EIN INTELLEKTUELLES FEUERWERK


Umberto Eco schlägt in dem Band „Auf den Schultern von Riesen“ weite Bögen durch die Literatur-, Kunst- oder Philosophiegeschichte und legt geistreiche Stolpersteine. Ein Lesevergnügen, das nachdenklich macht 

© Milanesiana

„Ich habe von der Wirklichkeit geträumt. Welche Erleichterung zu erwachen!“ Umberto Eco auf dem Kulturfestival „Milanesiana“ 2010 zum Thema „Paradoxe“ Stanislaw Lec zitierend

Mailand –  Experten gibt es heute überall und für alles. Und sie spezialisieren sich immer weiter, dass am Ende ihr riesiges Fachwissen auf einen extrem kleinen Gegenstand fixiert ist. Auf der anderen Seite gibt es ein stetig wachsendes Palaver der Besserwisser nicht nur in den sozialen Medien. Ein Gerede, eigentlich nur ein Geraune, über alles und nichts, das inhaltsleer über einen hinwegrauscht. Zwischen diesen Extremen wünscht man sich wieder in eine Art Schule, möchte einem Lehrer zuhören, der das Denken seiner Hörer mit Ideen, Anregungen, Zweifeln und mit ein bisschen Ironie in Bewegung hält. Umberto Eco (1932 -2016) war ein solcher Lehrer und sein Schulhaus war der öffentliche Auftritt.

In dem Band „Auf den Schultern von Riesen“ redet er zu uns über das Schöne wie das Hässliche, über das Unsichtbare wie über das Geheimnis, über absolut und relativ, über lügen und fälschen, über Paradoxe und Aphorismen, über Verschwörungen und Konspirationen. Er schlägt dabei Haken und weite Bögen durch die Literatur-, Kunst- oder Geistesgeschichte. Er verbindet das Gestern mit dem Heute, hat keine Angst vor politischen Zwischenrufen, ist geistreich und macht immer wieder nachdenklich. Er stellt überraschende Verbindungen her, denkt quer und weiß zu reden, indem er andere zu Wort kommen lässt. Zum Beispiel mit einem Aphorismus, der Chesterton zugeschrieben wird: „Seit die Menschen nicht mehr an Gott glauben, glauben sie nicht etwa an nichts mehr, sondern an alles.“

Das Kulturfestival „Milanesiana“ als ideales Umfeld

Viele Jahre hat Umberto Eco das Mailänder Kulturfestival „Milanesiana“ begeleitet, das unter Leitung von Elisabetta Sgarbi in diesem Sommer zum 20. Mal veranstaltet wird. Es verbindet Literatur mit Musik, Kino mit Philosophie, Kunst mit Theater, Justiz mit Naturwissenschaft. Für einen Grenzgänger wie Eco war das ein ideales Umfeld. Als Semiotiker wagte er sich von Anfang an mit großer Neugier in die unterschiedlichsten Bereiche der Humanwissenschaften vor und wusste Alltagskultur mit Philosophie und Literatur zu verbinden. Kein Wunder, dass seine Freundin Elisabetta Sgarbi ihn dazu gewinnen konnte, für die jeweiligen Ausgaben des Festivals eine zentrale Vorlesung zu halten. Und kurz vor seinem Tod 2016 hatte er sie noch bei der Gründung des unabhängigen Verlages „La Nave di Teseo“ unterstützt, als der von Elisabetta Sgarbi geleitete Bompiani Verlag zusammen mit anderen Verlagsteilen von RCS Libri unter den Einfluss von Mondadori (Berlusconi) kommen sollte.

„Auf den Schultern von Riesen“  versammelt jetzt bei Hanser in einem Band die Texte, die Eco von 2001 bis 2015 auf der Milanesiana vorgetragen hat. Martina Kempter und Burkhart Kroeber, ein enger Freund der Familie Eco, haben sie stilsicher und wortgewandt übersetzt. Der Band bietet ein intellektuelles Feuerwerk gespeist aus der Ideenwelt des Mailänder Autors. Sicher, keiner ist unersetzlich, aber im heutigen Italien (und nicht nur dort) fehlt die feste wie ironische, die selbstbewusste wie selbstkritische, die seriöse wie freche Stimme eines Umberto Eco.

Und in der Rede über Paradoxe (2010) verrät er auch, dass ein Paradox von Stanislaw Jerzy Lec ein Leitfaden für sein eigenes Leben wurde – und fügt den Wunsch hinzu, dieses möge auch für seine Zuhörer gelten:

„Überlege, bevor du denkst.“

Umberto Eco: Auf den Schultern von Riesen. Das Schöne, die Lüge und das Geheimnis. Aus dem Italienischen von Martina Kempter und Burkhart Kroeber. Carl Hanser Verlag, München 2019. 414 Seiten, 32 Euro.