„SIE WOLLTEN ALSO RACHE“


Spannend und mit philosophischem Tiefgang: der Roman
„Tod eines glücklichen Menschen“ von Giorgio Fontana

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„Auge um Auge, Zahn um Zahn, aber wo ist denn all die Hoffnung?“ – Graffito in Mailand

Mailand – Italien im Jahr 1981. Auf den Terror von rechts antwortet der Terror von links. Staatsanwalt Giacomo Colnaghi gelingt es, den Anführer einer Splittergruppe der Roten Brigaden festzusetzen, die für den Mord an einem christdemokratischen Politiker verantwortlich ist. Recht und Gerechtigkeit sind für den gläubigen Katholiken Colnaghi keine leere Floskeln. Zugleich versucht er zu verstehen, woher der Hass der meist bürgerlichen Täter kommt, der wieder Hass bei den Opfern erzeugt – „am Ende ist da nur noch der Tod.“ Ein Tod, der sich überall zeigt, auch im Wohnviertel des Staatsanwalts, wo kurz zuvor zwei sozial engagierte und politisch aktive Jugendliche von einem neofaschistischen Schlägertrupp ermordet worden waren. Das sind keine guten Jahre in Italien.

Es ist brütend Heiß in diesem Sommer in Mailand, eine bleierne Schwüle drückt die Stadt. Colnaghi weiß, dass sich der Hass auch gegen ihn richtet. Und er spürt, dass er selbst vom Jäger zum Gejagten, zum Opfer werden könnte. In stillen Momenten im Justizpalast, auf Spaziergängen in seinem Viertel, bei Gesprächen mit Bekannten wie Unbekannten, im Zusammensein mit seiner Familie, die außerhalb wohnt, spürt er seinem Leben nach. Hilflos fragt er sich, warum er einen Terroristen festnehmen, aber nicht seinem Sohn helfen kann, der von Mitschülern gemobbt wird. Erinnerungen steigen auf. Aus eigener Jugendzeit in Saronno, einer kleinen Stadt im Weichbild Mailands, wo sein Vater sich während der Monate der deutschen Besatzung Norditaliens im antifaschistischen Widerstand wenig heldenhaft engagiert hatte und dennoch als Held starb.

copyright: Hanser / Ordine della Giarrettiera

Giorgio Fontana, geboren 1981 in Saronno

Ausgezeichnet mit dem Premio Campiello
Das Buch „Tod eines glücklichen Menschen“, das in Italien mit dem Premio Campiello, dem wohl wichtigsten Literaturpreis des Landes, ausgezeichnet wurde, ist der zweite Roman von Giorgio Fontana. Bereits sein erster mit dem Titel „Im Namen der Gerechtigkeit“ (auf deutsch bei Nagel & Kimche 2013) reflektierte am Beispiel eines Staatsanwaltes – der auch kurz im neuen Buch wieder auftaucht – die Rolle der Justiz, ihre Mechanismen und ihre philosophischen Grundlegung. Ein Thema, das dem 1981 in Saronno geborenen Autor am Herzen liegt. Heute lebt und arbeitet er in Mailand.

Staat und Justiz gehören zusammen, sind aber nicht identisch. Colnaghi formuliert seine Credo, wenn er sagt, er diene nicht dem Staat, sondern „der Gerechtigkeit“. Giorgio Fontana gelingt es meisterlich die Differenzierungen, die sich aus dieser Haltung ergeben, offen zu legen. Die Zweifel, die Colnaghi überwältigen, aber auch die Gewissheiten, die ihm Kraft geben. Und so ganz nebenbei öffnet dieser Roman den Blick auf ein unbekanntes Kapitel der Resistenza aus dem Hinterland der lombardischen Metropole. Denn mögen die persönlichen Geschichten, die der Autor erzählt, romanhaft bleiben, so sind die Fakten und die Hintergründe doch in der Geschichte verankert. Das gilt für die Zeit des Widerstands wie für die bleierne Zeit des Terrors in Mailand und in Italien in den 1970er- und frühen1980er-Jahren.

Karin Krieger hat diesen Roman, wie bereits auch den vorangehenden, einfühlsam übersetzt. Es gelingt ihr, die sommerlich schwüle Stimmung der Stadt bis in sprachliche Details hinein lebendig zu halten. Und so endet diese fast wie ein Rondo angelegte Geschichte um persönliche Schicksale, politische Hintergründe und moralische Überzeugungen, wie sie eben enden muss.

Giorgio Fontana: Tod eines glücklichen Menschen. Roman. Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Nagel & Kimche im Hanser Verlag, Zürich/München 2015. 256 Seiten, 19,90 Euro (E-Book 15,99 Euro) 

Siehe auch die Rezension von „Im Namen der Gerechtigkeit“Fontana_TodGluecklich_P07DEF.indd