ALTER WEIN IN NEUEN FORSCHUNGEN


Venedig, der Malvasier und die Buddenbrooks auf einer Tagung des Deutschen Studienzentrums Venedig

Wo der Malvasier herkommt – die venezianische Besitzung Candia auf Kreta am Ausgang des Mittelalters

Venedig – Wein, so schreibt Roland Barthes in seinen Mythen des Alltags, „ist eine Substanz der Wandlung, die Situationen und Zustände umzukehren und den Dingen ihr Gegenteil zu entziehen vermag.“ Thomas Mann etwa lässt zwei „Bouteillen alten Malvasier“ im fulminanten Eingangskapitel der Buddenbrooks aus dem Keller heraufholen, der dann „goldgelb und traubensüß“ in die Gläser fließt. Ein Erzählung voller versteckter Verweise auf andere Texte, in denen der Malvasier inszeniert wird – von der Novellistik eines Boccaccio über Richard III., der ja seinen Bruder in einem Malvasier-Fass ertränkt, bis zu Goethes Faust. Dem Malvasier hat sich gerade das Deutsche Studienzentrum Venedig, das von der Literaturwissenschaftlerin Marita Liebermann geleitet wird, zusammen mit dem Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti auf einer anregenden interdisziplinären Tagung gewidmet.

Venedig spielt eine wichtige Rolle, weil seit dem 13. Jahrhundert die Hauptanbaugebiete schwerer Südweine, für die ja Malvasier nur prototypisch als Begriff steht, nach und nach unter venezianische Kontrolle fallen. Der Malvasier aber auch Trauben wie die heute vergessenen Romania oder Rainfal kamen zumeist aus dem griechischen Raum, besonders aus Kreta. Venezianische Kaufleute festigen die Handelsrouten durchs Mittelmeer über die Balearen und dann entlang der Atlantikküste nach Flandern, England und den Bereich der Hanse.

Malvasier-Trauben auf Kreta

Die Irrfahrt des Pietro Querini

Zur Geschichte des Weinhandels gehören auch Geschichten wie die des venezianischen Patriziers Pietro Querini, Herr über Güter in Candia auf Kreta, wo er Malvasier für den Export vor allem nach Flandern produzieren ließ. Querini brach im April 1431 von Candia aus mit einem Transport von u.a. mehreren hundert Fässern Malvasier auf. Sein Schiff kam im Atlantik beim Kap Finisterre in Seenot und trieb wochenlang manövrierunfähig längs des Golfstroms an Irland vorbei.

Querini und ein paar seiner Seeleute retteten sich schließlich in eine Schaluppe und erreichten die Lofoten, wo sie in Røst von den Anwohnern den Winter über aufgenommen wurden. Die Bevölkerung ernährte sich vor allem vom Dorsch-Fang und hielt den Fisch als Stockfisch haltbar. Im Frühjahr darauf kehrte der Kaufmann von Norwegen über London nach Venedig zurück – und brachte die bis dahin unbekannte Methode der Stockfischherstellung auch an die Lagune und nach Italien.

Qualitätsweine aus Bassano

Über Land ging der Transport von Weinen aus dem Raum Venedig – etwa der Bassano-Traube – über die Alpen bis nach Süddeutschland und in die Schweiz. Der Historiker Michael Matheus (Universität Mainz und Präsident des Studienzentrums Venedig) hat in seinen Forschungen Wissen über die Wege von Qualitätsweinen vom 14. Jahrhundert an aus dem Raum Bassano, der heute vor allem für seine Grappa-Produktion bekannt ist, frei gelegt. Bemerkenswert daran ist, dass an anderen Orten im venezianischen Herrschaftsbereich (Vicenza, Verona, Brescia) Wein nur für den lokalen Bereich oder höchstens für den interregionalen Austausch hergestellt wurde. Warum in Bassano die Produktion dieser Weine für den Export dann aber abbrach und etwa vom 18. Jahrhundert an durch den Grappa ersetzt wurde, wartet noch auf eine Erklärung.

© Cluverius

Nur eine von verwirrend vielen Malvasia-Sorten in Italien und Europa – hier in Venedig

Wein hat auch wegen der biblischen Grundlagen für Christen wie für Juden immer eine wichtige Rolle gespielt. Wobei es nicht nur um liturgische Angelegenheiten geht, sondern ebenso um „Wein als Geschenk, als Respekt gegenüber anderen Menschen“, so Michael Matheus. Grundmuster, die gerade in der sogenannten Vormoderne eine große Rolle gespielt haben – und eben auch die europäische Handelsgeschichte prägten.

So wird schließlich bei den Buddenbrooks nach einer „dritten Bouteille Malvasier“ geschickt, denn die Berechnung hatte sich als falsch erwiesen, dass zwei genügen würden. Das, so Marita Liebermann, „ist alles sehr dicht erzählt und verweist auf diese reiche Kultur- und Literaturgeschichte des Malvasiers.“ Denn der Wein, schreibt Roland Barthes, kann „als Alibi für den Traum wie auch für die Wirklichkeit dienen, je nachdem wer den Mythos verwendet.“

Zum Thema wurde auch ein Beitrag auf NDR-Kultur (Journal) am 3.12.2019 gesendet