ROMEO LIEGT IN ROM BEGRABEN


Dem protestantischen Friedhof an der Cestius Pyramide geht es nicht gut. Eine Stiftung soll jetzt helfen

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Der protestantische Friedhof mit dem Grab von Goethes Sohn. Eine Arbeit von Rudolf Müller (um 1855)

Rom (August 2007) – Über dem protestantischen Friedhof in Rom an der Stadtmauer bei der Porta Ostiense liegt ein geheimnisvoller Zauber. Unter den Kronen mächtiger Pinien und im Schatten feierlicher Zypressen bleibt es immer ein paar Grad kühler als in der vor Hitze flirrenden Ewigen Stadt. „Kamelien leuchten hier in schwermütiger Pracht unter Lorbeer und Geißblatt, die Myrten stehen in Blüte, und liebliche Rosen winden Girlanden um die Stämme der Zypressen.“ So jedenfalls erlebte vor mehr als hundert Jahren der schwedische Arzt Axel Munthe gleich hinter der Cestius Pyramide den „Garten, zu dem der Wanderer seine Schritte lenkt.“

Und es gibt wirklich botanische Führungen durch das Friedhofsgelände, wie die Direktorin Minny Augeri erzählt. Aber nicht im August, wenn nur noch der Oleander und letzte Hortensien blühen, und die Katzen majestätisch auf den Grabsteinen ruhend den Nachmittag verstreichen lassen. Wenn dazu einige Bereiche mit dreieckigen gelben Warnschilder (pericolo!) als Gefahrenzone gekennzeichnet sind, ist an Führungen oder öffentliche Kulturveranstaltungen wie zum Beispiel Lyriklesungen schon gar nicht zu denken.

Über das Leben philosophieren

Denn gerade sind einige schwere Äste der Pinien im ältesten Teil der Anlage direkt neben der antiken Pyramide abgebrochen, wo unter anderem die Gräber der englischen Dichter John Keats und Percy Shelley liegen. Diesmal musste die Direktorin nicht gleich den ganzen Friedhof schließen lassen, wie noch bei ähnlichen Astbrüchen im Juni. Schüler einer Abitursklasse aus Hof, die an diesem Nachmittag zu Besuch gekommen sind, drängen sich an dem mit rot-weißen Plastikbändern gesperrten Bereich vorbei. Eine Lehrerin zeigt sich ganz begeistert: „Hier kann man die Ruhe genießen und ein bisschen über das Leben philosophieren.“ Eine Oase der Ruhe sei es, stimmt ihr ein Kollege zu.

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Bartolomeo Pinelli: nächtliche Bestattung an der Cestiuspyramide (1831)

Doch dem Cimitero Acattolico, wie der Friedhof offiziell heißt, weil hier seit den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts die „nichtkatholischen“ Bewohner Roms begraben liegen, geht es nicht gut. Bereits vor zwei Jahren wurde er von dem internationalen World Monuments Fund in die Liste der 100 meistgefährdeten Kulturgüter auf der Welt aufgenommen.

Historische Gräber von Ausländern

Drei Gärtner und eine Hilfskraft haben alle Hände voll zu tun, die rund 2600 Grabanlagen zu pflegen. Meist sind das historische Gräber von Ausländern, oft von deutschen Künstlern und Autoren wie Wilhelm Waiblinger, Gottfried Semper oder Hans von Marée. Ebenso von den Schweizer Malern Arnold, Hermann und Salomon Corrodi oder des italoamerikanischen Beatnik-Poeten Gregory Corso. In Ausnahmefällen wurden hier auch italienischen Nichtgläubige wie der marxistische Theoretiker Antonio Gramsci zur Ruhe gebettet, an dessen Grab Pier Paolo Pasolini eines seiner schönsten Gedichte („Gramscis Asche“) geschrieben hat. Wer heute als ausländischer Nichtkatholik in Rom stirbt, für den hält der romantische Friedhof neben dem antiken Scherbenhügel des Monte Testaccio immerhin noch ein Urnengrab bereit. Ein Eintrittsgeld für die rund 300 täglichen Besucher wird nicht erhoben, allerdings bittet man um eine Spende von zwei Euro pro Kopf. Eine Verein der „Friends of the Non-Catholic Cementery“ versucht weitere Spenden einzutreiben.

Der Friedhof schreibt rote Zahlen

Die Einnahmen aus Pflegegebühren, Grabmiete und Spenden reichen jedoch hinten und vorne nicht. Der Friedhof schreibt rote Zahlen. Allein der Erhalt der 50 Pinien kostet 10.000 Euro im Jahr. Dazu kommen 350 anderen Bäume, die regelmäßig beschnitten werden müssen, und dann die Hecken, Sträucher und Blumen dieses „Gartens“, wie Axel Munthe ihn genannt hatte, die gepflegt werden wollen. Zudem muss die gesamten Anlage mit ihren Wegen, Passagen und Treppen den europäischen Sicherheitsnormen angepasst werden, damit sie weiterhin für Besucher öffentlich zugänglich bleiben kann. Der Kunsthistoriker Julian Kliemann von der Bibliotheca Hertziana, der zum Beirat des Cimitero Acattolico gehört, möchte jetzt einen Masterplan erstellen lassen, durch den diese Arbeiten koordiniert werden können.

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Die Cestiuspyramide an der Porta Ostiense vom alten Friedhof aus gesehen

Der Friedhof selbst wird von einer etwas verschachtelt wirkenden juristischen Konstruktion getragen. Der Boden gehört der Stadt Rom, die ihn dem Betreiber kostenfrei überlässt. Der Betreiber setzt sich aus einer Vereinigung von 14 ausländischen Botschaften zusammen. Wobei ein Botschafter im Turnus den Vorsitz führt. Die Botschaften tragen die Verwaltung, beteiligen sich aber nicht an den Kosten. Warum nicht? „Weil das einfach nicht vorgesehen ist, das sich eine Botschaft an den Kosten eines Friedhofes im Ausland beteiligt“, sagt Julian Kliemann, der den Besucher durch den Friedhof führt. Er sucht das vielleicht berühmteste Grab: das des Sohnes von Goethe.

Das Grab von Goethe Filius

Dann endlich zwischen ordentlich gepflegten Anlagen und einem Teil, wo wild der Farn ins Kraut schießt – „Sie sehen, wir kommen einfach mit den Arbeiten nicht nach“ – findet der Kunsthistoriker die etwa einen Meter hohe, oben abgerundete Grabstele mit dem Worten „Goethe Filius“ und einem Porträtmedaillon von Thorvaldsen. Das der Sohn August hieß wird nicht erwähnt, noch im Tod war der Vater bedeutender.

Der Friedhof, so Julian Kliemann, sei nicht nur ein Spektrum der römischen Geschichte, sondern auch ein Spiegel der Beziehungen zwischen Deutschland und Italien. Goethe selbst hat sich ein Grab hier gewünscht und es sogar gezeichnet, wurde dann aber in Weimar begraben. Das immerhin hatte ihm der Sohn voraus.Während diese schlichte Grabstele sicher steht, müssen andere, teilweise aufwändigere Grabanlagen dringend restauriert werden. Da können Kosten zwischen 5000 und 25.000 Euro pro Grab entstehen.

Julian Kliemann und seine Kollegen vom Beirat denken deshalb daran, Spendenaktionen in ihren jeweiligen Ländern zu initiieren. Patenschaften für einzelne Bäume zu finden, wäre ein erster Schritt. Doch Kliemann möchte noch weiter gehen. Er denkt an die Einrichtung einer Stiftung zunächst Deutschland, damit mögliche Spenden auch steuerlich absetzbar sind. „Sonst gibt ja keiner etwas.“ In der Schweiz könnte man etwas Ähnliches einrichten.

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Erinnerung an einen Kater

200 Katzen leben rund um die Pyramide

Auf dem Weg zum Ausgang, vorbei an den geheimnisvoll gepflegt wirkenden Katzen, die mit stoischer Ruhe die Anlage besetzt halten, kann man die Abiturienten aus Hof auf Steinbänken sitzen sehen. Die Jugendlichen erfrischen sich aus großen Mineralwasserflaschen. Sie haben ein ganz kleines Grab am Ende der großen Allee längs der Außenmauer übersehen. Hier liegt im letzten Winkel des Friedhofs Romeo. Romeo, mit einer verkrüppelten Pfote, war das „Emblem des Friedhofs“, ein „Wächter der Toten“ wie die Katzenmutter Matilde Talli erzählt. Sie kümmert sich mit Erlaubnis der Behörden um die rund 200 Tiere, die hier rund um die Pyramide leben, füttert und pflegt sie. Und hat ihnen eine eigene Internetseite gewidmet. Denn auch die Katzen in dieser Oase der Ruhe müssen mit der Zeit gehen.

Info Friedhof: http://www.cemeteryrome.it 
– und Katzen an der Pyramide: www.igattidellapiramide.it

Hinweis: Die Casa di Goethe zeigt bis zum 13. November 2016 eine Ausstellung über den Protestantischen Friedhof in Rom, auf dem auch der Maler Johann Sebastian Bach begraben wurde.