PFLASTER FÜR PIERO DELLA FRANCESCA


Ein Welle extrem trockener Kaltluft hat in der Mailänder Pinakothek Brera den Erhalt von Gemälden auf Holzgrund gefährdet. Daraus hat sich eine Diskussion über die Rolle des Museums von heute entwickelt

Japanpapier damit die Farbe nicht abblättert - die Pala Montefeltro von Piero della Francesca (um 1474)

Japanpapier damit die Farbe nicht abblättert – die Pala Montefeltro von Piero della Francesca (um 1474)

Mailand  – Unter winterlichen Witterungsbedingungen leiden nicht nur Menschen, sondern auch Kunstwerke. In der Mailänder Pinakothek Brera klagten Besucher seit dem Silvestertag über allzu kühle Säle. Als dann in der Nacht vom 7. Januar die lombardische Metropole von einer untypisch extrem trockenen Kältewelle überrollt wurde, bekamen das auch Dutzende von Gemälden besonders auf Holzgrund zu spüren. An kritischen Stellen drohte sich der Farbauftrag zu lösen. Offensichtlich, so eine erste Erklärung, habe die Klimaanlage versagt, die die Luftfeuchtigkeit konstant halten sollte.

Am Montag den 9. Januar wurden Besucher auf der Videotafel am Eingang hingewiesen, dass bestimmte Stellen von einigen Gemälden mit Streifen von dünnem Japanpapier gleichsam wie mit Pflaster geschützt würden. Und das waren nicht wenige: über 40 Kunstwerke trugen so markante Zeichen von Unwohlsein, darunter so berühmte wie die Jungfrau mit Kind, Heiligen und Stifter von Piero delle Francesca, die sogenannte „Pala Montefeltro“ . Zwei Arbeiten – Bramantes „Christus an der Säule“ und eine Predella von Lazzaro Bastiani – wanderten gleich ganz in die Restaurierungswerkstatt des Museums.

Ist die Museumsleitung schuld?

Es dauerte ein paar Tage, bis auch die Öffentlichkeit Aufmerksam wurde. Und sofort heftige Debatten auslöste. Werden die Gemälde der Brera nicht ausreichend geschützt? Warum gibt es nicht genügend Luftbefeuchter? Ist die Museumsleitung mehr an einem flotten Image der Pinakothek als an der Pflege des Bestandes interessiert? Immerhin wurden jetzt auch einige Säle für Modeschauen freigegeben.

Während das Kulturministerium, dem die Brera unterstellt ist, eine Untersuchung eingeleitet hat, und zentrale Amt für Restaurierungen („Opificio delle Pietre Dure“) aus Florenz Experten nach Mailand entsandt hat, prüfen sogar die Carabinieri, ob in der Frage Luftfeuchtigkeit ein Schuldverhalten der Museumsleitung vorliege. Und in einigen Medien wie zum Beispiel in der Tageszeitung „la Repubblica“ wurde sogar der Rücktritt des Direktors James Bradburne gefordert. Obgleich, wie es bislang scheint, kein Kunstwerk ernsthaft geschädigt wurde.

James M. Bradburne, Direktor der Brera seit Juli 2015

James M. Bradburne, Direktor der Brera seit Juli 2015

Bradburne wird vorgeworfen, dass er einerseits nicht zügig genug das Ministerium informiert habe – was der Direktor abstreitet. Und anderseits das Museum durch neue Gestaltung der Säle, alternative Farbgebungen, veränderte Hängung und kleine, umstrittene Ausstellungen zuletzt zu Caravaggio zu einer Event-Einrichtung umstrukturiere. James Bradburne, der zuvor den Palazzo Strozzi in Florenz geleitet hatte, war im Zuge einer Neubesetzung von mehreren Direktorenstellen von staatlichen Kultureinrichtungen Italiens im Juli 2015 an die Brera berufen wurde. Der 61jährige Kanadier, der 1999 bis 2003 auch dem Frankfurter Museum für angewandte Kunst vorstand, ist Architekt und Museumswissenschaftler – kein Kunsthistoriker, wie ihm ebenfalls zur Last gelegt wird.

Zwischen den Fronten

In Italien streiten seit Jahren schon eine eher fundamentalistische Strömung von Historikern, die sich für den absoluten Vorrang eines wissenschaftlichen Umgangs mit Kunstwerken aussprechen und im Museum vornehmlich ein Ort des Studiums sehen, mit einer Gruppe von Kulturmanagern, die unter dem Schlagwort „Verwertbarkeit“, Museen und Ausgrabungsstätten auch privatwirtschaftlichen Initiativen und neuen Finanzierungen öffnen möchten. Wer wie Bradburne einen Mittelweg sucht, Studium mit Diskussion verbindet und durch lange Öffnungszeitungen und eine differenzierte Preispolitik neue, vor allem junge Zuschauergruppen ansprechen möchte, kommt da schnell zwischen die Fronten. Ob ihm Fehlverhalten bei der Kontrolle der Belüftungstechnik angekreidet werden kann, wird die Untersuchung des Ministerium zeigen.

Info: Pinacoteca di Brera

Siehe auch auf Cluverius: „Viel Lärm um Caravaggio“