SIMPLICISSIMUS IM BIOGEWAND


Claudia Klingenschmid entwirft in „Parasit ToGo“ einen kleinen, bitterbösen Schelmenroman der Gegenwart

© Clueverius

„Jeder hat eine schwache Stelle, eine Sehnsucht, einen Hang zur Unmäßigkeit, zum Stolz oder zum Geiz.“ ToGo nützt wunde Punkte für sich. – Graffito in Mailand

Mailand – Das ist die Geschichte eines Parasiten, eines Toxoplasma gondii. Mit diesem Urtierchen, so kann man im Lexikon lesen, seien mindestens 50 Prozent der Weltbevölkerung in Kontakt gekommen. In der Regel merken aber die mit Gegenkörpern ausgestatteten Wirte nichts vom krankhaften Treiben ihrer Gäste. Claudia Klingenschmid hat sich nun in ihrem kleinen Roman Parasit ToGo mit viel schwarzem Humor solch ein Protozoon als Erzählperspektive gewählt, um zu zeigen, wie es heutzutage um die Welt und um die Menschen bestellt ist. Untertitel: „Die geheimen Wirtschaften eines Urtierchens“.

Die Autorin gibt ihren Toxoplasma gondii den Kosenamen ToGo, was man auch mit „to go“ lesen kann. Denn die Erzählung führt das Protozoon nicht nur von Wirt zu Wirt – von Menschen zu Schlangen, von Schweinen zu Frettchen, von Möwen zu Schwertwalen und wieder zurück zu Menschen –, sondern auch in einer Art Road-Movie von Österreich aus kreuz und quer durch die USA mit Abstechern nach Italien und Japan. Der Leser nimmt Teil an der Abenteuerlust dieses biologischen Simplicissimus: „Ich wollte etwas erleben, Spaß haben, die Welt sehen.“ Die Strategie ist jedoch böswillig, denn ToGo sucht in jedem Wirt den wunden Punkt, läst ihn seinen Feind finden und seinen persönlichen Tod sterben, um kurz vor seinem Ende schnell noch den Körper zu wechseln. Was manchmal nur mit Anstrengungen und viel Glück gelingt. Des Urtierchens Lebenserfahrung: „In jedem Wirt gab es etwas Neues zu entdecken.“ Das schließt gelegentliche Beschreibungen etwas unappetitlicher biochemischer Vorgänge ein.

Ein bitterböses Bild

Mit schnellen Perspektivwechseln, erotischen Abenteuern, ökologischen Katastrophen, kriminellen Verstrickungen (bis zu einem Diebstahl von Kunstwerken in Venedig) entwirft Claudia Klingenschmid das Bild einer von Gleichgültigkeit, Dummheit und Gewalt geprägten Welt, die sich dem Streben nach Macht, Geld und Lustgewinn unterworfen hat. Selten sind Momente von Mitgefühl und Solidarität. Doch wird alles mit soviel Witz und Leichtigkeit erzählt, dass man über das eigene Schmunzeln erschrickt. Das ist ein bitterböses Bild, das die junge und zugleich welterfahrene, 36jährige Autorin aus Tirol in ihrer ersten längeren literarischen Arbeit skizziert. Ihrem Simplicissimus wird das Treiben am Ende gar selbst zu dumm.

Claudia Klingenschmid. Parasit ToGo. Die geheimen Wirtschaften eines Urtierchens. Piper Verlag, München (2019) 168 Seiten, 12,99 Euro.