Die Wortlandschaften eines Nanni Balestrini


Im deutschen Sprachraum ist Nanni Balestrini vor allem als Autor politischer Romane wie „Wir wollen Alles“ über die Fiat-Kämpfe (1971) bekannt. Doch der vor 80 Jahren in Mailand geborene Balestrini ist ein kultureller Tausendsassa, der als Lyriker, Essayist, Übersetzer (etwa von Ingeborg Bachmann), Lektor (bei Feltrinelli), Herausgeber, Organisator und bildender Künstler die italienische Szene seit den späten 1950er Jahren nachhaltig beeinflusst hat. 1961 komponierte er mit einer kartenprogrammierten Rechenmaschine von IBM sein Gedicht „Tape Mark I“. Mit experimentellen Texten, mit Wort- wie Bildcollagen trug er entscheidend zur Bildung der neo-avantgardistischen „Gruppe 63“ bei, zu der damals auch junge Intellektuelle wie Umberto Eco oder Edoardo Sanguineti gehörten.

Wegen seines politischen Engagements kam er unter Terrorismusverdacht und floh 1979 nach Paris, wo etwa das Langedicht „Blackout“ entstand, das vor kurzem im Wiener Klever Verlag in der Übersetzung von Andreas Löhrer auch auf Deutsch erschien ist. 1984 wurde das Verfahren gegen ihn eingestellt und Balestrini konnte nach Italien zurückkehren. Mit unterschiedlichen Texten, etwa mit der Mafia-Erzählung „Sandokan“ (2004) aber auch mit bildnerischen Arbeiten, mischte sich der „vielseitige Anreger und Beweger“, wie Peter O. Chotjewitz ihn mal genannt hatte, weiterhin in kulturelle und gesellschaftliche Debatten ein.

Unter dem Titel „Nanni Balestrini – Landschaften des Wortes“ ist jetzt ein kleiner Band erschienen, der mit Texten von und über ihn die Vielfalt seines Werkes einem größeren Publikum vorstellen möchte. Cover BalestriniDarin wird besonders der Lyriker Balestrini gewürdigt. Aber der Band enthält auch Ausschnitte aus auf Deutsch bislang nicht veröffentlichten Prosatexten zum Beispiel über den Amtsantritt von Berlusconi 1994 („Eines Morgens sind wir aufgewacht“). Heute nennt sich Nanni Balestrini ein Glückskind, das zwei wundervolle Zeiten wie die Neo-Avantgarde der 1960er Jahre und die politische Bewegung der 1970er Jahre erleben durfte, was es ihm erlaubt, „ohne Resignation das ganze spätere Elend zu ertragen“.

Nanni Balestrini – Landschaften des Wortes. Herausgegeben von Thomas Atzert, Andreas Löhrer, Reinhard Sauer und Jürgen Schneider. Verlag Assoziation A, Hamburg/Berlin 2015. 226 Seiten, 16 Euro.