ENTSCHULDIGUNG, ICH LEBE NOCH


Italienische Diskussionen um den Schriftsteller Roberto Saviano

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Unterstützt von seinem Publikum: „Wir lassen dich nicht alleine!“ 

Mailand/Turin/Rom – Roberto Saviano fühlt sich verfolgt. Journalisten kritisieren ihn. Im Internet macht sich Neid breit. Politiker zweifeln, ob es überhaupt noch Gründe gibt, ihm Personenschutz zu gewähren. Der wurde ihm vor zehn Jahren nach Morddrohungen von der Camorra verordnet. In seinem bei Mondadori verlegten Buch „Gomorra“ hatte er nicht nur die verbrecherischen Methoden der neapolitanischen Mafia beschrieben, sondern vor allem die Namen der Bosse genannt und sich so zum Todfeind der Clans gemacht. Seit dem Herbst 2006 kann sich der heute 36jährige Schriftsteller, der mit „Gomorra“ Weltruhm erlangte (Auflage bislang über 10 Millionen Exemplare), nur unter Begleitschutz bewegen. Was ihn aber nicht daran hindert, Kontakt mit dem Publikum zu suchen, das ihn oft wie einen Popstar empfängt und bejubelt.

Im Fernsehen zuletzt etwa in der Talk-Show „Che tempo che fa“, die im dritten Programm der staatlichen Rai eine Art Kult-Status genießt, mit einem Monolog über die verschlüsselte Sprache von Mafiosi. Oder im Mailänder Piccolo Teatro, wo im April ein Text von ihm („Sanghenapule“) über das Leben des neapolitanischen Heiligen San Gennaro uraufgeführt wurde. Der Autor stand dabei auf der Bühne in der Rolle eines Erzähler, der die vom Schauspieler und Regisseur Mimmo Borrelli etwas chargenhaft inszenierten Spielszenen kommentierte. Während im und vor dem Saal die fünf Beamten seiner Leibwache die Augen offen hielten. Ein Vorgang der Routine?

copyright: Piccolo Teatro Milano

Auf der Bühne: Roberto Saviano (im Hintergrund) und Mimmo Borrelli

Es ist Roberto Saviano bewusst, dass er „zu einem Symbol“ geworden sei, wie er in einem Artikel schreibt. Ist er aber „verliebt in seine eigene Rolle, in sein selbstkonstruiertes Image“, wie es der linksliberale (aber in der PD umstrittene) Politiker Vincenzo De Luca, Präsident der Region Kampanien, beschreibt? Wenn jetzt Skepsis und Widerspruch gegen Saviano wach werden, hat er das auch damit zu tun, dass er mit Artikeln, Interviews und TV-Auftritten gerne kritische Meinungen austeilt, dabei aber schlecht Kritik einstecken kann. Ob er will oder nicht, läuft als Subtext seiner Auftritte immer mit: Hier spricht ein vom Tod Bedrohter.

Der Autor als Markenzeichen

„Bin auch ich eine Ware, ein Markenzeichen?“ fragt er sich in einem Interview mit der Mailänder Zeitschrift „Bill“, die sich mit Problemen der Werbung beschäftigt. Die Antwort lautet: „In einem gewissen Sinne ja.“ Aber er nimmt für sich in Anspruch, frei zu entscheiden, worüber er reden oder schreiben will. Zugleich ist er unter Bedrohten ein Privilegierter: In Italien müssen rund 580 Personen, um deren Leben gefürchtet wird, mit polizeilichem Begleitschutz leben. Darunter 50 Journalisten, die aber weitgehend unbemerkt vom Medienrummel unter schwierigsten Umständen ihrer Arbeit nachgehen.

Titelblatt der Zeitschrift "Bill"

Titelblatt der Zeitschrift „Bill“

Seine Art zu reden oder zu schreiben ist nicht unumstritten. „Ein Prophet des Banalen“, nennt ihn Il Foglio, das Blatt der rechten Intelligenzia des Landes. Bereits in der romanhaft erzählten Reportage „Gomorrha“ (auf Deutsch bei Hanser und bei dtv) hatte er sich Artikel anderer Autoren wortwörtlich bedient, ohne das kenntlich zu machen. Der Mondadori-Verlag wurde dafür rechtsgültig zu Schadensersatz verurteilt. Auch in seinem zweiten, bei Feltrinelli erschienen Buch „ZeroZeroZero“ über den weltweiten Kokainhandel soll es zu solchen Abschriften gekommen sein. Plagiatvorwürfe (bis hin zur peinlichen Übernahme von Wikipediatexten) wurden etwa vor ein paar Monaten nach der Übersetzung des Titels in den USA laut.

Dünnhäutige Reaktionen

Roberto Saviano verteidigte sich daraufhin in einem langen Artikel in der Tageszeitung la Repubblica, man würde mit solchen Kritiken nur vom Inhalt ablenken, über den man nicht sprechen wolle. Man greife „nicht nur mich, sondern ein literarisches Genre an, das kein Journalismus, keine Essayistik, keine Fiktion, sondern etwas Anderes ist.“ Eine Nonfiction Novel nämlich, in der würden Informationen und Fakten verarbeitet, die keinem Autorenrecht unterliegen, „weil sie eben Fakten sind.“

Zunehmend dünnhäutig reagiert er auf Widerspruch. So strengte er eine Schadensersatzforderung von umgerechnet 4,7 Millionen Euro gegenüber der Tagesschau der Rai und der Zeitung Corriere del Mezzogiorno, eine Regionalbeilage des Corriere della Sera, an. Die Sendung und die Zeitung hatten ein Interview bzw. einen Brief von Marta Herling, der Enkelin des Philosophen Benedetto Croce, veröffentlicht, in dem sie eine Aussage Savianos über ihren Großvater widerlegte und seine zweifelhafte Art, sich zu dokumentieren, beklagte. Zum Glück konnte der Streitfall durch eine gütliche Einigung beigelegt werden.

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Erfolgreich: TV Serie „Gomorra“ auf Sky Atlantic

Verfolgt fühlt sich der Autor von einer zunehmend kritischen Öffentlichkeit. Mit großem Publikumserfolg läuft im italienischen Bezahlfernsehen (Sky Atlantic) die zweite Staffel der TV-Serie „Gomorra“, in der mit einem teilweise kruden Realismus neue Episoden aus der neapolitanischen Unterwelt erzählt werden. Doch sei das bloß „mit Engagement bemäntelte Unterhaltung“ kommentierte der Triestiner Schriftsteller Mauro Covacich die Serie, für die Roberto Saviano am Drehbuch mitgearbeitet hat.

Süditalien wird bald Mexiko ähneln

Die Darstellung der kriminellen Helden und ihrer erfolgreichen Machenschaften hat nach Medienberichten unter Jugendlichen bereits Identifikationen ausgelöst. Man finge an, sich wie sie zu kleiden, zu reden, ihre Frisuren zu tragen. Solche Vorwürfe wies Saviano als „Sophismus“ zurück. Sicher, die kriminelle Szene sehe sich im Film wirklichkeitstreu repräsentiert. Aber es gehe schließlich darum, schonungslos die Realität abzubilden. Dem Corriere della Sera sagte er, dass „ohne eine radikale Änderung der Süden Italiens bald Mexiko ähneln wird.“ Und wer das nicht wahrhaben wolle, solle sich von TV-Soaps wie dem Dauerbrenner aus Neapel „Un posto al sole“ (Ein Platz an der Sonne) einlullen lassen.

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Roberto Saviano in Turin

Auf der Buchmesse in Turin kündigte er das baldige Erscheinen eines neuen Romans an. Aus dem Fanpublikum kamen Rufe: „Wir lassen dich nicht alleine.“ Dass seine Worte bei Lesern und Hörern noch Kraft entfalten könne, lässt ihn hoffen. Eine Hoffnung, die Roberto Saviano gegenüber einem Teil der Medien, den Institutionen und der politischen Klasse längst aufgegeben hat. „Ich habe“, schreibt er in la Repubblica rückblickend auf die Veröffentlichung seines Weltbestsellers, „in den zehn Jahren nach ‚Gomorra’ jede Art von Treuherzigkeit und Glauben an soziale Veränderung verloren.“

Von Roberto Saviano sind auf Deutsch erschienen im Hanser Verlag (München): Gomorrha. Reise in das Reich der Camorra (2007), Das Gegenteil von Tod (2009), Der Kampf geht weiter. Widerstand gegen Mafia und Korruption (2012) und ZeroZeroZero. Wie Kokain die Welt beherrscht (2014)

Der Beitrag wurde ähnlicher Form  in der Neuen Zürcher Zeitung vom 9. Juni 2016 veröffentlicht