DAS BEBEN NACH DEM BEBEN


In Italien wird nach dem Erdbeben von Ischia und zum Jahrestag des Bebens von Amatrice heftig über die Folgen illegaler Bautätigkeit diskutiert. Es geht in einer Art Kulturkampf um eingestürzte Familienhäuser, um Straferlasse und Aufbauprämien und um „Aasgeier-Journalisten“

copyright Museum Bargheer

Ischia (Hafen von Forio), ein Gemälde des Hamburger Malers Eduard Bargheer

Mailand – Der Boden bebt und bringt ein ganzes Land in Wallungen. Am Sonntag Abend (20.8.) erschütterten Erdstöße die Insel Ischia im Golf von Neapel. Betroffen war vor allem die Ortschaft Casamicciola Terme, wo zwei Menschen starben und rund 2000 Menschen ihre Unterkunft verloren. Ein relativ schwaches Beben von der Stärke 3,6 bis 4 auf der Momenten-Magnituden-Skala, doch viele, wohl auch teilweise widerrechtlich errichtete Bauten stürzten ein. In den Medien und im Internet ist derweil eine heftige Debatte über Ursachen der Zerstörungen durch dieses und anderer Beben und über die Notmaßnahmen des Staates ausgebrochen – und auch über die Folgen der Berichterstattung, die etwa zur ungerechtfertigten Flucht von Touristen von Ischia geführt haben soll.

Auf der Insel waren in dem kaum zwei Kilometer von Casamicciola entfernten Weiler Forio zwar noch die Stöße des Bebens zu spüren, aber es wurden keine ernsthaften Schäden registriert. Auch das dort liegende ehemalige Wohnhaus des deutschen Malers Eduard Bargheer (1901-1979) – heute Erinnerungsstätte einer Hamburger Kulturstiftung –, so jedenfalls die erste Einschätzung der Stiftungsleitung, wurde nicht betroffen. Außerhalb der Gefahrenzone lag ebenso der Hauptort Ischia. Dennoch haben viele Urlauber unter teilweise chaotischen Umständen die Insel verlassen.

copyright Corriere della Sera

Schäden nach dem Beben auf Ischia im Ortsteil Casamicciola

Was die Debatte antreibt: Die Ereignisse von Ischia fallen zusammen mit dem ersten Jahrestag eines schweren Bebens in Mittelitalien, als am 24. August 2016 weite Landstriche zwischen den Regionen Latium (hier vor allem der Ort Amatrice), Umbrien und den Marken durch Erdstöße bis Stärke 7 verwüstet wurden. Rund 300 Menschen starben.

Wutausbrüche im Internet

Jetzt werden in den sozialen Netzwerken wütende Stimmen laut, die vom Staat verlangen, er solle denjenigen keine Mittel zum Wiederaufbau geben, die ihre Häuser ohne Genehmigungen oder mit falschen und billigen Materialien errichtet hätten. Dagegen ereifern sich andere über die „giornalisti sciacalli“ (Aasgeier-Journalisten), die immerzu von Illegalität und ärmlichen Baumethoden reden  und das Wohnrecht breiter Volksschichten mit Füßen treten würden. Politiker aller Couleur ergehen sich in gegenseitigen Vorwürfen. Schließlich stehen wieder einmal der sich selbst für überlegen haltende Norden – nach gutem Management bei Beben etwa in Friaul 1976 oder der Emilia-Romagna 2012 – und der Süden, der dem Norden Arroganz und Tatsachenverdrehung vorwirft, gegeneinander.

Diese teilweise hasserfüllten Debatten, so der Historiker Guido Cranz in der Tageszeitung la Repubblica, „schmerzen“ in einem geteilten Land, wo sich die einen als Opfer und die anderen als Nichtverantwortliche („ohne Schuld und ohne zivile Pflichten“) sehen würden. Zugleich weist der Historiker auf eine lange Tradition illegaler Bauwirtschaft etwa bei Einfamilienhäusern hin, die vom Staat mehrfach durch gesetzlich verordnete Straferlasse bei kleinen Bußgeldern hingenommen wurde. Da hätten alle Parteien (auch die Kommunisten) mitgespielt. Angeblich liegen den Gemeinden 5 Millionen unbearbeitete Anträge auf Straferlass für illegal errichtetet Einzelhäusern vor. Politiker etwa der populistischen 5-Sterne-Bewegung reden von einem „abusivismo di necessità“ („Illegalität aus Notwendigkeit“).

Zwischen Bürokratie und Illegalität

In der Diskussion sind auch die Arbeiten zum Wiederaufbau. La Repubblica veröffentlichte gerade eine Luftaufnahme des Zentrums von Amatrice, das zwölf Monate danach weiterhin in Trümmern liegt. Der Corriere della Sera beklagt die „vergifteten Debatten“ wie die „aufwühlende Bilanz“ nach einem Jahr Beben in Mittelitalien, wo Bürokratie und Illegalität sich gegenseitig in die Hände spielen würden. Es gehe darum einen Mittelweg zu finden „zwischen Notstandsfieber, das Ungesetzlichkeiten fördern würden, und einem Stillstand, der aus Angst vor Ungesetzlichkeit herrührt.“ Um etwa eine Notunterkunft aus Holz zu erreichten, brauche man Gutachten von 13 verschiedenen Ämtern.

la Repubblica/ A. Serranò/AGF

Amatrice ein Jahr danach – eine unveränderte Trümmerlandschaft

Derweil hat der Senat, die zweite Kammer des Parlaments, einen Bericht über Wiederaufbaumaßnahmen nach Zerstörungen durch Erdbeben in der Zeit vom Kriegsende bis heute vorgelegt. Bemängelt werden mit wenigen Ausnahmen die durchweg schlechte Qualität der Konstruktionen und enorme Kostensteigerungen durch Verzögerungen, Verschwendungen jeder Art und durch kriminelle Infiltrationen. Allein die letzten drei Beben seit dem von L’Aquila im Jahr 2009 haben bereits Kosten von 39 Milliarden Euro verursacht.

Während auf Sizilien in Licata ein Bürgermeister vom Gemeinderat abgesetzt wurde und inzwischen unter Polizeischutz steht, weil er illegal errichtete Gebäude nach Gerichtsbeschluss abreißen lassen wollte, haben sich 100 Bürgermeister Italiens zusammengeschlossen, die von der Regierung eine nationale Kampagne gegen Illegalität und zugleich  „Respekt für landschaftlicher Gegebenheiten“ fordern. Raffaele Cantone, Chef der nationalen Behörde zur Bekämpfung der Korruption, ruft zur mehr Mut zu Einhaltung von Regeln auf: Politiker würden so vielleicht einige Stimmen verlieren, aber Vertrauen bei den ehrlichen Bürgern zurückgewinnen.