EIN NEUER PHÖNIX IN DER KUNST


Die Reise von Johann Sebastian Bach nach Rom und sein Tod daselbst Im Jahre 1778

Johann Sebastian Bach: Arkadische Landschaft (1777)

Johann Sebastian Bach : Arkadische Landschaft (1777)

„Die Seele musiziert, indem sie zeichnet.“
Goethe im Gespräch mit Johann Daniel Falk
am 14.6.1809

An dem Tag, an dem Bach Hamburg verließ, lag der Himmel flach und grauflockig über der Heide. Der Wind zerrte am Verschlag der Postkutsche, Regen war zu erwarten. So könnte man sich das vorstellen. Es war Herbst, man schrieb das Jahr 1776, warum sollte ausgerechnet an jenem Tag in Hamburg die Sonne scheinen?
Sicher wird Bach der Abschied von seinen Eltern und Geschwistern nicht leicht gefallen sein. Alle wussten um seine gesundheitliche Schwäche. Die geplante Reise über Dresden, Wien nach Rom war zudem nicht ungefährlich. Ob man sich wiedersehen würde?

Bach war am 26. September 1748 in Berlin wie sein Großvater auf den Namen Johann Sebastian getauft worden. Er war das dritte Kind von Carl Philipp Emanuel Bach. Erste Studien mit Zeichnungen unter dem Kupferstecher Andreas Krüger in Potsdam bewiesen sein Talent. Von 1770 an hielt Bach sich in Leipzig auf. Dort ging er bei Adam Friedrich Oeser in die Lehre, der ein paar Jahre zuvor Goethe unterrichtet hatte. Im Mai 1773 erkrankte er an der Lunge. Rappelte sich jedoch bald wieder auf und zog nach Dresden, um an der Kunstakademie bei Johann Christian Klengel zu studieren.

Unter viel Mittelmaß fiel das Talent schnell auf

Unter viel Mittelmaß fiel das Talent schnell auf. Oeser: „Mir ist Bach ein ganz neuer Phönix in der Kunst.“ Hagedorn, Christian Ludwig von Hagedorn, Generaldirektor der sächsischen Museen und Kunstschulen, wurde auf ihn aufmerksam. Bachs Landschaften, seine weich getupfte Sepiazeichnungen, wurden von wichtigen Sammlern gekauft. Kopien zirkelten.

Oeser schrieb an Hagedorn: „Ich habe ihn auf verschiedene Seiten der Kunst gestellt, und nach der schärfsten Untersuchung fand ich, dass ich ihn da lassen müsste, wo er die meisten Fähigkeiten zeigte.“ Bachs Pinselzeichnungen, die sich dem heutigen Betrachter nicht sofort als außerordentlich erschließen, „verkörpern geradezu die Landschaftsmalerei in der Spanne zwischen Empfindsamkeit und Klassizismus im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in Sachsen“ (– schrieb Anke Fröhlich 250 Jahre später).

Der Lehrer Oeser wurde Bach zu einem Vater

Der Lehrer Oeser wurde Bach zu einem Vater – und des Lehrers Tochter, die „Mademoiselle Friederike“, das „Fritzchen“, zur Schwester. So schrieb er unter „Dresden, d. 11ten Juli 1774“ an sie: „Nun, den lieben Papa machen Sie mein Compliment nebst vielen Danksagungen, erinnern ihn nach Dresden zu kommen. Und behalten einen ansehnlichen Rest von diesen Reverenzen für Sich von Ihrem ergebensten Freund und Diener J.S. Bach.“

Wie seine Freunde Füger, der Miniaturmaler Friedrich Heinrich Füger, und Mechau, der Illustrationszeichner Jacob Wilhelm Mechau, spürte Bach jedoch bald die Enge Sachsens. Als Füger 76 nach Rom ging, hielt es Bach trotz gesundheitlicher Rückschläge, dem quälenden Ziehen in der Brust, nicht länger in deutschen Landen. Den Sommer verbrachte er noch bei der Familie, die inzwischen nach Hamburg gezogen war. Der Vater lebte hochgeehrt als Generalmusikdirektor in der größten deutschen Hafenstadt. Dann sollte es, versehen mit verschiedenen Empfehlungsschreiben, nach Rom gehen.

Es ging langsam, in der Kutsche

Es ging langsam, in der Kutsche zunächst von Hamburg nach Braunschweig. Das dauerte fast zwei Tage. Hier erwartete ihn ein Brief von Lessing aus Wolfenbüttel, ein Freund des Vaters aus früheren Hamburger Tagen. Und dann rollte die Kutsche weiter über Magdeburg, Leipzig nach Dresden.

copyright Bach-Archiv, Leipzig

J.S. Bach – Kupferstich nach einer Zeichnung von Adam Friedrich Oeser

Wir können uns vorstellen, wie er allein im Verschlag saß, noch verwirrt vom Abschied, von der Geste des Vaters, der ihn gesegnet hatte. Ablenkung bot Lektüre. In der Reisetasche lag sicher der Gessner. „Nicht den blutbesprizten kühnen Helden, nicht das öde Schlachtfeld singt die frohe Muse; sanft und schüchtern flieht sie das Gewühl, die leichte Flöt‘ in ihrer Hand.“ Und wenn es nicht die „Idyllen“ waren, dieses für Bach so reiche wie geheimnisvolle Prosagedicht des Solomon Gessner, so waren es doch die mit kurzen Texten versehenen Buchausgaben der Zeichnungen. Wir wissen wie Bach, von klein auf kurzsichtig, las. Das rechte Auge fast geschlossen hielt er das Buch mit der Hand nahe an das linke Auge.

Vielleicht konnte er sich aber nicht auf den Gessner konzentrieren. Plagten ihn erneut Schmerzen. Quälte ihn die Vorstellung, ein vom sächsischen Hof in Aussicht gefasstes Stipendium für die Heilige Stadt nicht zu bekommen. Sicher freute er sich auf das Wiedersehen mit Fritzchen. Müde lehnte er den Kopf ans Polster und versuchte trotz dem Schlag der Achsen ein wenig zu schlafen. Die nächste Relaisstation war noch weit.

Ein ganz anderer Bach traf Wochen später

Ein ganz anderer Bach traf Wochen später in Wien ein. Zu Weihnachten ließ ein Wärmeeinbruch den Schnee in den Straßen der Josephsstadt schmelzen. Graue Wolken lagen fest am Himmel, ein feiner Regen wusch die Festtagsstimmung von den Gesichtern der Passanten. Bach schien das alles nicht wahrzunehmen. Er freute sich auf Rom und lief durch die Gassen, als wenn es Frühling wäre.

Unterwegs im 18. Jahrhundert

Unterwegs im 18. Jahrhundert

Dresden hatte ihm neue Courage gegeben, auch wenn die Umstände am Hof, die er nicht zu durchschauen vermochte, Hoffnungen auf das Stipendium zunächst zerschlagen hatten. Oeser hatte durchblicken lassen, dass spätestens in ein paar Monaten mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Und ihm ein Empfehlungsschreiben an Kardinal Albani mitgegeben. Besonders Fritzchen – jetzt schon ganz Frau ließ sie Bach recht verlegen erscheinen – hatte dem jungen Maler endgültig Mut gemacht. Nur als man sich Adieu sagen musste, hatte es ihm schier das Herz zerreißen wollen.

War es so? Sicher sind wir erst wieder, als wir einen Brief in den Händen halten.

Rom, den 2ten Merz 1777

„Rom, den 2ten Merz 1777. Hochgeehrtester Herr Profeßor! Erlauben Sie mir also Ihnen etwas von meiner Reise zu erzählen. Ich kam von Wien, Trieste, von da zu Waßer, und zwar zur Zeit des Carnavals nach Venedig, es verlohnt sich aber wohl nicht der Mühe, daß ihn ein Fremder besucht!“ Überhaupt ist Bach von Venedig, wie er Oeser schrieb, enttäuscht. Er hatte sich vor allem in Sachen Kunst (und Musik) mehr erwartet: „Viele Gemählde, die noch vor gut ausgegeben werden, sind auch ihrem Untergang nahe, indeßen ist noch immer die Anzahl der wohl erhaltenen Gemählde so groß, daß man in Versuchung fallen kann Courier vorbeyzureiten.“ Ein Tintoretto hat mehr verwundert als gefallen.

Von Bologna aus wollte er nach Florenz reisen, doch Schnee und Eis versperrten den Weg über den Apennin. So entschloss er sich mit dem Vetturino über Ancona und Loreto zu fahren „und mich Florenz bis zur Rückreise zu verspahren.“ In Terni nahm man sich Pferde, um den Wasserfall delle Marmore zu besehen. „Kurz vor Terni war keine Spur des Winters zu sehen, die Bäume bestanden in Arten, die steets grün bleiben, und die Oliven wurden abgenommen, wie sehr mich dieses wunderte, kann ich Sie nicht beschreiben, denn wir hatten noch zu Rimini sehr hohen Schnee gehabt!“

Dann, „wiederum zum Carnavalle“, war er endlich in Rom angekommen. „Es ist zum Verwundern wie ein ganzer Ort so lange den Narren spielen kann!“ Hier endet der Brief, „izt bitte Sie, mich Ihrem ganzen geehrtesten Hause zu empfehlen…“ Am Schluss gibt er noch seine Adresse bei einer Madame Gerardini im Haus des Schneiders „Mr. le Cler“ am Spanischen Platz an.

Nun entwickelten sich die Dinge

Nun entwickelten sich die Dinge nicht allzu nach seinen Wünschen, auch wenn Bach sich in Rom durch sein gefälliges Betragen und durch seine geistreichen Arbeiten den Beifall der größten Kenner erwarb. Aus Dresden bleiben Nachrichten wegen des Stipendiums aus. Mechau, der ebenfalls nach Rom gekommen war, half aus, so gut es eben ging. Bach meinte, dass man sich in Hamburg wegen der vielen Operationen schon genug Sorgen mache, die Ärzte hier für Quacksalber hielte und er jetzt den Eltern nicht noch von Geld reden wolle. Er könne, wie andere auch, Tivolizeichnungen an Reisende verkaufen, schließlich wisse er den Stift zu führen. Mechau lachte, schalt ihn später wegen der geringen Preise, die er für seine Arbeiten nahm, dabei sei er doch der beste von allen, ein Bach der Malerei.

Unterstützt wurde er auch

Unterstützt wurde er auch von dem Maler Johann Friedrich Reiffenstein, der der väterlichen Familie nahestand und früher ein Porträt von Carl Philipp Emanuel gemalt hatte. Über Reiffenstein, der schon lange in Rom lebte, wurde der Hamburger Bach von dem sorgenvollen Zustand seines Sohnes informiert. In einem Brief vom Juni 1777 schreibt Carl Philipp Emanuel: „Mein armer Sohn in Rom liegt seit 5 Monaten an einer höchst schmerzhaften Krankheit danieder, u. ist noch nicht aus aller Gefahr. O Gott, was leidet mein Herz! Vor 3 Monaten habe ich ihm 50 Ducaten geschickt, u. in 14 Tagen muß ich wieder 200 rh. für Doctors und Wundärzte auszahlen.“ Ein paar Wochen später jedoch staunen alle über einen wundergleichen Prozess der Heilung: „Mein armer Hans hat würcklich alles ausgestanden. Gottlob! jetzt ist er in der Beßrung.“ Doch es kam immer wieder zu Rückschlägen.

Im folgenden Jahr

Im folgenden Jahr, Winckelmann war jetzt bereits seit einem Dezennium begraben, finden wir Bach fleißig bei den Studien. Etwa in der Campagna, um Skizzen für seine Landschaften anzulegen. Von den Salons hielt er sich wenn möglich fern. Ebenso hindert ihn sein Krankenlager oft, an den Geselligkeiten der deutschen Künstlerkolonie teilzunehmen.

copyright Klassik Stiftung Weimar

Jakob Philipp Hackert: Römische Campagna und die Cestius-Pyramide (1781)

Über sein Verhältnis zu den Römern vermögen wir nur zu spekulieren. Sie zogen ihn durch ihre offenherzige Lebensart an, die mal spöttisch fein und dann wieder laut und grob war. Ihre Religion musste ihm jedoch so aufgesetzt und verschlungen wie die jüngeren Bauten in dieser Stadt vorgekommen sein, die auf ihn eher einen zwiespältigen Eindruck machte. Rom als eine Kulissenstadt, die gleichzeitig ein faszinierendes Archiv der Antike und verlassene Baustelle war. Der Obelisk oben an der Spanischen Treppe lag im Sand. Und er hörte, ein kleinlicher Streit zwischen dem Vatikan und Versailles verhinderte bereits seit Jahren die Aufrichtung. Seine Malereien und Zeichnungen, voran die idyllischen Landschaften, sind gleichsam träumerisch verwandelte Bearbeitungen vielfältiger Eindrücke.

Mechau lobte wieder und wieder Bachs Landschaften, die in der reizendsten und zugleich kräftigsten Manier gezeichnet seien. Voll jener edlen, fast unerreichbaren Simplizität, die er sich durch das Studium der Gessnerischen Schriften und Zeichnungen zu eigen gemacht habe. Arbeiten, die er nach Dresden schickte, an Freunde, aber ebenso an den Vater nach Hamburg.

Im zweiten Sommer zog es Bach auch zum Begräbnisplatz der Protestanten an der Pyramide des Cestius. Er zeichnete ihn vermutlich häufiger, so als wollte er den stillen Ort beschwören. Wir wissen von einem Blatt, das er dem Dresdner Freund Karl Wilhelm Daßdorf schenkte, der sich später dessen rühmte. Leider ist es verschollen.

Er liebte die Feste der Römer nicht

Er liebte die Feste der Römer nicht, wie sie vor allem von der Umgebung des Pontifex gefördert wurden. Dessen schöne Erscheinung hatte ihn zunächst beeindruckt. Doch bald spottete er mit anderen über die Eitelkeit des Braschi-Papstes, der seinem Haar mit viel Pomade Glanz verlieh, damit all die schönen Fresken seiner Vorgänger Alexander, Julius und Leo sich darin spiegeln konnten – fehlte ihm doch für eigene der Kunstverstand und das Geld.

Dann müssen wir wieder die Phantasie um Hilfe bitten. Am Abend des 10. September dieses Jahres 1778 blieb die Tramontana aus. Der frische Wind von den Bergen hatte Bach zuvor in den Nachmittagsstunden ein bisschen Linderung verschafft. Im Greco verabschiedete er sich von Mechau, der mit anderen einen Nachtausflug nach Tivoli unternehmen wollte. Man verabredete sich für den übernächsten Tag in der Barcaccia zum Essen.

Blass sah er aus

Blass sah er aus, als er im Café degli Inglesi nach Post fragte. Mit leeren Händen stieg er mühsam die Stufen zu seinem Zimmer hoch. Verstand nicht, was ihm die Signora Gerardini nachrief. Der Brief, der die Bestätigung eines königlichen Stipendiums enthielt, das ihm auf Hagedorns Betreiben schließlich gewährt wurde, erreichte ihn nicht mehr. Das scheint sicher.

Nach einer fiebrigen, halb durchwachten halb von schweren Träumen geplagten Nacht fiel er am Morgen des 11. September in schweren Schlaf. Wenige Tage später wäre er dreißig Jahre alt geworden.

copyright Stiftung Weimarer Klassik

Bartolomeo Pinelli: nächtliche Bestattung an der Cestiuspyramide (1831)

Bach wurde bestattet, wie es für Nichtkatholiken in der Heiligen Stadt üblich war, des nachts unter Polizeiaufsicht. Das christliche Glaubenszeichen wurde hier bei der Cestius Pyramide nicht geduldet. Protestanten galten als Ketzer. Mechau, der mit ein paar Bekannten aus der deutschen Kolonie Bachs letztem Weg die Ehre gab, wird im Schein der Fackeln ein paar Worte gesprochen haben. Der väterliche Freund Reiffenstein vielleicht ebenso. Begraben wurde Johann Sebastian Bach unter einem flachen Grabstein ohne Inschrift. Freunde planten, ihn mit einer kleinen Marmorstatue zu schmücken. Doch das Vorhaben zerschlug sich. Eine spätere Suche nach seinem Grab sollte ergebnislos bleiben.

Am kommenden Tag

Am kommenden Tag kam man noch einmal zusammen. Und sagte über den jungen Bach, dass er unstreitig in seiner Kunst ein ebenso geschätzter und bewunderter Virtuose geworden wäre wie sein grandioser Vater und der Großvater in der ihren. Die eintretende Stille versuchten andere mit Klatsch zu füllen. Über den alten Mengs im Barberini Palast und die Zukunft der Lucas Akademie. Trauer und Melancholie vermischten sich zu einer drückenden Last, und als man bereits früh am Abend auseinanderging, lag ein schwüler Himmel tief über Rom.

So hätte es sein können. Jedenfalls erschien am 9. Oktober im „Hamburger Relations-Courier“ die Mitteilung: „Zu Rom ist der Herr Johann Sebastian Bach, ein Sohn des hiesigen Kapellmeisters, in einem Alter von noch nicht 30 Jahren, verstorben. Er hatte sich der Mahlerkunst gewidmet, und sich in derselben schon eine grosse Vollkommenheit erworben.“

 

 

Weiter zum Quellenverzeichnis und zum Glossar der Namen

Die Casa di Goethe zeigt bis zum 13. November eine Ausstellung über den Protestantischen Friedhof in Rom, auf dem auch der Maler Johann Sebastian Bach begraben wurde.

Siehe auch auf Cluverius.com „Romeo liegt in Rom begraben“