im Theater: Freud o l’interpretazione dei sogni


Das Mailänder Piccolo Teatro zeigt Stefano Massinis neuste Bühnenarbeit „Freud oder die Traumdeutung“ in der Regie von Federico Tiezzi

copyright Masiar Pasquali/Piccolo Teatro

Sherlock Holmes der Psyche: Freud umgeben von antiken Artefakten – Fabrizio Gifuni in der Hauptrolle

Mailand (Piccolo Teatro) – Seit dem Erfolg von „Lehman Trilogy“ gilt Stefano Massini als einer der interessantesten Theaterautoren Italiens. Massini, 1975 in Florenz geboren, hat gerade bei Mondadori den Roman „L’interpretatore dei sogni“ (Der Traumdeuter) veröffentlicht. Ein Tagebuch, in dem der Ich-Erzähler Sigmund Freud Therapiegespräche mit seinen Patienten notiert. Mit der bahnbrechenden Arbeit „Die Traumdeutung“ war Freud an der Wende zum 20. Jahrhundert die Grundlegung der analytischen Psychologie gelungen. Wie er aber die Theorie der Traumdeutung aus Therapiegesprächen entwickelt, das spürt Stefano Massini in seinem Buch literarisch fiktiv nach. Im Piccolo Teatro Mailand kam der Text jetzt für die Bühne bearbeitet unter dem Titel „Freud o l’interpretazione dei sogni“ (Freud oder die Traumdeutung) zur Aufführung. Regie führte der Dramaturg, Schauspieler und Kunsthistoriker Federico Tiezzi.

Die Bühne ist lang gezogen wie in einem Cinemascope-Film. Filmisch wirkt auch die mit Schnitttechnik unterbrochene Szenenfolge, die gelegentlich mit Musik (von Johann Strauss über Arnold Schönberg bis Marianne Faithfull) untermalt wird. Man erlebt Freud in einem mit wenigen stilisierten Möbeln und antiken Skulpturen ausgestatteten Arbeitszimmer, der in den Patientengesprächen mit bohrenden, teils kriminalistischen Fragemethoden wie ein Sherlock Holmes der Psyche dem Unbewussten auf die Spur kommen möchte. Zugleich zeigt er sich, von Fabrizio Gifuni eindrucksvoll interpretiert, als ein von Selbstzweifeln beherrschter Grübler.

Der Traum als Drama, das Drama als Traum

In Massinis Roman notiert Freud, dass der Traum sich einer „Darstellung mit Handlung“ bediene, die er „drama onirico“, also „traumhaftes Drama“ nennt. Tiezzi inszeniert nach einer anfänglich eher collagenhaften Reihung von Fällen den Text besonders im zweiten Teil selbst als so ein „drama onirico“. In dem entdeckt Freud bei Analysegesprächen mit seiner Frau Martha sich selbst als Fall. Als ein vom kurz zuvor gestorbenen Vater nie geliebter und schon gar nicht verstandener Sohn, der mit seinem wissenschaftlichen Streben sich selbst geben möchte, was ihm der Vater verweigert hatte.

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Stefano Massini, geboren 1975 in Florenz, Autor, Dramaturg und künstlerischer Berater des Piccolo Teatro

Die Freud-Inszenierung ist der Höhepunkt der Jubiläumsspielzeit 70 Jahre nach der Gründung des Piccolo im Frühjahr 1947 durch Giorgio Strehler, Paolo Grassi und Nina Vinchi. Strehler starb vor zwanzig Jahren Weihnachten 1997. In der Nachfolge führt der Kulturmanager Sergio Escobar das Theater. Ihm stand Luca Ronconi bis zu seinem Tod 2015 als künstlerischer Leiter zur Seite.

Stefano Massini ist inzwischen als künstlerischer Berater des Piccolo in die Fußstapfen von Luca Ronconi getreten und hat damit einen Generationswechsel eingeleitet. Diese Jubiläumsspielzeit trägt auch seine Handschrift. Darin finden sich unter vielen anderen Angeboten das Antimafia-Stück „Fine pena: ora“ (Ende der Strafe: jetzt) von Paolo Giordano, eine Wiederaufnahme von Emma Dantes „Bestie di scena“ (Bühnetiere) oder auch Gastspiele wie „Der Kirschgarten“ in der Inszenierung von Lev Dodin (Maly Drama Teatr St. Petersburg) oder Rimini Protokoll (Stefan Kaegi, Domenic Huber) mit „Nachlass“. Zu den Kontrapunkten zählt etwa Goldonis selten gespieltes Stück „Il teatro comico“ (Das komische Theater), das gerade in der Regie von Roberto Latini zu sehen ist.

In diesem Rahmen spielt die Inszenierung von „Freud o l’interpretazione dei sogni“ eine zentrale Rolle. In der Arbeit von Tiezzi ist sie besonders in den ersten Szenen etwa mit gedehnter Sprechweise deutlich der ästhetischen Tradition eines Luca Ronconi verpflichtet, doch weist sie mit der dann an Tempo gewinnenden Dramaturgie von Massini schließlich darüber hinaus. (Bis 11. März.)

Freud o l’interpretazione dei sogni. Von Stefano Massini.
Für die Bühne bearbeitet von Federico Tiezzi e Fabrizio Sinisi.
Mit (in alphabetischer Reihenfolge): Umberto Ceriani, Nicola Ciaffoni, Marco Foschi, Giovanni Franzoni, Elena Ghiaurov, Fabrizio Gifuni, Alessandra Gigli, Michele Maccagno, David Meden, Valentina Picello, Bruna Rossi, Stefano Scherini,  Sandra Toffolatti, Debora Zuin
Regie: Federico Tiezzi
Bühnenbild: Marco Rossi, Kostüme Gianluca Sbicca
Licht: Gianni Pollini, Video: Luca Brinchi e Daniele Spanò
Eine Produktion des Piccolo Teatro di Milano – Teatro d’Europa

Zum Trailer: hier