In Palermo


© Cluverius

Gelungene Kopie nach dem geraubten Caravaggio -Christi Geburt mit den Heiligen Laurentius und Franziskus (200 x 300 cm) über dem Altar des Oratorio di San Lorenzo

Palermo, Ende Oktober – Die Via Immacolatella schlängelt sich kaum einhundert Meter lang durch das Altstadtviertel Kalsa. Ein paar Schritte von der Basilica di San Francesco entfernt liegt das Oratorio di San Lorenzo, das barocke Gebetshaus des Franziskanerklosters von Palermo. Eine überreiche weiße Stuckverzierung schmückt die Wände mit Szenen aus den Leben der Heiligen Laurentius und Franziskus. Kleine freistehende Figuren dieser anmutigen theatralischen Szenografien wurden jedoch von Dieben herausgebrochen oder Opfer vandalischen Treibens. Noch schlimmer ging es dem Altarbild, einer Darstellung der Geburt Christi mit den beiden hier verehrten Heiligen, gemalt von Caravaggio in Palermo 1609. Vor 50 Jahren, Mitte Oktober 1989, wurde die rund 3 mal 2 Meter große Leinwand von Dieben sauber aus ihrer Holzverschalung geschnitten. Seitdem ist die „Natività“ von Caravaggio nicht wieder aufgetaucht und gehört zu den zehn meist gesuchten Kunstwerken auf der Welt.  

Schnell wurde der Raub der Cosa Nostra angelastet. Reuige Mafiosi, die mit den Untersuchungsbehörden zusammen arbeiteten, bestätigten das bereits wenige Wochen nach dem Diebstahl. Seitdem sind immer wieder neue Versionen über den Verbleib des Kunstwerkes aufgetaucht. Das Gemälde soll verbrannt worden sein, weil man es nicht verkaufen konnte. Es wurde angeblich in einem Stall gelagert und sei von Mäusen und Schweinen zerfressen worden. Es wurde angeblich bei Mafia-Versammlungen ausgestellt und schließlich als Fußabtreter benutzt. Es sei über die Camorra Neapels als Gegengeschäft in einem Waffenhandel eingesetzt aber bei einem Erdbeben zerstört worden. Viele weitere Erzählungen führten alle zur selben Schlussfolgerung: das Gemälde sei zerstört. Weitere Nachforschungen schienen zwecklos. Fragen blieben: Warum gibt es keinen Polizeibericht (mehr) über die Tat, deren Datum – zwischen dem 12. und 18. Oktober 1969 nicht einmal genau festgelegt werden kann? Und die „saubere“ Trennung des 6 Meter hoch hängenden Bildes aus seinem Rahmen lassen auf Profi-Diebe und eine gut organisierte Machenschaft schließen – und dann lässt man das Bild verkommen?

Die Badalamenti-Spur

Vor zwei Jahren hat die Antimafia-Kommission des italienischen Parlaments nach neuen Hinweisen wieder eine Untersuchung eingeleitet. Das Gemälde soll vom Boss Gaetano Badalamenti (gestorben 2004), vielleicht in mehrere Teile zerschnitten, in die Schweiz verschoben worden sein. Die Badalamenti-Spur hat gerade wieder neue Nahrung gefunden. Im September publizierte die englische Zeitung „The Guardian“ ein bislang unveröffentlichtes Video aus dem Jahr 2001, in dem Don Benedetto Rocco (gestorben 2003), zur Zeit des Diebstahls Kustode des Oratoriums, erzählt, er sei von Badalamenti kontaktiert worden. Der habe zum Beweis auch ein Stück Leinwand übermittelt. Doch haben weder die Kirche noch die Denkmalschutzbehörde seinen Hinweisen auf ein Verhandlungsangebot folgen wollen und entsprechende Hinweise unterdrückt.

Was bleibt? Die Hoffnung, dass doch noch Licht in die dunkle Angelegenheit kommt, dass das Gemälde vielleicht sogar (in der Schweiz?) wieder auftaucht? Dem Reisenden bleibt derweil nur der Blick auf eine gut gearbeitete Kopie des Caravaggio in Originalgröße, die seit 2015 über dem Altar des Oratorio di San Lorenzo hängt. Eintritt: drei Euro.

PS (1) Das Giornale dell’Arte (ottobre 2019) berichtet von der These eines Anthropologen und Kenners der Mafia aus Palermo, der behauptet, die Cosa Nostra habe den Diebstahl gar nicht begangen. Aber um ihre Reputation nicht zu verlieren, um die Fama der absoluten Kontrolle über das Territorium und über alle kriminellen Aktionen aufrecht zu erhalten, habe sie die Verantwortung für die Tat übernommen. Und in allen Varianten erzählen lassen, das Gemälde sei schließlich zerstört worden.

PS (2) Der Raub der Natività hatte Andrea Camilleri zu einer Erzählung über Caravaggio angeregt, die 2011 auf Deutsch unter dem Titel „Die Farbe der Sonne als Taschenbuch bei Rowohlt erschienen ist (Reinbek bei Hamburg, 10 Euro).