DEUTSCH-RÖMISCHES PUZZLE


Casa di Goethe (1):  Friedrich Noack (1858-1930) in Italien. Schreiben, Kunst & Forschung. Eine Ausstellung

© Casa di Goethe/mostra Noack

Friedrich Noack als Aquarellist: Blick auf San Pietro (Ausschnitt)

Mailand/Rom (Casa di Goethe bis 18.9.) – Das 19. Jahrhundert und die Deutschen in Rom: „Mit Vorliebe setzten sich zwei oder drei Landsleute in eine versteckte Weinkneipe zusammen und schimpften auf die anderen.“ So zitiert der Kulturhistoriker Friedrich Noack, der von 1891 bis 1915 als Korrespondent für die Kölnische Zeitung in der Hauptstadt des noch jungen italienischen Einheitsstaates lebte, einen Zeitgenossen. Das Zitat findet man in Noacks monumentalem Werk „Das Deutschtum in Rom seit dem Ausgang des Mittelalters“, in dem der Autor eine ganz andere Haltung einnimmt: die des neugierigen Forschers und Sammlers von Informationen über die Geschichte seiner Landsleute. In mehreren Jahrzehnten legte er eine riesige Namenskartei von Deutschen unterschiedlicher Berufe an, die in der Neuzeit bis zum Beginn des ersten Weltkriegs in Rom Spuren hinterlassen hatten. Die Casa di Goethe Rom, das nach ihrem Selbstverständnis „einzigen deutschen Museum im Ausland“, hat Noack jetzt eine Ausstellung gewidmet.

Aber was heißt für Noack „deutsch“? Den Begriff „Deutschtum“ nach den Jahren 1933/45  zu benutzen, fällt uns heute schwer. Noack konnte da noch freier vorgehen. Nationale Töne sind ihm unbedenklich. Im Gegenteil geht es ihm in seinem Magnum opus geradezu um „einen Wert für die vaterländische Geschichte“, wie er im Vorwort der zweibändigen Erstausgabe 1927 schreibt (Text plus Quellenband). Im Nachhinein mag es uns heute fragwürdig scheinen, wenn er kurzerhand den Begriff des Deutschtums auf „alle germanische Völkergruppen“ ausdehnt, „die, auch wenn sie sich staatlich und sprachlich von uns geschieden haben, doch in naher Fühlung mit unserem Kulturleben stehen.“ Niederländer, Schweizer, Balten, Skandinavier werden eingemeindet, „zumal dieselben auf dem römischen Boden mit dem Deutschtum im engeren Sinne mehr oder weniger nah verbunden waren.“

© Casa di Goethe /Noack Ausstellung

Friedrich Noack als Journalist in Rom 1891-1915 (Foto seines Presseausweises)

Die Ausstellung geht auf diesen Hintergrund nicht ein, weil es ihr weniger um das Werk und mehr um den Autor geht. Um den aus Gießen stammenden Friedrich Noack (1858-1930), „den fleißigsten aller deutsch-römischen Journalisten“, wie ihn der später in Auschwitz ermordete Kunsthändler Ludwig Pollak einmal bezeichnet hatte. Wer war dieser Fleißige, der außer seinem monumentalen Werk und einem mehr oder weniger vergessenen Skizzenbuch seiner Artikel scheinbar wenig Spuren hinterlassen hatte? Dorothee Hock, langjährige Mitarbeiterin der Casa di Goethe, machte sich auf die Suche. Und nach und nach kamen Briefe und Fotografien, Handschriften und Aquarelle sowie weitere Dokumente ans Licht. Mit unendlicher Geduld, Spürsinn und schließlich auch Glück konnte Dorothee Hock „ein komplexes deutsch-römisches Puzzle“ zusammensetzen (unterstützt durch den Wiener Autor Andreas Kloner).

Ein unerwartet reicher Nachlass

Glück, weil sie auf Ur-Urenkel von Noack stießen (die Familien Grell/Stadelhofer), die einen bislang nicht ausgewerteten Nachlass ihres Urgroßvaters besaßen. Zu dem Nachlass von Friedrich Noack gehört u.a.  auch das Manuskript  seiner Lebenserinnerungen, das nur darauf wartet gedruckt und veröffentlicht zu werden. Im Anhang des kleinen Katalogs der Ausstellung sind daraus, wie aus dem 1900 veröffentlichten Skizzenbuch, Kostproben zu lesen. Aus dem ganzen Material tritt das Bild einer vielseitig begabten Persönlichkeit als Erzähler aber auch als Zeichner und Aquarellist hervor. Zugleich war Noack als Mitglied einer Reihe von deutschen Kulturvereinen in Rom aktiv, organisierte Feste, schrieb ironische Texte für Theateraufführungen und wies zugleich politische Einmischung etwa durch die preußische Gesandtschaft zurück.

Durch die Pandemie verzögert wurde die von Dorothee Hock konzipierte Ausstellung  – kunsthistorisch von Claudia Nordhoff beraten – für den Herbst 2021 angesetzt. Die sich so über Jahre glücklich entwickelte Arbeit wurde jedoch auf der Zielgeraden durch eine schreckliche Begebenheit getrübt: Dorothee Hock starb im August 2021 und konnte die Eröffnung der Ausstellung nicht mehr erleben, die von ihr und ihrer liebevoll-hartnäckigen Spurensuche beseelt ist.

Das Rom der Wende zum 20. Jahrhundert

Fotografien, Skizzen, Aquarelle und Schriftdokumente geben Einblick in das Rom der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Sie zeigen antike Ruinen wie den modernen Bauboom in der Hauptstadt und berichten vom wachsenden Nationalbewusstsein Italiens. Persönliche Gegenstände werfen einen Blick auf Noacks durchaus mit Kunst betriebene Liebhabereien. Und natürlich werden Karteiblätter seiner systematischen Datei zu über 11.000 Persönlichkeiten des „Deutschtums“ gezeigt, die die Grundlage für seine vielzitierte Arbeit bilden und inzwischen alle in der Bibliotheca Hertziana – deren Gründung 1913 Noack noch miterlebte – digitalisiert abrufbar vorliegen. Geschrieben allerdings in der schwer zu entziffernden Gabelsberger Kurzschrift, die heute nach der Einführung durch die deutsche Einheitskurzschrift (1924) nur noch historische Bedeutung hat. Friedrich Noack, der „Urgroßvater der heutigen ‚deutschen‘ Römer“, wie Dorothee Hock ihn im Katalog nennt, hatte sich so gleichsam selbst historisiert.

Wer jetzt also im Frühjahr und zu Ostern nach Rom reist, findet in der Casa di Goethe und in der Noack-Ausstellung einen lohnenden Kontrapunkt zum touristischen Alltag, der auf eine deutsche Geschichte verweist, mit der „unser Volk sich in Rom eine stolze Stellung geschaffen hatte“ – so Noack im Schlusssatz seiner Jahrhundertarbeit. Dass die Geschichte später auch tragische und geradezu schamvolle Wendungen kennt, kann man ihm nicht zur Last legen, sollte man aber im Hinterkopf behalten.

Friedrich Noack (1858 – 1930) in Italien. Schreiben, Kunst und Forschung. Casa di Goethe museum, Rom. Verlängert bis 18. September. Katalog (herausgegeben von Maria Gazzetti, Dorothee Hock), 10 Euro© Casa di Goethe

Siehe auch Casa di Goethe (2): „Internationale Perspektiven