EIN UNIVERSELLES LIED DER FREIHEIT


Andreas Löhrer verfolgt mit einer gründlichen Recherche die Spuren des Partisanenliedes „Bella Ciao“, das gerade in diesen Tagen neue Aktualität erhält

© Cluverius

Cover der LP-Einspielung „Le Canzioni di Bella Ciao“. Ein Programm von italienischen Volksliedern zusammengestellt von Roberto Leydi und Filippo Crivelli. Auf dem 7. Festival dei due Mondi (Spoleto) sangen: Sandra Mantovani, Giovanna Daffini, Giovanna Marini, Maria Teresa Bulciolu, Silvia Malagugini, Cati Mattea, Michele L. Straniero und der Gruppo Padano di Piàdena.

Mailand ­– Der 25. April, Jahrestag der Befreiung Italiens von deutscher Besatzung und Faschismus, steht in diesem Jahr 2023 unter besonderen Vorzeichen. Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte wird das Land von einer Koalition unter Führung der Partei Fratelli d’Italia regiert, die sich aus der postfaschistischen Bewegung MSI entwickelt hat. Zwar hat sich die pragmatisch auftretende Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zuletzt von jeglicher faschistischer Ideologie distanziert, dennoch wird man kaum erwarten können, dass sie am 25. April in den Chor derjenigen einstimmt, die Bella Ciao singen. Zumal Parteigenossen wie der Senatspräsident Ignazio La Russa aktuell alles tun, um den antifaschistischen Widerstand kleinzureden. Denn es geht um ein Lied, das „zur Hymne der Erinnerung an die Resistenza“ wurde, wie Andreas Löhrer schreibt, der in seinem informativen Buch „Bella Ciao“ (Verlag Edition AV)  die teilweise verschlungen „Spuren eines Partisanenliedes“ verfolgt und akribisch dokumentiert.

Das faschistische Italiens war 1940 an der Seite Hitler-Deutschlands in den 2. Weltkrieg eingetreten. Nach der Absetzung Mussolinis im Sommer 1943 kam es zu geheimen Verhandlungen über einen Waffenstillstand zwischen der italienischen Regierung und den Alliierten. Die Verkündigung des Waffenstillstands am 8. September 43 gab Deutschland den Vorwand, Nord- und Mittelitalien militärisch zu besetzen. Unterdessen rückten die Alliierten seit der Landung auf Sizilien im Juli 43 von Süden langsam nach Norden vor. In den von Wehrmacht und SS besetzten Gebieten formierten sich bald erste Widerstandsgruppen. Unter ihnen soll sich das Lied Bella Ciao herausgebildet haben. Die ersten Strophe:

Una mattina mi son svegliata / Oh bella ciao bella ciao bella ciao ciao ciao / Una mattina mi son svegliata / Ed ho trovato l’Invasor.

„Eines Morgens bin ich aufgewacht / Oh bella ciao bella ciao bella ciao ciao ciao / Eines morgens bin ich aufgewacht / Und traf auf den Invasor.“

Das Lied erzählt auf der Basis einer eingängigen Melodie mit einfachen, poetischen Worten von der Bereitschaft, sich den Partisanen in den Bergen anzuschließen, im Kampf für die Freiheit auch zu sterben und unter einer Blume, der „Blume des Partisanen“ begraben zu werden. Aber was sind die Quellen von Bella Ciao? Ein Arbeitslied von Unkrautpflückerinnen („Mondine“) auf den Reisfeldern? War es vielleicht gar kein Lied der Resistenza, sondern erst nach dem Krieg entstanden zur Feier der antifaschistischen Widerstandsbewegung, die zum Gründungsmythos des demokratischen Nachkriegsitalien geworden war (und heute von Vertretern der Rechtsregierung bestritten wird)?

Bella Ciao und seine vielen Verwandtschaften

Von diesen Fragen geht Andreas Löhrer aus und stößt auf viele neue. Er legt Wege in die Geschichte der Volksmusik frei, entwirrt Fäden, um wieder neue Verstrickungen zu entdecken. Immerhin findet er eine Reihe von Belegen, die die Präsenz des Liedes (in regional verschiedenen Formen) unter den Partisanen bestätigen. Deutlich wird auch, dass dieses Lied viele verwandte Vorläufer hat und in der Tradition unterschiedlicher nationaler und sogar internationaler Quellen (Klezmer?) steht.

Zu einem nationalen Symbol wurde Bella Ciao ausgehend vom „Festival dei due mondi“ (Festival der zwei Welten) in Spoleto 1964 und der daraus resultierenden LP-Einspielung der Gruppe „Il Nuovo Canzioniere Italiano“. Ein weiter Bogen schlägt sich von dieser u. a. von Pasolini angeregten Sammlung von Volks- und Protestlieder bis zu heutigen Veranstaltungen wie zuletzt im März das traditionelle Liederfest der Lega di Cultura von Piadena, einem kleinen Ort der Po-Ebene im Osten der Lombardei. Bereits unter den Berlusconi-Regierungen, die zur Versöhnung mit der faschistischen Vergangenheit angetreten war, erlebte Bella ciao eine erneute Renaissance innerhalb der linken Protestbewegung. Um so mehr steht es heute wieder im Zentrum der Demonstrationen gegen die Rechtsregierung von Meloni und Salvini.

Andreas Löhrer ist es gelungen, mit seinem Buch ein kleines Kapitel italienischer Kulturgeschichte auszuleuchten und für Leser im deutschen Sprachraum zu vertiefen. Der Autor hat sich vor allem als Übersetzer aus dem Italienischen (aber auch aus dem Spanischen und Französischem) einen Namen gemacht. (Auf Cluverius u. a. hier ein Beitrag über Nanni Balestrini.)

Über Grenzen hinaus

Aber es geht nicht nur um Italien. Bella Ciao ist als Politsong inzwischen ein internationaler Hit geworden, der sogar in eine Netflixserie wie „La casa de papel“ („Haus des Geldes“) Eingang gefunden hat (2017).  Die eingängige Melodie, der rhythmische Aufbau, die heldenhafte-poetische Botschaft haben sicher dazu beigetragen, dass es die italienischen Grenzen überspringen konnte. Bereits 1962 gibt es eine Aufnahme von Yves Montand. Begeistert wurde es in der DDR (etwa bei den X. Weltfestspielen der Jugend und Studenten 1973) gesungen. Man spielte es von Burg Waldeck 1967 ausgehend auch immer wieder auf den Musikfestivals der Bundesrepublik. Aber noch in den 1980er-Jahren wurde es etwa in Baden-Württemberg oder in Nordrhein-Westfalen unter Kommunismusverdacht zunächst vom Schulunterricht verbannt. Vor allem aber taucht es überall auf der Welt auf, wo gegen Unterdrückung protestiert wird oder sich Widerstand formiert: in Chile wie in der Türkei, in Syrien wie im Iran.

 Bella Ciao sei, so der Autor, „das universelle Lied der Freiheit“ geworden. Und es werde auch in Zukunft eine Rolle spielen, „in welcher Sprache, in welcher sozialen Bewegung das auch immer sein wird.“

Andreas Löhrer: Bella Ciao. Auf den Spuren eines Partisanenliedes. Verlag Edition AV, Bodenburg (2023). 182 Seiten, 16 Euro

Im Buch führt ein QR-Code zu Links und zu verschiedenen Versionen von Bella Ciao und zusätzlichen Materialien. Hier mit dem Audio vom Festival dei Due Mondi 1964 und den beiden „klassischen“ Versionen als Arbeitslied der Mondine und als Freiheitslied der Partisanen sowie weiteren Audio-Beiträgen des Auftritts in Spoleto, die historischen Filmaufnahmen unterlegt wurden.