GANZ IN GOLD GEBADET


Die Scala eröffnet ihre neue Spielzeit erfolgreich mit Verdis „Giovanna d’Arco“

copyright Teatro alla Scala

Belagert von Stimmen und Stimmungen – Francesco Meli als Carlo VII. in der Scala-Inszenierung der „Giovanna d’Arco“

Mailand – Elf Minuten Applaus (was für italienische Verhältnis ganz ordentlich ist) standen am Ende eines gelungenen Premiere-Abends der Scala. Und Jubelrufe gab es für Anna Netrebko und für Riccardo Chailly.  Mit  „Giovanna d’Arco“ von Giuseppe Verdi frei nach Schillers Drama „Die Jungfrau von Orléans“ ist die Mailänder Bühne traditionell am Ambrosiustag (7.12.) in die neue Spielzeit gestartet.

Die Oper, die zu den weniger bekannten Stücken Verdis zählt, wurde 1845 an der Scala mit großem Erfolg uraufgeführt, doch stand sie danach nur noch zwei Mal – zuletzt 1865 – auf dem Spielplan der Bühne. Sie ist also mit dieser Premiere 150 Jahre später wieder nach Hause zurückgekehrt. Die musikalische Leitung hatte Riccardo Chailly, der sich auf die kritische Werkausgabe von 2008 stützen konnte, und mit dem Scala-Orchester die dramatischen Aspekte der Partitur unterstrich. In den Hauptrollen überzeugten Anna Netrebko als Giovanna und der Tenor Francesco Meli – viel Beifall auch für ihn – als König Carlo VII. . Mit Bravour ersetzte Devid Cecconi (Bariton) als Vater von Giovanna den unpässlichen Carlos Àlvarez. Überragend zeigte sich der Chor, der seit Jahren zu den Stärken der Scala gehört.

Wilde Träume leuchten auf
Etwas kühler wurde die Regie des Belgiers Moshe Leiser und des Franzosen Patrice Caurier aufgenommen, die die Geschichte der Giovanna d’Arco zwischen Glaube, Liebe und patriotischer Hingabe ganz auf ein Psychodrama konzentrierten. Man erlebte eine Giovanna der Verdi-Zeit, die sich Jeanne d’Arc wähnt und in die französische Heldengeschichte des frühen 15. Jahrhunderts hinein phantasiert. So steht folgerichtig fast immer das Bett eines Krankenzimmers auf der Bühne, während Videos wilde Träume aufleuchten lassen und böse Geister über die Bühne tanzen. Bunt, fast kitschig wirken manche Szenen. Und König Carlo erscheint bis zu den Haarspitzen ganz in Gold gebadet, so wie sich Giovanna ihn wohl erträumt.

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Die Heldin und ihr König – Anna Netrebko (Giovanna) und Francesco Meli (Carlo VII.)

Der Mailänder Riccardo Chailly (62), der zum ersten Mal als Chefdirigent der Scala eine Saisoneröffnung dirigiert – ab Januar 2017 wird er auch die musikalische Leitung der Bühne übernehmen – verteidigt diese Interpretation, obgleich es hinter den Kulissen auch Streit mit den Regisseuren gegeben haben soll. Die Vokalität und die teilweise Strenge im musikalischen Gewebe ließen, so Chailly, die Neurose dieser Giovanna verstehen, die in einer Welt voller politischer wie menschlicher Illusionen gelebt habe: „Sie ist im Grunde ein Opfer ihrer selbst.“ Und meisterlich gelinge es Verdi, diese innere Zerrissenheit verständlich zu machen. Meisterlich zeigte sich vor allem Anna Netrebko am Premierenabend, die klar differenzierend und jede Nuance auskostend in den eher leisen ersten Akten sang. Mitreißend bewies sie dann im bewegten zweiten Teil der Oper ihr ganzes Temperament.

Kein Meisterwerk, eher ein Gesellenstück
Giuseppe Verdi (1813-1901) nannte die „Giovanna d’Arco“ bei der Uraufführung 1845 sein bislang „bestes Werk“. Von heute aus gesehen steht es als Bindeglied zwischen den Jugendwerken und der nachfolgenden „trilogia popolare“ mit dem Rigoletto, dem Trovatore und der Traviata. Es ist einerseits noch dem Belcanto verpflichtet, lässt aber auch schon die Aida oder gar das Requiem anklingen. Diese Giovanna ist also kein Meisterwerk, eher ein sehenswertes Gesellenstück. Es gehörte Courage dazu, mit ihr nicht nur eine Spielzeit, sondern gleichsam eine neue Ära einzuläuten. Denn nach dem Ende der Zeit unter Stéphane Lissner als Intendant und Daniel Barenboim als Dirigent wird das Duo Alexander Pereira und Riccardo Chailly die kommenden Jahre der Scala prägen.

Das Teatro alla Scala ist die mit Abstand größte und wichtigste Musikbühne Italiens. In diesem Jahr konnte sie über 510.000 Zuschauer anziehen und damit auch ihre Einnahmen aus dem Kartenverkauf um 26 Prozent gegenüber dem Vorjahr steigern. Das hat auch etwas mit der Sonderspielzeit im Sommer zu tun, als das Haus während der Weltausstellung Expo2015 jeden Tag Programm bot. Doch zeigt eine genaue Analyse, dass die Expo-Monate mit populären Opern wie „Der Barbier von Sevilla“ oder „La Bohème“ und vielen Konzerten von den Besucherzahlen her hinter den Erwartungen zurück blieben. Es flossen rund 1 Million Euro weniger in die Kassen als kalkuliert. Besonders der Konzertbesuch enttäuschte trotz hochrangiger Gastdirigenten (Simon Rattle, Mariss Jansons oder Gustavo Dudamel).

Private Geldgeber springen ein
Das Ferienpublikum konnte das Stammpublikum also nicht ersetzen. Immerhin gelang es Scala-Intendant Pereira einen Sponsor zu finden, der das Defizit deckte. Überhaupt kann die Scala bei sinkender Finanzierung durch die öffentliche Hand (zuletzt 36 Prozent der Kosten) als einzige große Bühne Italiens genügend private Geldgeber finden, um so seit Jahren einen ausgeglichen Haushalt vorzulegen (für 2016 sind 121 Millionen Euro vorgesehen). Von den 14 vom Kulturministerium mitfinanzierten Opern Italiens kann neben der Scala nur noch Venedig (Jahresbudget rund 35 Millionen Euro) ähnlich positive Tendenzen melden. Traditionsbühnen wie Rom oder Neapel schleppen eine riesige Schuldenlast hinter sich her und werden nur mit zusätzlichen Staatsmitteln am Leben gehalten. Allein für die Saisoneröffnung konnte Pereira dagegen1,5 Millionen Euro von privater Seite einwerben. Gelder, die vor allem der Scala-Akademie zu Gute kommen, wo rund 800 Berufsanfänger in allen Sparten des Theaterbetriebs von der Bühnentechnik bis zum Gesang ausgebildet werden. Auch mit dieser Einrichtung steht das Haus in Italien alleine da.

Über Mailand scheint in diesen Jahren ein guter Geist zu wehen. Strebsam hat sich die Stadt Ziele gesetzt – von der urbanen Entwicklung über die kulturelle Bereicherung auch durch private Initiativen (Prada, Pirelli, Armani) bis hin zu Großereignissen wie die Expo2015. Vieles ist bereits gelungen, anderes, wie der Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes, wird tatkräftig angegangen. Im Lebensgefühl der Stadt hatte das Teatro der Scala schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Jetzt geht erneut ein Signal der Hoffnung von hier aus. Wer beharrlich mit Professionalität ein Ziel verfolgt, den belohnt der Erfolg. Im zur Zeit eher depressiven Italien eine wichtige Botschaft.

Eine Hommage an Paris
Die Aufführung, an der unter anderem auch der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi teilnahm, wurde von einem großen Polizeiaufgebot gesichert. Während die Straßen um das Teatro alla Scala bereits am Vormittag weiträumig abgesperrt worden waren, schmückten weiße Lilien das Foyer und den Zuschauersaal. Als Hommage an Paris und in Erinnerung an das blutige Attentat vor wenigen Wochen. Und die Premiere wurde nicht nur direkt im Fernsehen (Rai 5) übertragen, sondern war auch an öffentlichen Plätzen (etwa in der Galleria) in vielen Kinos, in kulturellen Einrichtungen und im Gefängnis San Vittore live zu verfolgen.

Giovanna d’Arco am Teatro alla Scala bis 2. Januar.

Zur Spielzeit 2015/2016 siehe hier

Veröffentlicht in kürzerer Form in der Stuttgarter Zeitung vom 16.12.2015