DURCH NACHT UND NEBEL


Eine Privatsache“, der große Roman von Beppe Fenoglio über den italienischen Widerstand, ist endlich wieder in deutscher Übersetzung (bei Wagenbach) greifbar. Der Autor wäre jetzt 100 Jahre alt geworden.

© Aldo Agnelli/Centro Beppe Fenoglio

Beppe Fenoglio im Jahr 1958. Das Centro Studi Beppe Fenoglio (Alba) veranstaltet 100 Jahre nach seiner Geburt das ganze Jahr 2022 ein reiches Programm (Beppe Fenoglio 22)

Mailand/Alba – Der Roman „Una questione privata“ von Beppe Fenoglio (1922-1963)  erzählt eine Begebenheit aus der Zeit des italienischen Widerstands kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges. Es sei schwer, schreibt Nicola Lagioia in einem Beitrag (hier) für die Turiner Tageszeitung La Stampa, „in der italienischen Literatur der vergangenen hundert Jahre einen Roman zu finden, in dem sich Liebe und Krieg, Jugend und Tod auf solch magische Art verknüpfen.“ Der Roman wurde posthum einige Monate nach dem Tod des Autors veröffentlicht. Was bis heute Spekulationen über das dramatische und zugleich offene Ende des Protagonisten Milton nährt – wollte Fenoglio etwa noch ein Schlusskapitel schreiben? Der Wagenbach Verlag hat nun die deutsche Ausgabe „Eine Privatsache“ in der Übersetzung von Heinz Riedt aus dem Jahr 1968 – ursprünglich bei Benziger (Zürich) erschienen – zusammen mit einem aktuellen Nachwort von Francesca Melandri wieder aufgelegt.

Milton hat sich den Partisanen angeschlossen. Bei einem Erkundungsgang stößt er auf eine inzwischen verlassene Villa, wo er glückliche Stunden mit Fulvia verbracht hatte. Sie hatten Musik aus England und Amerika gehört, über Bücher geredet. Als er jetzt erfährt, dass Fulvia womöglich ein Verhältnis mit seinem Freund Giorgio gehabt hat, will er Giorgio finden, um Klarheit zu haben. Er lässt sich von seinem Vorgesetzten einen Tag frei geben. Miltons wirre Suche nach Giorgio, der inzwischen von Faschisten gefangen gesetzt wurde, endet in einem ruheloses Wandern durch Regen und Schlamm, Nacht und Nebel durch die Hügellandschaft des Piemont. Immer in Gefahr von Patrouillen entdeckt zu werden.

Es kommt zu kurzen Begegnungen mit Anwohnern, Informationen erhält er in Verstecken anderer Partisaneneinheiten. Politische Gespräche vermischen sich mit Miltons „Privatsache“. Angesicht der Brutalität von Faschisten und deutschen Besatzern ist Milton überzeugt: „Diesen Krieg kann man nur ohne Erbarmen führen.“ Aber gleichsam resigniert fühlt er sich als Spielball: „Und dann sind nicht wir es, die darüber entscheiden, sondern der Krieg entscheidet über uns.“

Widerstand und Heimatsliebe

Am 1.März vor 100 Jahren wurde Beppe Fenoglio in Alba geboren. Der starke Raucher starb mit nur 40 Jahren an den Folgen einer schweren Lungenkrankheit. Fenoglio hatte in Turin Philologie studiert und sich 1944 im Hinterland von Alba dem Widerstand gegen Faschismus und die deutsche Besetzung Italiens auf Seiten der „Badogliani“ (linke, aber nicht kommunistische Gruppe ehemaliger Soldaten) angeschlossen. Früh wandte er sich der englischen Literatur zu und arbeitete teilweise als Übersetzer. In seinen Büchern erzählt er von seiner Heimat, vom bäuerlichen Leben der Langhe, der Hügellandschaft im südwestlichen Piemont, und von der Zeit der Resistenza. Dem städtischen Leben, den intellektuellen Kreisen Turins um den Einaudi-Verlag, der immerhin die meisten seiner Bücher veröffentlichte, konnte er nichts abgewinnen. Umgekehrt konnte Turin nicht viel mit ihm anfangen. Maike Albath ist er in ihrem schönen Buch „Der Geist von Turin“ über „die Wiedergeburt Italiens nach 1943“ nicht einmal eine Erwähnung wert.

Dabei ging vom Stil wie vom Blick dieses Autors eine Signalwirkung aus. Italo Calvino schreibt über Beppe Fenoglios „Privatsache“ voller Begeisterung: „Endlich gibt es das Buch, das unsere Generation hatte schreiben wollen.“ In Ihrem Nachwort vermutet Francesca Melandri: „Vielleicht bewahrte Fenoglio seine Abneigung gegenüber literarischen Salons vor der nur allzu verständlichen kollektiven Forderung, Schriftsteller müssten mit nützlicher Literatur zum Aufbau der neuen antifaschistischen Republik Italien beitragen.“

Von fast komischer Banalität

Melandri vergleicht Fenoglios letzten Roman mit der frühen Erzählung La paga del sabato“ („Eine feine Methode“ – der deutsche Titel), die in einer ersten Fassung 1950 vorlag. Darin beschreibt der Autor mit differenziertem Blick und „bitterer Empathie“ die Zeit unmittelbar nach Kriegsende. Er schildert die Widersprüche und Ambivalenzen einer durch den Widerstand geprägten Generation und ihre Art, sich „den vielen kleinen Lügen der Friedenszeit anzupassen.“ Doch die Zeit war noch nicht reif für kritische Blicke. Elio Vittorini lehnte die Veröffentlichung bei Einaudi ab. Die Erzählung konnte erst sieben Jahre nach Fenoglios Tod unzensiert publiziert werden. In der „Privatsache“ geht es dagegen um die Zeit kurz vor Kriegsende, die heldenhafte Zeit der Resistenza, „das moralische Rettungsboot, auf dem die Italiener nach dem ethischen Schiffbruch des Faschismus an Land flüchteten“, so Melandri. Aber, wie der Titel nahe legt, spielt der Kampf Gut gegen Böse nur eine Nebenrolle, im Vordergrund steht das Private, stehen die Gefühlswelten der Partisanen. Milton wird gleichsam aus Eifersucht zum Helden. „Miltons Grundfrage, die ihn antreibt und zu seinem eigenen wilden Lauf durch die kollektive Tragödie zwingt, ist von fast komischer Banalität: Hatten sein Freund und seine Angebetete Sex miteinander oder nicht?“

Nicola Lagioia formuliert das in seinem Beitrag für La Stampa (hier) so: „Das ist ein Roman, der der Resistenza die höchste zivile Bedeutung zurückgibt, auch weil er sich von der Widerstandsrhetorik löst.“ Er sei eine „existenzielle Meditation“, die den Fallen der Selbstgefälligkeit entgehe.

Das Programm Beppe Fenoglio 22

Das Centro Studi Beppe Fenoglio, das Studienzentrum zu Werk und Leben des Autors in Alba, hat ein reiches Programm (Beppe Fenoglio 22) zum Jubiläumsjahr aufgelegt. Im Frühjahr jetzt vor allem in Alba Lesungen, Diskussionsveranstaltungen oder Theateraufführungen, im Sommer literarische Spaziergänge in den Hügeln der Langhe auf den Spuren der Protagonisten Fenoglios, im Herbst wird es in der Fondazione Ferrero eine Ausstellung geben, bei der auch Verfilmungen – so etwa die der „Privatsache“ durch die Brüder Taviani (2017) – gezeigt werden können. Im kommenden Winter ist dann ein internationaler Kongress geplant, auf dem ein „Atlante Fenogliano“, ein mit einer App verbundene Karte geographischer, historischer und literarischer Spuren, vorgestellt werden soll.

Im deutschen Sprachraum ein Unbekannter

Einaudi gibt gerade nach und nach wieder alle Romane und Erzählungen heraus. Darunter neben „Una questione privata“ Titel wie „I ventitré giorni della città di Alba“, „La malora“, „Primavera di bellezza“, „Il partigiano Johnny“ oder „La paga del sabato“. Im deutschen Sprachraum bleibt der Autor jedoch bis heute weitgehend ein Unbekannter. Sein großer unvollendeter Roman „Il Partigiano Johnny“, der als Meisterwerk des Neorealismus gilt, ist nie übersetzt worden. Umso mehr ist Wagenbach zu danken, dass jetzt wenigsten „Eine Privatsache“ wieder zugänglich gemacht wird. Aber warum nicht auch den Erzählband „Das Geschäft mit der Seele“, den Wagenbach selbst 1997 in einer Übersetzung von Moshe Kahn herausgegeben hatte? Der ist heute ebenso vergriffen wie die Übersetzung von „La paga del sabato“ („Eine feine Methode“ bei Benziger in Zürich 1971), auf die sich Francesca Melandri in ihrem Nachwort bezieht.

„Eine Privatsache“ ist in der elegant aufgemachten Reihe „Oktavhefte – Klassiker und Wiederentdeckungen“ erschienen. Wiederzuentdecken ist auch der Übersetzer Heinz Riedt (1919-1997), der sich während der deutschen Besatzung 1943-45 in Padua, wo er studierte, der linksliberalen Widerstandsgruppe „Giustizia e Libertà“ angeschlossen hatte.

Beppe Fenoglio: Eine Privatsache. Roman. Aus dem Italienischen von Heinz Riedt. Mit einem Nachwort von Francesca Melandri. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin (2021). 192 Seiten, 20 Euro

In der Reihe Oktavhefte ist außerdem gerade erschienen:

Giovanni Verga: Die Malavoglia. Roman. Aus dem Italienischen neu übersetzt von Anna Leube. Mit einem Nachwort von Roberto Saviano. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin (2022). Seiten, 25 Euro