in der Oper: Manon Lescaut


Die Scala bringt Giacomo Puccinis erste große Erfolgsoper in einer Urfassung heraus

© Brescia/Amisano - Teatro alla Scala

Vom Barock in die Puccini-Zeit: David Pountney inszeniert „Manon Lescaut“ vor dampfenden Lokomotiven – rechts auf einem Karren Maria José Siri als Manon

Mailand (Teatro alla Scala bis 27.4.2019) – Großer Bahnhof für Manon an der Scala: Der britische Regisseur David Pountney verlegt die Handlung der Oper von einer Taverne des 18. Jahrhunderts in einen Bahnhof zur Puccini-Zeit an die Wende zum 20. Jahrhundert. Und läst mächtige Züge über die Bühne (Leslie Travers) rollen. Was durchaus einleuchtet, wollte einem der Tradition verhafteten Teil des Mailänder Publikums nicht gefallen. Und so gab es nach der Premiere der Manon Lescaut im Saal eine Schlacht zwischen stürmischen Beifall und kräftigem Buh-Rufen. Gefeiert wurden auch bei den Wiederaufführungen dagegen unisono Riccardo Chailly und die Stimmen – allen voran Maria José Siri (Manon) und Massimo Cavalletti (Lescaut), etwas weniger Roberto Aronica (Des Grieux).

Und das obgleich Chailly von der traditionellen Aufführungspraxis abwich, und die Oper nach der von der Casa Ricordi 2013 erarbeiteten kritischen Werkausgabe in der Ur-Form der Erstausgabe (Turin 1893) dirigierte, die  Giacomo Puccini später mehrfach umgearbeitet hatte. Hör- und sichtbar vor allem am Ende des ersten Aktes, nachdem Manon und Des Grieux geflogen waren und sich Hohn und Spott über Geronte (brillant der Bass Carlo Lepore) ergießt, der sich seinerseits mit der leichtlebigen Manon verabredet hatte.

© Brescia/Amisano -Teatro alla Scala

Verwirrend: Massimo Cavaletti (links, Lescaut) und Carlo Lepore (Geronte) mit vielen „Manons“

Leichtlebig? Sicher ist Manon Lescaut in dem berühmten Roman von Abbé Prévost (1731) keine charakterstarke Persönlichkeit. In ihren von Geld und Lust geprägten Beziehungen handelt sie sogar nach dem Kanon der Zeit moralisch verwerflich, was in mehreren Theater- und Opernvisionen (u.a. durch Massenet) dem bürgerlichen Publikum des 18. und 19. Jahrhunderts auch als Komödie genüsslich vorgespielt wurde. Puccini besteht auf dem Drama. Und er lässt Manons Bruder Lescaut anders als bei Prévost von Anfang an auftreten, als einen, der die Schwächen seiner Schwester ausnutzt und sie an den Meistbietenden verschachert.

Viele Manons als Opfer der Männerwelt

Die Regie arbeitet das deutlich heraus und überspitzt die Rolle Manons als eine Art Opfer der Männerwelt. Manon ist kein Einzelfall, es tauchen auf der Bühne immer wieder mehrere „Manons“ auf. Der Abend überzeugt aber vor allem durch die Arbeit von Riccardo Chailly, der zusammen mit dem Scala-Orchester bei den Inszenierungen von Turandot (2015), La fanciulla del West (2016) und Madame Butterfly (2017/2018) einen vollen, warmen Pucciniklang gefunden hat. Absoluter Höhepunkt vielleicht das berühmte Vorspiel zum 3. Akt dieser Manon Lescaut, das Chailly in einer gefühlvollen und zugleich präzisen Dramatik erklingen lässt. Man darf sich schon auf die Tosca freuen (Chailly/Livermore – Anna Netrebko), mit der die Scala im Dezember die Spielzeit 2019/2020 eröffnet.
(Gesehen am 3. April)

Manon Lescaut. Operndrama in vier Akten von Giacomo Puccini. Libretto von Luigi Illica, Domenico Oliva, Marco Praga nach dem gleichnamigen Roman von Antoine-Françoise Prévost. Mit u.a. Maria José Siri (Manon Lescaut), Massimo Cavalletti (Lescaut), Roberto Aronica (Des Grieux), Carlo Lepore (Geronte), Marco Ciapone (Edmondo/Il Maestro di ballo/Un Lampionaio). Chor und Orchester des Teatro alla Scala, Leitung: Riccardo Chailly. Regie: David Pountney. Bühnenbild: Denni Sayers. Kostüme: Marie-Jeanne Lecca. Licht: Fabrice Kebour. Produktion Teatro alla Scala 2019

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