MIT ANGELICA TANZEN


Ein Führer durch die neuere sizilianische Literaturgeschichte von Maike Albath, die Neuübersetzung von Giuseppe Tomasis Roman „Der Leopard“ durch Burkhart Kroeber und ein Lesemarathon der Vereinigung Deutsch-Italienischer Kulturgesellschaften

© Cluverius

Das Palermo des Leoparden – Blick auf den Foro Italico und das Kalsa Viertel

Mailand/München – Italien ist ein regional geprägtes Land, ein Flickenteppich vieler kultureller Einflüsse und lokaler Eigenarten. Das gilt für die Küche wie für die Literatur. Kaum eine Region des Landes hat im vergangenen Jahrhundert eine so reiche Literaturszene hervorgebracht wie Sizilien. Maike Albath hat ihr unter dem Titel Trauer und Licht ein facettenreiches  Buch gewidmet, das man mit Gewinn liest. Der größte Teil ist Giuseppe Tomasi di Lampedusa und seinem Roman Il Gattopardo („Der Leopard“) gewidmet. Einen „Jahrhundertroman“ nennt ihn Burkhart Kroeber, der ihn gerade neu übersetzt hat –  und dafür vielfach gelobt wird (unter anderem hier von Maike Albath). „Der Leopard“ stand jetzt auch im Mittelpunkt eines Lesemarathons der Vereinigung Deutsch-Italienischer Kulturgesellschaften.  Texte aus dem Roman wirden bei gleichzeitigen Veranstaltungen von rund 30 Mitgliedergesellschaften in ganz Deutschland gelesen.

Mit Trauer und Licht ist der 54jährigen Romanistin und Literaturkritikerin Maike Albath (Alfred Kerr Preis 2003) ein spannender Literaturführer durch eine kulturreiche Region wie Sizilien gelungen. Es ist eine Reise in die Vergangenheit: Neben Giuseppe Tomasi (gestorben 1957)  stellt sie Autoren wie Giuseppe Verga (gestorben 1922), Federico De Roberto (1927), Luigi Pirandello (1936) oder Elio Vittorini (1966) vor, wandelt auf den Spuren von u.a. Vitaliano Brancati (1954), Stefano D’Arrigo (1992) oder Leonardo Sciascia (1989) und setzt sich natürlich mit Andrea Camilleri (2019) auseinander. Blass bleibt Gesualdo Bufalino (1996) – eine Autorin wie Simonetta Agnello Hornby (geboren 1945, lebt in London) fehlt überraschend ganz.

Liebevolle Porträts, kritische Analysen

Faszinierend bewegt sich Maike Albath zwischen wissenschaftlichem Essay und Reisereportage,  liebevollen Porträts und kritischen Analysen. Vermutlich hat sie dafür unterschiedlichen Recherchen mit einer Reihe von Gesprächen zusammen geführt. Gerade durch diese vielschichtige Form kann sie den mannigfaltigen literarischen Aspekten der größten Mittelmeerinsel und ihrer Kultur gerecht werden. Es geht dabei auch um die Verschränkungen der Literatur mit dem Privaten  ebenso wie mit der Gesellschaft. Glänzend die Abschnitte über den sizilianischen Mann („Mütter und Söhne“).

© Wikimedia Commons

Der Autor des Leoparden – Giuseppe Tomasi di Lampedusa (1896-1957)

Aber allein der erste Teil über Tomasi di Lampedusa, seine biographischen Verwicklungen und die Geschichte seines Romans, der über ein Drittel des Buches umfasst, macht „Trauer und Licht“ zur (angenehmen) Pflichtlektüre für alle, die sich mit sizilianischer Literatur beschäftigen möchten. „Anschaulich und detailreich erzählt“, lobt es auch der inzwischen 79jährige Burkhart Kroeber im Nachwort zu seiner Neuübersetzung des Leoparden.

Auf einer Stufe mit den Klassikern der Moderne

Zwei Mal ist der „Gattopardo“  bereits ins Deutsche übersetzt worden, von Charlotte Birnbaum („Der Leopard“, Piper 1959) und von Giò Waeckerlin Induni („Der Gattopardo“, Piper 2004). Burkhart Kroeber hat sich in Nachwort zu der dritten, jetzt vorliegenden Übersetzung entschlossen, weil die beiden vorausgegangenen „den hohen stilistischen Wert dieses Romans nicht gebührend erkennen lassen, geschweige denn selber erreichen.“ Er sei alles andere als nur die literarische Vorlage zur berühmten Verfilmung von Luchino Visconti, denn er stehe auf einer „Stufe mit den Klassikern der Moderne seit Proust und Joyce (zu denen in Italien auch Svevo und Pirandello gehören).“

Neu übersetzt: Der Leopard, ein Jahrhundertroman

Auf der Internetplattform Tralalit hat sich Burkhart Kroeber ausführlich mit den Mängeln der beiden älteren Verdeutschungen beschäftigt. Vor allem kehrt er zum Titel „Der Leopard“ zurück. Italien nennt eine in Mittel- und Südamerika heimische kleine Wildkatze gattopardo (Ozelot im Deutschen). Eine Tierart, die es auf Sizilien gar nicht gibt. Eine Reihe von Kritikern wollte darin, dass Tomasi di Lampedusa den Titel seines Romans nach einem eher kleinen Tier wählte, einen versteckten Hinweise auf den Machtverlust des sizilianischen Adels erkennen.

Doch im Wappen derer di Lampedusa sei, so der Übersetzer, ein „löwenähnlicher Panther mit Krone“ abgebildet, und als Löwe fühle sich Don Fabrizio manchmal ja wirklich „etwa beim Einzug in den Dom von Donnafugata oder auf dem Ball beim Tanz mit Angelica.“ Des Rätsels Lösung: Der Titel „Il Gattopardo“ sei nichts anderes als eine Wortschöpfung, die sich auf gattupardu, einer Dialektvariante im Sizilianischen für leopardo, gründe.

Wappen der Familie Tomasi di Lampedusa

Lesemarathon mit Leopard

Keine Frage, Burkhart Kroebers Übersetzung liefert dem deutschsprachigen Publikum einen guten Anlass, sich in diesem Meisterwerk der romanischen Literatur zu verlieren und gleichsam wie Don Fabrizio mit Angelica zu tanzen.  Oder sich von seinem Neffen Tancredi sagen zu lassen: „Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann muss sich alles ändern.“ Mit der stimmungsvollen Erzählung eines Leben vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und politischer Veränderung einer Region, bietet der Autor auch Einblicke und damit Verständnis für eine nationale, mehr noch: für eine europäische Geschichte.

Bei dem Lesemarathon der Vereinigung Deutsch-Italienischer Kultur-Gesellschaften, der in diesem Jahr  zum sechsten Mal veranstaltet wurde, konnte man in sie eintauchen.  Die Vereinigung möchte bekannten und unbekannten italienischen Werken und Autoren ein Forum bieten und zu deren Neu- bzw. Wiederentdeckung einladen. Zeitgleich fanden Lesungen in zahlreichen deutschen Städten von Lübeck bis Dresden, von Bielefeld bis Stuttgart statt.

Für die Auftaktveranstaltung in München hatten sich Gioacchino Lanza Tomasi, Adoptivsohn von Giuseppe Tomasi di Lampedusa, sowie der Übersetzer Burkhart Kroeber angesagt. Die Auswahl der Texte hatte Maike Albath übernommen.

Maike Albath: Trauer und Licht. Lampedusa, Sciascia, Camilleri und die Literatur Siziliens. Berenberg Verlag, Berlin 2019. 352 Seiten, 25 Euro

Giuseppe Tomasi di Lampedusa: Der Leopard. Roman. Neu übersetzt von Burkhart Kroeber. Piper Verlag, München 2019. 399 Seiten, 24 Euro.

Infos zum Lesemarathon der Vereinigung Deutsch-Italienischer Kultur-Gesellschaften (VDIG) hier. Anfang Juni veranstaltet die VDIG) ihre traditionell alle zwei Jahre veranstaltete Kulturbörse diesmal in Düsseldorf.