KEINEN EXPRESSIONISMUS BITTE


Thomas Mann und Luchino Visconti in einer Ausstellung in Rom über „Mario und den Zauberer“

 

Thomas Mann beschreibt in seiner Erzählung „Mario und der Zauberer“ ein Urlaubserlebnis aus dem faschistischen Italien der 1920er Jahre. Dabei geht es in einem Badeort – unschwer als Forte dei Marmi zu erkennen – um die Auswirkungen des bedrückenden politischen Klimas bis in die alltäglichen Beziehungen am Strand und in den Ferieneinrichtungen. Die Erzählung gipfelt in einer Abendveranstaltung mit dem verkrüppelten Zauberer Cipolla und endet tragisch mit seinem Tod. Der Thomas-Mann-Verehrer Luchino Visconti zeigt sich nach dem Krieg begeistert von dem Stoff. Er entwickelt daraus im Sommer 1952 das Libretto für ein Ballett, das sein Schwager, der spätere Filmkomponist Franco Mannino, für eine Aufführung von „Mario e il Mago“ an der Mailänder Scala vertont.

Im Frühjahr 1953 kommt Thomas Mann aus der Schweiz nach Rom. Bei einem Empfang trifft er Visconti und Mannino und lässt sich das Libretto wie auch die Partitur zeigen. Mannino beschreibt in seinen Erinnerungen diese Begegnung, bei der Visconti „blass vor Aufregung“ ist. Doch Thomas Mann lobt „mit festem und zustimmendem Blick“ die Arbeit. „Bravo“, sagt er, „ich befürchtete, sie hätten im expressionistischen Stil komponiert. Ich bin froh darüber, dass sie es nicht getan haben. Niemals Expressionismus in meinen Arbeiten!“ Die Aufführung an der Scala wird allerdings mehrfach verschoben. Erst im Februar 1956, sechs Monate nach dem Tod des Schriftstellers im August 1955 in Zürich, kommt es zur Premiere, an der dann seine Tochter Elisabeth Mann Borgese teilnimmt.

Die italienische Germanistin Elisabeth Galvan hat jetzt in Rom in der Casa di Goethe eine kleine Ausstellung über die Erzählung und ihre musikalische Umsetzung in Zusammenarbeit unter anderem mit dem Buddenbrookhaus Lübeck und dem Thomas-Mann-Archiv Zürich eingerichtet. Zu sehen sind Fotografien, Zeichnungen, Filmausschnitte, Briefe und Buchausgaben. Die Ausstellung geht von einer Urlaubsreise aus, die Thomas Mann selbst mit seiner Familie 1926 in Forte dei Marmi an der versilischen Küste unternommen hatte. Bei dieser Reise wohnte er auch der Veranstaltung mit dem Zauberer bei, die er dann in seiner Novelle so dramatisch schilderte – das tragische Ende jedoch hinzudichtete. Aber seine italienische Erzählung entstand erst 1929, als Thomas Mann mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, während eines Ferienaufenthaltes an der Ostseeküste. Da er sich auf „beschäftigungslose Erholung“ nicht verstand, beschloss er seine Vormittage mit einer Arbeit zu füllen, „die im bequemsten Sinn des Wortes ‚aus der Luft gegriffen’ werden konnte.“ Aus der Luft eines politischen Klimas, das inzwischen auch in Deutschland das Atmen schwer machte.

Visconti verlegte die Handlung ins Jahr 1935 und stellte ganz den Zauberer Cipolla in den Mittelpunkt, der sein Publikum manipuliert. Von der Umsetzung durch Visconti und Mannino zeugen in der Ausstellung ein Video mit Szenenfotos, eine historische Aufnahme der Ballett-Musik als Audio, aber vor allem bislang wenig bekannte originale Figurenstudien und Bühnenbildentwürfe aus dem Archiv der Mailänder Scala. Darin, so Maria Gazzetti, die Direktorin der Casa di Goethe, könne man unschwer ein „ästhetisches Vorspiel“ für die spätere Visconti-Arbeit des „Tod in Venedig“ erkennen.

Visconti zeigt sich als Seelenverwandter von Thomas Mann. Und wo die Novelle im historischen Rahmen eindeutig vor einer kommenden Gefahr warnt, setzt sich das Ballett nicht nur rückblickend mit einer vergangenen Epoche auseinander. Die Warnung bleibt bestehen – bis heute.                                                                                                               Henning Klüver

Mario und der Zauberer – Thomas Mann und Luchino Visconti erzählen vom faschistischen Italien. Casa di Goethe, Rom, bis 26. April 2015. Begleitheft 8 Euro. Info: Info: http://www.casadigoethe.it

Erstveröffentlichung in der Süddeutschen Zeitung vom 23. März 2015