im Kino: Il traditore


Marco Bellocchio erzählt die Geschichte von Tommaso Buscetta, der als „Ehrenmann“ der italienischen Justiz das Innenleben der Cosa Nostra aufdeckt und so zur Verurteilung Hunderter Mafiosi beiträgt.

© Fabio Lovino

Die Todesangst begleitet Don Masino überall – Pierfrancesco Favino als Tommaso Buscetta

Mailand (Cinema Arlecchino) – Er sei kein pentito, kein „Reumütiger“, beteuert Tommaso Buscetta gegenüber Staatsanwalt Giovanni Falcone, der ihn zur Mitarbeit mit den Justizbehörden bewegt hat. Als ehemaliger Ehrenmann der Cosa Nostra glaubt Don Masino weiterhin an die traditionellen Regeln der sizilianischen Mafia, die aber von Totò Riina und den Corleonesen mit den Füßen getreten werden, nachdem sie sich in einem blutigen inneren Krieg in den 1980er Jahren an die Spitze der kriminellen Vereinigung geputscht hatten. Marco Bellocchio erzählt in seinem Film Il traditore („Der Verräter“) die Geschichte eines Verbrechers, der als Kronzeuge zur Verurteilung von 346 Mafiosi (darunter 19 mal lebenslänglich) im ersten sogenannten Maxiprozess 1987 in Palermo beiträgt.

Mit einem großartigen Pierfrancesco Favino in der Hauptrolle gelingt Bellocchio nicht nur ein Porträts dieses in der Alltagswelt der Cosa Nostra eher schillernden Mafioso, der sich über innere Regeln der Organisation hinweg setzt, wenn er zum Beispiel die Ehe bricht und sich insgesamt drei Mal verheiratet. Er entgeht vor allem der Gefahr, aus dem Verbrecher einen Helden zu machen. Was nicht verhindert, dass der mehrfache Mörder und fiese Geschäftsmann dem Zuschauer auch sympathisch werden kann.

Buscetta ist eher ein Verlierertyp, der sich immer mit den Falschen verbündet. Und wenn er sich auch selbst aus der Schusslinie nimmt und im Ausland (Brasilien/USA) illegalen Geschäften nachgeht, so rächen sich die Gegner an seinen Verwandten. Ein gutes Dutzend von ihnen werden ermordet, zwei seiner Söhne verschwinden nach der Technik der lupara bianca auf Nimmerwiedersehen. Don Masino hat eine panische Angst selbst umgebracht zu werden und noch in der Todesstunde – Tommaso Buscetta stirbt im April 2000 mit neuer Identität ausgestatten als 71jähriger in New York an Krebs – hält er noch ein Gewehr in der Hand.

Eine Szene mit Kultstatus

Bellocchio gelingt die Distanz, indem er sich streng an die Chronik der laufenden Ereignisse hält und nur wenig – etwa in den Privatszenen hinzudichtet. So zeigt sich auch, dass die Mafia-Gesellschaft mit dem Aufkommen des Rauschgifthandels von brutalen, geschäftstüchtigen aber bis auf wenige Ausnahmen zugleich kleingeistigen und eher armseligen Geschöpfen angeführt wird. Zu diesen Ausnahmen gehört etwa Salvatore („Totuccio“) Contorno, der sich ähnlich wie Buscetta der alten Mafia verbunden fühlt und im Film – dargestellt von Luigi Lo Cascio – zugleich die Verwurzelung der Cosa Nostra im sizilianischen Milieu repräsentiert. Eine lange Szene seines Auftritts als Zeuge im ersten Maxiprozess, seine „Klage“ im sizilianischen Dialekt – Italienisch untertitelt – hat bereits Kultstatus und wird im Internet vielfach angeklickt.

Marco Bellocchio, von Locarno bis Cannes, von Berlin bis Venedig vielfach ausgezeichnet, ist als fast 80jähriger noch einmal ein großer Film geglückt. Er spiegelt ein Land, dass sich gerne im Vergessen übt oder Widersprüche in Ritualen auflöst, in einer Vergangenheit wider, die längst nicht so vergangen ist, wie es sich manche wünschen.

Il traditore. Mit u.a. Pierfrancesco Favino, Maria Fernanda Candido, Fabrizio Farracque, Fausto Russo Alesi, Luigi Lo Cascio. Regie: Marco Bellocchio. Buch: Marco Bellocchio, Ludovica Rampoldi, Valeria Santella, Francesco Piccolo, Francesco La Licata. Kamera: Vladan Radovic. Schnitt: Francesca Calvelli. Musik: Nicola Piovani. Produktion: IBC Movie, Kavac Film, Match Factory Produktion, Rai Cinema, Arte. Italien, Brasilien, Frankreich, Deutschland 2019. Länge: 135 Minuten.

Hier zum Trailer.

Der Film kommt in Deutschland ab dem 11. Juli auf DVD und Blue-ray Disc heraus

Zum Hintergrund siehe auch Henning Klüver: „Der Pate letzter Akt. Eine Reise ins Land der Cosa Nostra.“ (München 2007)