FRAGEN AN UNSERE GE-WOHNHEITEN


Die 21. Internationale Triennale Mailand unter
dem (etwas schwammigen) Motto „Design after Design“

copyright Triennale/Gianluca di Loia

Auf dem Weg zur Ausstellung „Women in Italian Design“

Mailand (bis 12. September). Mailand hat wieder eine richtige Triennale. Als Gegenstück zur internationalen Kunstbiennale von Venedig wurde 1923 zunächst in Monza und zehn Jahre später in der lombardischen Metropole die Triennale eingerichtet. Sie sollte alle drei Jahre unter internationaler Beteiligung Einblicke in die innovative Gestaltung von Gebrauchsgegenständen aus Industrie und Handwerk ermöglichen. „Vom Löffel bis zur Stadt“ hatte einst der Architekt und Vordenker Gio Ponti das Programm umschrieben. Bis 1996 wurden 20 Ausgaben veranstaltet. Nach einer langen Pause hat jetzt am 2. April die 21. Internationale Triennale Mailand eröffnet. Bis zum 12. September sind an verwirrend vielen Orten der Stadt 11 Haupt- und 16 Nebenausstellungen zu sehen – einige davon sogar in Monza. Erwartet werden 300 000 Besucher.

Die Triennale – eine gemischt öffentlich privat geführte und finanzierte Stiftung – hat zur Großveranstaltung und zu einer internationalen Ausrichtung zurückgefunden. Aber nicht zu alten Gewissheiten. Es gibt anders als früher keinen Hauptkurator und keine Zentralschau mehr. Unter dem etwas schwammigen Motto „Design after Design“ streben die Verantwortlichen eine Art Bestandsaufnahme gegenwärtiger Entwicklungen in Architektur und Design an.

Die Elemente der Baukunst eines Gottfried Semper

Die Wege dahin sind höchst unterschiedlich. Der Architekt Cino Zucchi benutzt zum Beispiel bei der Ausstellung „Sempering“ Begriffe aus dem um 1850 entstandenen Traktat über „Die vier Elemente der Baukunst“ von Gottfried Semper, die er erweitert. Dabei geht es um handwerkliche Tätigkeiten vom Mauern über das Zimmern bis zum Modellieren oder Biegen. Man sieht auf Ausstellungstischen handwerklich hergestellte Objekte, die in Beziehung gesetzt werden zu Fotos oder Architekturzeichnungen an den Wänden. Die Interaktion zwischen Architektur und Design über Arbeitsvorgänge lässt sich so auf einfache Art nachvollziehen.

copyright Cluverius

Ausstellung „Neo-Prehistory“ – 100 Verben und Objekte. Hier: „imitieren – Sexpuppe“

Sehenswert sind viele Veranstaltungen dieser 21. Triennale mit einer überwältigenden Fülle von Themen. Auf einer geht es zum Beispiel um den Grenzbereich zwischen Architektur und Kunst, auf einer anderen um den Einsatz von neuen Technologien wie von Drei-D-Druckern etwa im Modehandwerk. Einen wundervollen Einblick in die Geschichte der Form ermöglicht eine von Andrea Branzi und Kenya Hara kuratierte Ausstellung über 100 Verben wie „existieren“, „lügen“ oder „regenerieren“ denen Objekte aus der Geschichte der Menschheit von der Pfeilspitze bis zum Origami-Roboter zugeordnet werden.

Philosophie und Geschlechterfragen

Innenarchitekten wie Elisabetta Terragni, Alessandro Mendini oder Fabio Novembre haben dagegen mit Installationen unter der Überschrift „Andere Philosophien des Wohnens“ Innenräume geschaffen, die Fragen an unsere Ge-Wohnheiten richten. Und sogar die Religion mischt sich ein. „Design behind Design“ heißt eine kleine Schau im Diözesanmuseum, auf der das Kreuz im Mittelpunkt steht.

Schließlich kann der Besucher die Weiblichkeit in der Welt des Designs entdecken, die bislang, von wenigen Ausnahmen abgesehen, von Männernamen geprägt war. Silvana Annicchiarico, die Leiterin des Triennale Design Museums, schreibt die Geschichte des italienischen Designs mit ausschließlich von Frauen hergestellten Möbeln und Objekten neu. Wobei nicht jedes Exponat das Geschlecht der Designerin auf den ersten Blick offenbart.

copyright Cluverius

„Woman in Italian Design“ – Raum der Penepole

Es sei sicher schwer zu sagen, das hier ist weiblich und das ist männlich, sagt die Kuratorin. Schließlich vereinigen wir, Mann oder Frau, in uns beide Elemente. Wenn man allerdings die Ausstellung als Ganzes nehme, „spürt man deutlich Weiblichkeit“. Und am Ende, glaubt sie, verließe der Besucher den Rundgang „mit einem Gefühl der Leichtigkeit, der Frische, der Freude – eben positiv gestimmt.“ Die Ausstellung „W. Women in Italian Design“ bleibt sogar bis zum 19. Februar zu sehen.

Der deutsche Beitrag

Ganz unterschiedlich erweisen sich auch die Länderbeiträge. Hier stößt der Besucher noch häufig auf Produktpräsentationen alten Stils – etwa bei Mexikanern oder Koreanern. Die Franzosen präsentieren Saint-Etienne als ihre Design-Hauptstadt. Einen ganz unspektakulären Ansatz bietet der deutsche, vom Außenministerium unterstützte Beitrag, der sich der kulturellen Bildung widmet. Kinder und Jugendliche aus den Schulen Mailands und der Umgebung sollen in Workshops zusammen mit Designern gemeinsam Objekte entwickeln (Gesamtkosten 400 000 Euro). Andrej Kupetz vom Rat für Formgebung Frankfurt hat bereits mit ähnlichen Projekten in Deutschland gute Erfahrung gemacht. Am Ende, so Kupetz, soll ein Archiv entstehen von Dingen, die die Kinder unter Anleitung von professionellen Designern entwickelt haben. Und damit eine Antwort auf die Frage geben, was das Motto „Design nach Design“ eigentlich bedeute. „Nämlich nicht mehr für jemand zu designern, sondern tatsächlich gemeinsam mit anderen Ideen zu visualisieren und umzusetzen.“

copyright Triennale/Gianluca di Loia

Palazzo dell’Arte, der Sitz der Triennale in Mailand

Bis Mitte September werden auf der Internationalen Triennale Mailand rund 300.000 Besucher erwartet. Der Ansatz einer diffus auf 19 Ausstellungsorte in der ganzen Stadt und darüber hinaus verstreuten Großveranstaltung bietet die Möglichkeit, einzelnen Fragestellungen gerechter zu werden, als das eine Hauptausstellung leisten könnte. Doch ohne ein starkes zentrales Thema stehen die vielen, teilweise spannend kuratierten Ausstellungen etwas beziehungslos nebeneinander.

XXI Esposizione Internazionale della Triennale di Milano – „21st Century. Design after Design. Palazzo dell’Arte und andere Orte, Mailand/Monza bis 12.September. Eintritt 15 Euro. Info: www.triennale.org

Die Ausstellung „W.Women in Italian Design“ (Palazzo dell’Arte, Mailand) ist bis zum 19.2.2017 zu sehen. Der Katalog kostet 49 Euro

Dazu aus dem Archiv von Cluverius: Mailand und sein Netzwerk des Designs – eine Spurensuche, sowie auf Merian.de das Interview mit Andrea Branzi

 

Siehe auch den Beitrag für den Deutschlandfunk (Kultur heute) vom 3. April 2016, die „Kunstzeitung“ (Mai 2016) sowie die Stuttgarter Zeitung vom 4. Mai