CARAVAGGIO VON INNEN


Eine große Ausstellung in Mailand enträtselt die Techniken des Malers – und fasziniert mit Originalen

© Roma, Sovrintendenza Capitolina ai Beni Culturali. Foto G. Schiavinotto,

Vom Dunklen ins Helle gemalt: „Judith und Holofernes“ (1602) – Galleria Nazionale d’Arte Antica (Palazzo Barbarin), Rom

 

Mailand (Palazzo Reale bis 28. Januar) – Wenn Caravaggio kommt, strömen die Besucher. 85.000 Vorbestellungen waren bereits eingegangen, als Ende September die Ausstellung „Dentro Caravaggio“ eröffnet wurde. Der Titel, den man frei mit „Caravaggio von innen“ übersetzen könnte, weist bereits auf die Besonderheit dieser Ausstellung hin. Zu sehen sind nicht nur 20 prächtige Gemälde von Michelangelo Merisi (Mailand 1571 – Porto Ercole 1610), der sich nach seiner Vaterstadt Caravaggio nannte. Zu jedem einzelnen Werk werden außerdem die Ergebnisse neuester Forschungen unter dem Einsatz auch von naturwissenschaftlichen Methoden mit multimedialen Einspielungen dokumentiert. Die Ausstellung wurde von der Gruppe MondoMostre Skira (Rom/Mailand) produziert, Gesamtkosten rund 3,5 Millionen Euro.

Wie hat er das bloß geschafft? Bereits Künstlerkollegen fragten sich neidisch, wie Caravaggio, unter oft ungünstigen Umständen so präzise und meist auch schnell arbeiten konnte. Selten hatte der raubeinige Einzelgänger Geld, um Modelle zu bezahlen, die er für seine realistischen Darstellungen brauchte. Und immer wieder war er auf der Flucht vor der Rechtssprechung. Verurteilungen wegen nicht bezahlter Rechnungen, unerlaubten Waffenbesitzes, gar wegen Mordes trieben ihn von Mailand nach Rom und bald weiter kreuz und quer durch Süditalien bis nach Malta.

Wo sich die Geister scheiden

Über 50 bekannte Meisterwerke sind innerhalb von nur 13 oder 14 Schaffensjahren entstanden. Gemälde, welche die Kunst revolutionierten. Realistische Szenerien, schräg einfallendes Licht, und weite Schattenflächen verbanden sich zu einer nie gesehenen Plastizität. Über die Techniken seiner Malweise wurde auch von Wissenschaftlern lange und gerne gerätselt. Bis heute scheiden sich zum Beispiel die Geister, ob er mit Hilfe von Skizzen gearbeitet habe. Was sich nicht ausschließen lässt – aber gefunden wurden noch keine. Auch gibt es keine Äußerungen von ihm, in denen er seine Kunst reflektiert oder gar die Technik erläutert. Offensichtlich suchte er sich auf dem umkämpften Kunstmarkt an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, einen Innovationsvorsprung zu erarbeiten und zu behalten.

© 2017 Amministrazione Doria Pamphilj, Foto: Cluverius

„Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ (1597)- Galleria Doria Pamphilj, Roma

Die Mailänder Ausstellung „Dentro Caravaggio“ versucht, die Ergebnisse von neuesten naturwissenschaftlichen Untersuchungen der Arbeiten des Malers aus der Lombardei mit Hilfe etwa der Infrarottechnik einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Doch ist „Caravaggio von innen“ keine kalte technische Ausstellung. In den einzelnen, ganz rot ausgeschlagenen Räumen werden auf den ersten Blick nur Gemälde präsentiert. Eine geschickte Lichtregie entgeht der Gefahr, Bildern wie „Judith und Holofernes“ (1602) oder dem „Malteserritter“ (1608) ihre leuchtende Kraft zu nehmen.

20 Leihgaben aus Italien und dem Ausland

Das ist eine prächtige Ausstellung, die mit 20 Leihgaben von Museen aus den USA, England, Spanien und natürlich Italien in chronologischer Folge einen Querschnitt durch das Gesamtwerk von Caravaggio bietet. Die römische Kunsthistorikerin Rossella Vodret hat sie eingerichtet. Zum wissenschaftlichen Beirat – und den Autoren des Kataloges, der leider nur auf Italienisch vorliegt – gehören u.a. Sybille Ebert-Schifferer (Direktorin der Bibliotheca Hertziana, Rom) und Keith Christiansen (Metropolitan Museum, New York).

copyright Cluverius

Der verschobene Engel – Installation zur „Flucht nach Ägypten

Dem eigentlichen Thema der Ausstellung wird auf der Rückseite der Stellwände Rechnung getragen. Hinter den Exponaten werden in einem Schattenbereich mit multimedialen Installationen zu jedem einzelnen Bild Beispiele der jüngeren Forschung präsentiert – dem Katalog wurde dafür ein E-Book beigelegt.

Ritzlinien wie bei der Freskotechnik

Gut zu erkennen sind in den Infrarotaufnahmen auch die sogenannten „Pentimenti“, also die Änderungen, die der Maler während der Arbeit an seinem Bildaufbau vornahm. So wanderte der Engel in dem Gemälde „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ (1597) vom rechten Bildrand in die Mitte. Die Analysen bestätigen auch, dass Caravaggio gelegentlich die Technik des „Abbozzo“ benutzte, eine Vorzeichnung auf der Leinwand mit Farbe und Pinsel für seine Figuren. Außerdem half er sich oft mit Ritzlinien, wie aus der Freskotechnik, die er mit dem Pinselstil in die noch feuchte Grundierung kratzte.

Gerade die Rolle der Grundierung wird ausführlich dargestellt. Es gehörte, von Caravaggios Romaufenthalt angefangen, zur Grundcharakteristik seiner Maltechnik, dass er nicht vom Hellen ins Dunkle, sondern vom Dunklen ins Helle malte. Bislang hatte man angenommen, dass die Grundierung für die einzelnen Arbeiten uniform sei. Jetzt aber stellt sich heraus, dass der Maler in einem Bild nebeneinander liegende, verschieden getönte Flächen anlegte. Unterschiedliche Grundierungen also für die entsprechenden Gegenstände und Personen des Bildes.  Ein Ergebnis der Ausstellung ist damit die Widerlegung des Mythos, Caravaggio habe seine Bilder in einer Art genialen Ekstase aus dem Stand ohne präzise Vorarbeiten geschaffen. Er wusste – mit oder ohne Skizze – bereits bei der Imprimitur der Leinwand genau, wie er das Bild aufbauen wollte. Eine Untersuchungsreihe aller in Rom vorhandenen Arbeiten des Malers in einem relativ kurzen Zeitraum (2009-2012) unter der Leitung des Nuklearingenieurs Claudio Falcucci hat besonders bei diesen Fragen zu neuen Erkenntnissen geführt.

Das Betriebsgeheimnis

Schließlich konnte nach jüngsten Archivstudien auch die Datierungen einer Bilder genauer gefasst (und mussten teilweise verändert) werden. Zugleich stellen sich gerade hier weitere Fragen. Nach der jetzigen Dokumentenlage gibt es kaum Belege über Aufenthalt und Tätigkeit des jungen Malers nach dem Ende seiner Lehrzeit in Mailand 1588 und 1596, als er zum ersten Mal in Rom aktenkundig wird ( – mit der Ausnahme eines notariellen Aktes 1592 in Mailand). Was hat er wohl in der Zeit alles angestellt?

Die gut argumentierende Ausstellung reiht sich in eine Folge von Präsentationen ein, die in den vergangenen Jahrzehnten dem „Betriebsgeheimnis“ von Caravaggio auf die Spur kommen wollten. Mit „Dentro Caravaggio“ hat die Wissenschaft einige Schritte nach vorne gemacht. Aber zugleich bestätigt sich, was Sybille Ebert-Schifferer in ihrer großen Caravaggio Monographie (Beck Verlag 2009) schrieb: „Das Betriebsgeheimnis bestand also, so weit wir das bislang erahnen können, in einer eigenwilligen Kombination durchaus konventioneller Techniken, deren Beherrschung Caravaggio im Verlauf seines Lebens zu höchster Ökonomie der Mittel perfektioniert hatte.“

Dentro Caravaggio. Palazzo Reale, Mailand, bis 28.Januar. Katalog (Skira) 39 Euro in der Ausstellung, 46 Euro im Handel. Info: www.caravaggiomilano.it
Zu empfehlen ist die Nutzung eines Audioguides (italienisch oder englisch / kostenlos zusammen mit dem Eintritt). Rundgang 45 Minuten

Hier zum Beitrag im Deutschlandfunk (Kultur heute) am 2.10.2017

Siehe auch zuletzt auf CluveriusViel Lärm um Caravaggio