in der Oper: Semiramide


Das 40. Rossini Opera Festival in Pesaro überzeugt mit einer Inszenierung der „Semiramide“, der letzten „italienischen“ Oper des Komponisten

© ROF2019

Voller Emotionen und Genderproblematik – Mutter Semiramide und Sohn Arsace (Salome Jicia, Varduhi Abrahamyan)

Pesaro – Die innere Logik des Rossini Opera Festivals (ROF) beruht auf einer einfachen Formel: Das Festival führt die Werke von Gioachino Rossini (1792 – 1868) nach der von der Fondazione Rossini erarbeiteten kritischen Werkausgabe integral auf. Der grösstmöglichsten musikalischen Treue steht eine weitgehende Freiheit in der Interpretation durch Regie und Bühnenbild gegenüber. Diese Dialektik garantiert dem Festival auch 40 Jahre nach seiner Gründung eine Frische, die sich in diesem Jahr mit der Aufführung der „Semiramide“ wieder einmal einstellte.

Unter der musikalischen Leitung von Michele Mariotti, der das Radiosymphonieorchester der RAI dirigierte, konnte die Hauptinszenierung des diesjährigen ROF überzeugen – teilweise sogar begeistern, auch wenn es bei der Premiere ein paar Buh-Rufe für den Regisseur Graham Vick und den Bühnenbildner Stuart Nunn gab.

Vor den riesigen Augen des alten Königs Nino, dessen Tötung durch ein Matrizid gerächt wird, schreibt Vick den mythologischen Stoff vom alten Babylon über verschiedene Zeitstufen bis in die Gegenwart fort. Königin Semiramide (überragend der Sopran Salome Jicia aus Georgien) tritt im Hosenanzug einer Managerin auf, ihr Ex-Geliebter Assur (der Bass Nahuel di Pierro) gibt sich als Lebemann aus dem 19. Jahrhundert, sein Gegenspieler Idreno (der Tenor Antonio Siragusa) trägt das Barockkostüm eines Türken in Italien.

Offen für Gender-Phantasien

Rossini komponierte die „Semiramide“ 1823 als letztes „italienisches“ Werk, bevor er über die Zwischenstation London seinen Lebensmittelpunkt in Paris fand. Die dramatische Oper bildet eine Art Summe seiner Belcanto-Tradition, zu der neben der Abfolge von bis in pyrotechnische Höhen getriebenen Arien und Duetten eine Kastraten-Rolle gehört: der Königssohn Arsace, wundervoll gesungen jetzt vom Mezzosopran Varduhi Abrahamyan aus Armenien. Vick, der in Arsace den Protagonisten der Oper ausmacht, versteckt nun nicht die Frau in Männerkleider, sondern lässt sie frei mit weiblichen Reizen spielen. Die Duette von Mutter Semiramide und Sohn Arsace sind so offen für alle Gender-Phantasien.

© ROF 2019

Arsace vor den Augen des Vaters: Varduhi Abrahamyan, Mezzosopran aus Armenien, ganz fraulich in der „Hosenrolle“

Als die Oper 1992 und 1994 beim ROF aufgeführt wurde, stützte man sich auf eine noch provisorische Ausgabe des Originalmanuskriptes des Komponisten. Erst jetzt liegt die kritische Werkausgabe in endgültiger Form auch gedruckt vor. Auf der Erarbeitung durch die Rossini-Stiftung basieren ebenfalls die beiden Jugendwerke des Komponisten „Demetrio e Polibio“ (1812) und „L’equivoco stravagante“ (1811). Sie liefern in diesem Jahr gleichsam die Beilagen zum Festival, das sein 40jähriges Bestehen mit einem Galakonzert (mit den Stimmen u.a. Anna Goryachova, Juan Diego Flórez) feierte.

Semiramide. Tragische Oper in zwei Akten von Gaetano Rossi. Musik: Gioachino Rossini. Mit u.a. Salome Jicia, Varduhi Abrahamyan, Martiniana Antonie, Nahuel di Pierro, Antonio Siragusa, Carlo Cigni. Chor des Teatro Ventidio Basso. Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI. Dirigent: Michele Mariotti. Regie: Graham Vick. Bühne und Kostüme: Stuart Nunn. Licht: Giuseppe di Iorio. Produktion des Rossini Opera Festival 2019 in Zusammenarbeit mit l’Opéra Royal de Wallonie-Liège. Gesehen am 9.8.

Zum 40. Rossini Opera Festival Pesaro Info hier.