EINE BRÜCKE ÜBERS GOLDENE HORN


Was bleibt vom Leonardo-Jahr (3): Mailand, sein Territorium und der Nahe Osten – zum Beispiel Leonardos Spuren in der jüngst erschienen Veröffentlichung „Leonardo da Vinci tra Genova e l’Oriente“ 

© Institut de France, Paris

Kühnes Projekt – Detail zum Entwurf einer Brücke von Istanbul nach Galata (Skizze aus den Pariser Manuskripten)

Mailand/ Genua – Leonardo lebt und arbeitet in Mailand vom Winter 1481/82 an bis zum Herbst 1499 und in einer zweiten Phase von 1506 bis 1513. Keine andere Stadt und kein Territorium haben ihn so geprägt und Möglichkeiten zur Entfaltung gegeben wie diese Umgebung. Leonardo ist dabei nicht an die Hauptstadt des Herzogtums gefesselt, sondern oft im Herrschaftsgebiet unterwegs, das von der ligurischen Küste bis ins Tessin reicht. Nach 1506 hält er sich lange in der Villa Melzi in Vaprio auf. Nachweisen kann man Arbeiten von ihm im Kanalsystem rund um Mailand. Möglicherweise hat er die Platzanlage vor der Sforzaburg in Vigevano mit gestaltet. In Locarno war er an den Planungen für die Außenbefestigungen (Ravelin) der inzwischen zerstörten Festung beteiligt. Gesichert ist auch ein Aufenthalt in Genua im Gefolge von Herzog Ludovico für gut zwei Wochen im März 1498. Diesen Spuren Leonardos in Ligurien etwa geht die interessante Veröffentlichung von Cesare Masi Leonardo da Vinci tra Genova e l’Oriente nach.

Dazu gehört etwa der Entwurf zum Bau einer Brücke von Istanbul nach Galata. Leonardo hatte sich in einem Brief an Sultan Bayezid II. Wali von Istanbul mit mehreren Bauvorschlägen angedient, darunter den dieser Brücke über das Goldene Horn. Ein genialer Entwurf, wie Zeichnungen im Pariser Manuskript L dokumentieren. Eine Brücke mit einem durchlaufenden Boden, Spannweite 280 Meter, unter dem „ein Segelboot mit stehendem Mast“ hätte durchfahren können, wie Leonardo schreibt. Dem Sultan aber war die Sache zu heikel, er traute dem kühnen Entwurf nicht. Und forderte angeblich Michelangelo zu einem ähnlichen Projekt auf, von dem es aber keine Belege gibt.

Genua als Mittler zwischen Europa und Kleinasien

Die Geschichte der Brücke, die schließlich erst im 19. Jahrhundert errichtet wird, hat kürzlich Gabriella Airaldi in ihrem Essay Il ponte di Istanbul (Marietti, Bologna 2019) zusammen gefasst. Cesare Masi druckt im Anhang den Text (auch im deutschen Original) der Untersuchung von Franz Babinger und Ludwig H. Heydenreich ab, der nach der Entdeckung einer Abschrift des Leonardo-Briefes an den Sultan in einem türkischen Archiv 1952 entstanden war. Der Leonardo-Brief, wohl aus dem Jahr 1502, wurde aus Genua abgesendet, vermutlich über Franziskaner, die in Galata (Pera) eine Niederlassung hatten. Masi unterstreicht die Bedeutung Genuas als Mittler im Verhältnis von Europa und Kleinasien in der Renaissancezeit. Übrigens haben Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology (Cambridge, USA) jetzt in einem Laborversuch die Leonardo-Pläne untersucht. Und siehe da: die Brücke hätte gehalten!

© Gretchen Ertl/MIT

Leonardos Brückenpläne im US-Labor überprüft – die junge Wissenschaftlerin Karly Bast vom MIT-Team (Cambridge, Massachusetts/USA)

Cesare Masi ist ein promovierter Restaurator und Privatforscher. Der 56jährige geht ausgehend vom Genua-Besuch Leonardos 1498 Spuren nach, die auf Planungen zu einer Festungsanlage auf dem Castelletto-Hügel schließen lassen könnten. Was angeblich Zeichnungen im Codice Atlanticus belegen. Ähnliches gilt für Entwürfe zum Neubau der Lanterna, dem charakteristischen Hafenleuchtturm Genuas, der aus dem Mittelalter stammt, Ende des 15. Jahrhunderts jedoch weitgehend zerstört ist und endgültig 1543 wieder aufgerichtet wird. Hielt sich Leonardo gar öfters in Genua auf? Interessante Hypothesen, die in der Superba wohlwollend aufgenommen werden (- hier in der Tageszeitung Il Secolo XIX), bislang in der wissenschaftlichen Diskussion jedoch keine Rolle spielen.

Cesare Masi: Leonardo da Vinci tra Genova e l’Oriente. Il Castelletto, la Lanterna e il Ponte di Istanbul. Erga edizioni, Genova (2019). 224 pagine., 12.90 Euro