HEUTE HIER, MORGEN DA


Die Fondazione Trussardi versucht in Mailand, unter der Leitung von Beatrice Trussardi, mit Gegenwartskunst in den Alltag hinein zu wirken und öffentliches Bewusstsein zu wecken

© Cluverius

Verhängt: Trussardi-Projekt von Ibrahim Mahama (Ghana) an der Mailänder Porta Venezia – hier in der Aufbauphase

Mailand – „Ich bin eine kulturelle Aktivistin.“ Beatrice Trussardi leitet die 1996 von ihrem Vater Nicola in Mailand gegründete Fondazione Trussardi. „Kunst ist für mich ein Mittel, die Notlagen, die Probleme der Welt zu verstehen,“ sagt die 47jährige in einem Gespräch mit Auslandsjournalisten der Foreign Press Milano. Die Trussardi Kulturstiftung hat gerade zusammen mit der Messe miart und dem Künstler Ibrahim Mahama aus Ghana das Projekt „A Friend“ konzipiert, bei dem die beiden neoklassizistischen Zollgebäude der Porta Venezia in Mailand für zwei Wochen mit Jutesäcken aus der afrikanischen Heimat des Künstlers verhängt wurden. Die historische Stadttoranlage am Beginn des Corso Buenos Aires, Mailands längster Einkaufsstraße, wurde so zu einem Symbol für den Zusammenhang von Konsum, Globalisierung und Emigration.

Beatrice Trussardi studierte unter anderem Art Business & Administration an der New York University. Nach dem Tod ihres Vaters 1999 führte sie das Familienunternehmen von 2003 bis 2013 als Präsident und CEO. Mode, so das Leitmotiv ihres Vaters, ist von der Kleidung über Design bis zur Kochkunst ein kultureller Ausdruck. Nicola Trussardi hatte früh den Bereich der Freizeit als modernen Luxus erkannt. Und nicht wenige Mode-Stylisten würden sich, so Beatrice, heute als Künstler fühlen. 2014 schied sie aus dem Unternehmen aus. Ihren Aktienanteil übernahm ihr Bruder Tomaso, der die Marke Trussardi inzwischen in den italienischen Fondo QuattroR überführte. Seitdem konzentriert sich die Mailänderin ganz auf die Leitung der Kulturstiftung,

© Fondazione Trussardi/Marco De Scalzi

Beatrice Trussardi, geboren 1971 in Bergamo, studiert in New York, zuhause in Mailand

Mit welchem Ziel? Die Fondazione Trussardi ist eine Nonprofit-Einrichtung zur Förderung von Gegenwartskunst. Die Kulturstiftung steht in keiner ökonomischen Verbindung zum Mode-Unternehmen. Finanziell wird die Stiftung neben Beatrice Trussardi, Leiterin seit 1999,  von ihrer Schwester Gaia und ihrer Mutter Maria Luisa Gavazzeni als Mitgliedern getragen, sowie von privaten Sponsoren unterstützt.

Ein Museum unterwegs

2002 wurde der damals gerade 29jährige Kunstkritiker Massimiliano Gioni zum künstlerischen Direktor der Stiftung berufen, Gioni, inzwischen ein internationaler Star der Szene, hat unter anderem 2006 die Biennale Berlin und 2013 die Internationale Kunstbiennale Venedig ausgerichtet und  arbeitet als Mitdirektor des New Museum of Contemporary Art in New York. Anfangs organisierte die Fondazione Ausstellungen in Räumen des Palazzo Marino der Trussardi-Gruppe an der Mailänder Piazza della Scala. Ab 2003 wählte sie die Form eines „Museums unterwegs“.

Ein Museum unterwegs? „Das heißt, wir suchen die Zusammenarbeit mit öffentlichen und privaten Institutionen in der Stadt“, erklärt Beatrice Trussardi. Man wolle – heute hier, morgen da – immer neue Palazzi, Einrichtungen, Anlagen Mailands nutzen und auf sie aufmerksam machen. Mehr noch: „Gegenwartskunst soll in den Alltag wirken, im öffentlichen Raum wahrgenommen werden.“ Wie zuletzt durch die Verhängung an der Porta Venezia, die natürlich Massimiliano Gioni kuratiert hatte. Mailand sei eben die Stadt, wo sich Italien von einer internationaler Seite zeige und „wo Geschichte und Gegenwart in einem lebendigen Dialog stehen“. Für die Projekte wird in der Regel als erstes ein Ort ausgewählt – und dann einen Künstler beauftragt, ihn zu bespielen. In den vergangenen 16 Jahren wurden so rund 30 verschiedene Projekte initiiert.

© Fondazione Trussardi

Den Boden zerstört ? – Installation von Elmgreen & Gargset in der Galleria Vittorio Emanuele in Mailand 2003

Unter ihnen Installationen, die Aufsehen erregten. Etwa als das dänisch-norwegische Künstlerduo Elmgreen & Dragset ein Autounglück mit einem Caravan-Anhänger in der Galleria zwischen Dom und Scala simulierte (2003). Oder als Maurizio Cattelan Puppen wie Selbstmörder in einen Baum der Piazza 24 Maggio hängte (2004). Gioni konzipierte für die Trussardi-Stiftung in Mailand auch große Ausstellungen zum Frauen- und Mutterbild in der Kunst (La grande Madre, Palazzo Reale 2015) oder zum Drama der Emigration (Terra inquieta, Triennale 2017). Auch holte er New Yorker Künstler wie Agnes Denes in die Lombardische Metropole, um im Neubauviertel bei der Porta Nuova ein Areal mit Getreide zu bepflanzen („Wheatfield“ 2015) – zeitgleich zur Expo, die zum Thema Ernährung veranstaltet wurde. Das Gelände wurde inzwischen, wie geplant, zu einem öffentlichen Park umgestaltet.

© Fondazione Trussardi

Weizenfeld Mitten in Mailand – Installation „Wheatfield“ von Agnes Denes (2015)

Dialog und Vernetzung

Öffentlich und privat sollten, so die Chefin der Kulturstiftung, in einem dauernden Dialog die Kulturszene lebendig halten. „Wir wollen Qualität und Akzeptanz von Gegenwartskunst steigern und sie so zu einem Medium sozialer Probleme machen.“ Das gilt nicht nur für die lokale Mailänder Szene. Beatrice Trussardi ist auch im Beirat von Tent Partnership for Refugees vertreten, einer in den USA gegründeten partnerschaftlichen Einrichtung, die Unternehmen, Flüchtlingsorganisationen, Regierungen und Universitäten vernetzt. Und auf der italienischen Seite der Verkaufsplattform Yoox Net-A-Porter kuratiert Beatrice Trussardi zudem das Angebot von Kunst- und Designobjekten – zum Beispiel mit einer Serie von Decken (Migration Moving Blanket) des US-Künstlers Rob Pruitt. Die Unternehmenskultur, so ihre Botschaft, kann die Probleme dieser Welt vielleicht nicht lösen, aber sie sollte sie nicht verdrängen, sondern sich ihnen bewusst sein und versuchen, sie zu verstehen.

Bleibt die Frage nach der nächsten größeren Ausstellung, der nächsten Aktion, Provokation? Die Mailänder Unternehmerin lächelt – und schweigt.

 

Fondazione Nicola Trussardi: Info hier

Siehe auch auf Cluverius die Ausstellungen „La Grande Madre und „Terra Inquieta