maria Gazzetti bei einer Führung durch die Ausstellung, „tritt ein Diener auf und sagt: nein, nein, er hat sich nicht umgebracht.“ Die Tragödie wird in Italien zur Tragikkomödie, „zur Commedia dell’arte.“ Natürlich war der Selbstmord nicht erlaubt im katholischen Land. Und in Mailand ließ der Erzbischof kurzerhand die ganze Auflage der Erstübersetzung aufkaufen. Der Titel kam auf den Index. Dennoch, schreibt der römische Germanist Roberto Venuti im Katalog zur Ausstellung, schlug  „der überragende Erfolg des Werthers in Europa sich ebenso in Italien literarisch und kulturell“ nieder.

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„Verter“ im italienischen Theater – Textbuch (Mailand 1830)

Denn es folgten ab 1788 weitere Übersetzungen, diesmal direkt aus dem Deutschen, die auch Goethe selbst gefielen: „Die Sprache ist gar angenehm und ich habe noch keinen Mißverstand gefunden.“ (Brief an Charlotte von Stein). Auch die Werther-Kleidung bei Männern – gelbe Hose und Weste, himmelblauer Tuchfrack und lederne Stulpenstiefel – wurden in Italien Mode. Johann Heinrich Tischbein malte Goethe am Golf von Neapel in diesem Outfit (Aquarell von 1787).

Inspirationsquelle für die italienische Literaturwelt

Die Ausstellung in der Casa di Goethe will vor allem zeigen, wie der Werther von Anfang an eine „Inspirationsquelle“ für die italienische Literaturwelt war – von Ugo Foscolo und Giacomo Leopardi angefangen über Benedetto Croce bis heute zu Aldo Busi oder Dacia Maraini. Foscolos Letzte Briefe des Jacopo Ortis (1802) lassen sich sogar als eine Art „Remake“ des Werther lesen. Allerdings spielt bei Ortis das Politische – die italienische Nation – eine wesentliche Rolle, wohingegen der Weltschmerz von Werther eher Ausdruck des Übergangs von der höfischen Rokoko-Gesellschaft zur bürgerlichen Gesellschaft ist.

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Lotte am Grab von Werther – Kupferstich um 1800 von Giuseppe Dall’Acqua nach einem Bild von Angelika Kauffmann

Dacia Maraini spricht in einem eigens für die Ausstellung formulierten Text von dem „heldenhaften Geschenk, das Werther seinem Land macht“ – das Geschenk seines tödlich verwundeten Körpers, „damit die Treue, das Ideal, die machtvolle Wucht das Hier und Jetzt besiegt.“ Die Ausstellung endet mit Fotos der römischen Fotografin Maria Di Stefano, die mit Porträts Jugendlicher heute an einer Art „Werther-Hommage“ arbeitet.

Poesia e Destino. Wie Italien den Werther las. Casa di Goethe, Rom, bis 20.9. 2019. Tgl. außer Mo 10-18 Uhr, Eintritt 6 Euro. Katalog deutsch/italienisch 10 Euro. Info hier

Übersetzungen des Werthers ins Italienische liegen zur Zeit vor u.a. bei Feltrinelli (Ü: P.Capriolo), Mondadori (Ü: G.A. Borgese), Giunti (Ü: G. De Sanctis), Garzanti (Ü: A. Busi), Rizzoli (Ü: P. Bianconi), Newton Compton (Ü: A.G. Sabatini), Crescere Ed. (Ü: keine Angabe)

Träger der Casa di Goethe ist der Arbeitskreis selbständiger Kultur-Institute e.V. (AsKI) in Bonn, finanziert wird sie von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.