MUSIKER OHNE MASKEN


Die Scala öffnet virtuell die Türen – ein Projekt in Zusammenarbeit mit Google Arts & Culture. Musik soll wieder ab Herbst erklingen, der Neustart beginnt mit Verdis Requiem

© Cluverius

Warten auf bessere Zeiten – in der Auszeit präsentiert sich die Scala virtuell

Mailand –  Opernbühnen in aller Welt stellen während der durch die Pandemie erzwungenen Zeit der Schließung Eigenproduktionen vergangener Spielzeiten online. Die Mailänder Scala geht noch einen Schritt weiter und präsentiert sich jetzt digital als ein Haus der offenen Tür – und was für eins! In Zusammenarbeit mit Google Arts & Culture kann man in die Bühnengeschichte der 1778 eröffneten Oper eintauchen:  240 Tausend Fotografien und 16 Tausend Musikdokumente aus dem Archiv sind virtuell abrufbar. Google Arts & Culture gibt seit einigen Jahren die Möglichkeit, mehr als 2000 Einrichtungen der Kunst und der Kultur (Werke, Museen, Ausstellungen, Bühnen etc) aus 80 Ländern online kennen zu lernen. Das Scala-Projekt wurde jetzt bei einer Online-Pressekonferenz vorgestellt.

Mit der street-view-Technik wird der digitale Gast der Scala außerdem durch das ganze Opernhaus geführt, vom Foyer bis auf die Bühne – sogar durch den Souffleurkasten -, von den Künstlergarderoben bis zu den Probesälen und zum Scala-Museum.  Das gilt auch für die Werkstätten, die im einem ehemaligen Fabrikgebäude der Ansaldo-Werke am Stadtrand untergebracht sind. Mit einer von Google entwickelten Spezialkamera werden einige historische Kostüme etwa von Maria Callas in fotografisch höchster Auflösung vorgestellt, bei denen man bis auf Großaufnahmen einzelner Knöpfe und Nähte heranzoomen kann.

Verdi in Quarantäne

Die „Öffnung“ der wohl berühmtesten Opernbühne der Welt wirkt in von Corona geprägten Zeiten wie perfekt getimt. Doch arbeiten Google und die Scala seit geraumer Zeit an diesem aufwendigen Projekt, bei dem ebenso das weniger fachlich vorgebildete Publikum durch verspielte Elemente, zum Beispiel mit leichte Quizfragen, angesprochen wird. Den Coronazeiten ist dagegen eine wundervolle Einspielung mit 92 Musikern der Scala (Orchester, Chor, Sänger) verpflichtet, die zusammen, aber jeder einzeln in Quarantäne von zuhause aus, das Finale des 1. Aktes von Verdis Simon Boccanegra konzertant zum Besten geben: „E vo gridando: pace! E vo gridando: amor!“

© Teatro alla Scala / Google Arts & Culture

In Dokumenten stöbern – Handschrift Nabucco (Version für den Chor) mit Verdi Signatur

Und wer sich mit Trailern auf der Google-Plattform etwa zur Tosca oder zur Carmen nicht zufrieden geben will, der kann noch bis zum 20.Mai zum Beispiel die integrale Fassung von  Così fan tutte (Barenboim/Guth 2014) oder Andrea Chénier (Chailly/Martone 2017/2018) abrufen.

20 Millionen Euro Verlust

Musik wieder analog in der Scala zu erleben, darauf muss man wohl noch bis zum Herbst dieses Jahres warten. Intendant Dominique Meyer, seit Anfang März offizielle im Amt, setzt auf Normalität. „Abstandhalten ist in einem Theater wie der Scala unmöglich,“ sagt er in einem Interview mit dem Corriere della Sera. Die Türöffnungen und die Gänge seien viel zu eng. Wenn man jeden Besucher an seinen Platz führen würde ausgehend von dem Mittelplatz jeder Reihe, würde es Stunden brauchen. Und wenn sich in jeder der 150 Logen nur ein Besucher setzten könnte, wäre das „ein schwerer wirtschaftlicher Verlust.“ Dominique Meyer hofft auf einen Start im September, „wenn es grünes Licht gibt.“

Dann wird man auch sehen, ob Publikum und Platzanweiser Mundnasen-Masken tragen müssen. „Sicher nicht die Sänger und die Musiker.“ Im Orchestergraben könne man zudem keine Abstandsregeln einhalten. Es soll dann mit Verdis Requiem – wie einst mit Toscanini nach dem zweiten Weltkrieg –  und Beethovens Neunter beginnen. Ein Abend, der auch in den Städten Bergamo und Brescia, die besonders von der Covid19-Epedemie betroffen worden waren, wiederholt werden soll. Durch die Schließung habe die Scala, so Meyer, bislang einen Verlust von rund 20 Millionen Euro zu beklagen. Um möglichst dennoch einen weitgehend ausgeglichen Haushalt vorzulegen, würde man jetzt in der zweiten Saisonhälfte alte  Produktionen wie die Aida oder die Traviata wiederaufführen. Die Neuinszenierung der Salome (Chailly/Michieletto) – „wir waren zehn Tage vor der Premiere, als der Lockdown kam“ – wird auf die kommenden Spielzeit verschoben wie andere Neuproduktionen auch.

Der Intendant setzt ebenso auf die Solidarität von Künstlerinnen wie Anna Netrebko oder Anne-Sophie Mutter, die im November zu Konzertauftritten an die Scala kommen könnten. Aber es werden wohl noch einige Wochen ins Land gehen, bevor man in Mailand das Ende dieser Spielzeit und den Ablauf der kommenden genau vorhersehen kann.