„DAS IST BEI MIR NATUR“


Ein Gespräch mit der Sopranistin Nino Machaidze über ihre Kindheit in Georgien, die Ausbildung an der Akademie der Scala, Angelina Jolie sowie die Liebe zu Mailand (zu Italien) und zu einem Bariton

Nino Machaidze wie sie sich auf ihrer Facebookseite präsentiert

Nino Machaidze wie sie sich auf ihrer Facebookseite präsentiert

Mailand (2009) – Nino Machaidze, geboren 1983 in Tiblis, lebt seit vier Jahren in Mailand. Nach ihrem sensationellen Auftritt in Salzburg im vergangenen Jahr als Juliette in Gounods „Romeo et Juliette“ als Partner von Rolando Villazón ist die sympathische Georgierin auf dem besten Weg, ein internationalen Star zu werden. Beim Treffen in der Halle eines großen Hotels unweit ihrer Mailänder Wohnung wirkt sie selbstbewusst und zugleich locker wie eine Studentin nach bestandenem Examen. Es ist Mitte August, die Stadt kocht vor Hitze und sie trägt Jeans und eine kurzärmelige braune Bluse, die von der Taille glockenhaft über die Hosen fällt. Am Tag darauf wird sie nach Los Angeles fliegen. Sie lacht gerne und viel. Auch in diesem Gespräch.

Sie kommen gerade aus Georgien?

Nino Machaidze: Ja ich war eingeladen, bei einem Konzert zu Ehren des amerikanischen Vizepräsidenten Joe Biden zu singen, der unserer Hauptstadt besucht hat. Und dann habe ich noch ein paar Tage mit meiner Familie verbracht.

Da geht es sicher hoch her?

Wir sind die ganze Zeit zusammen, lachen und haben Spaß.

Ist das eine große Familie?

Meine Mutter ist leider vor sechs Jahren gestorben. Aber mein Vater ist noch da, mein Bruder und mein Onkel, der mit uns zusammenlebt. Und dann sind da noch die anderen Verwandten in der Stadt, ganze viele Kusinen. Eine große Familie eben.

Gibt es da noch andere Musiker, der Komponist Nika Machaidze, der unter dem Künstlernamen Nikakoi unter anderem für Botho Strauß gearbeitet hat, ist der mit ihnen verwandt?

Nein, den kenne ich gar nicht. Aber ich bin der einzige Musiker in der Familie. Meine Mutter war Lehrerin für die georgische Sprache, mein Vater ist Ökonom, arbeitet jetzt jedoch nicht mehr. Auch unter den Großeltern gibt es keine Musiker. Ich bin die einzige.

Wie sind sie also zur Musik gekommen?

Als Kind habe ich immer gesungen, beim Spielen, immer. Meine Mutter hat mich mit sechs Jahren bei einer Schule angemeldet, die dem Konservatorium angegliedert war. Heute gibt es diese Art Schule gar nicht mehr. Sie hat mich damals für die Klavierklasse angemeldet. Jedoch auch beim Klavierspielen habe ich immer gesungen. Endlich hat die Klavierlehrerin, die eine große Opernliebhaberin war, zu meiner Mutter gesagt: „Hören sie, bringen sie das Kind zur Gesangslehrerin, da ist es besser aufgehoben.“ Da war ich acht Jahre alt.

Und ein lebhaftes Kind?

Und wie! Ich hatte viele Freundinnen. Und noch mehr Puppen, ganz viele Puppen. Und die Freundinnen kamen zu uns, denn sie wollten Mütter dieser Puppenkinder sein. Wir machten auch kleine Aufführungen mit den Puppen. Wir tanzten und wir sangen. Wir sangen eigentlich immer.

Auch in der Schule.

Ja, bis zum 17. Lebensjahr. Meine Mutter hatte mich noch für einen weiteren Kurs angemeldet, für die Querflöte. Denn wir hatten gehört, dass das Flötenspiel gut für die Erweiterung des Zwerchfells sein sollte. So habe ich in den beiden Kursen vom Solfeggieren an die Grundlagen der Musik gelernt. Und mit siebzehn war ich dann fertig und wechselte auf das Konservatorium.

Traumland Italien, die Heimat der Oper

Mit einem Lebenstraum?

Ja, ich wollte nach Italien, wollte an der Scala singen.

Warum Italien?

Das ist doch der Traum aller Sängerinnen und Sänger. Italien ist die Heimat der Oper, oder? Einige wollen dann lieber an der Staatsoper in Wien singen oder in Deutschland oder sonst wo. Aber ich wollte an die Scala, wollte nach Italien. Schon immer. Und als es die Chance gab, habe ich mich angestrengt, die Beste zu sein.

Dann haben sie sich ein Flugzeug genommen…

So einfach war das nicht. Die italienische Botschaft in Georgien hatte ein Stipendium für einen halbjähriges Studium am Konservatorium in Mailand oder Rom ausgeschrieben. Voraussetzungen waren herausragende Leistungen am Konservatorium in Tiblis und eine gewisse Kenntnis der italienischen Sprache.

Und sie waren die Beste.

Ich gehörte zum Glück zu den Besten. Ich hatte bereits an der Oper in Tiblis gesungen. Ich war überglücklich. Ich durfte nach Italien!

Wann war das?

Im Sommer 2005. Und der italienische Botschafter in Georgien, der mich bereits auf der Bühne gehört hatte und ein großer Freund der Oper war, hat mir gesagt: Hör mal, bei der Scala wird gerade der nächste Jahrgang für die Sänger-Akademie ausgewählt. Warum bewirbst du dich da nicht? Und dann bin ich nach Mailand geflogen.

Gab es viele Bewerber?

Vierhundert. Darunter ganz viele Sopransängerinnen. Alle Mädchen träumen von einer Karriere als Sopran. Aber nur neun Sänger und Sängerinnen wurden aufgenommen. Und ich war dabei! Unglaublich, ein Traum! Ich habe dann das Stipendium am Mailänder Konservatorium zurückgegeben, das hat jemand anderes bekommen. Dafür habe ich ja zwei Jahre lang an der Scala lernen dürfen. In der Master-Class mit der großartigen Mirella Freni, mit Luigi Alva oder Renato Bruson. Auch da gab es ein Stipendium, man konnte damit sogar die Miete bezahlen, die in Mailand nicht ganz billig ist.

Vor Glück geweint

Sie waren damals gerade 22 Jahre alt und schon ließ man sie auf die Bühne der Scala?

Sofort. Ich habe riesiges Glück gehabt. Im Oktober fing die Akademie an, im Dezember durfte ich bereits bei einem Mozart-Abend das „Esultate Jubilate“ singen.

Da muss ihnen doch das Herz in die Hose gerutscht sein?

Nein, ich war so glücklich, so unermesslich glücklich, dass ein Traum in Erfüllung gehen würde, dass ich in der Scala singen und dann den Applaus des Publikums hören sollte. Dieses Glücksgefühl hat jedes Lampenfieber unterdrückt.

Das Publikum hat geklatscht?

Ja. Und ich habe geweint. Vor Glück.

Das war der Anfang.

Danach hat man mir immer wieder Rollen an der Scala gegeben, in „Così fan tutte“, „La Fille du Regiment“, „Ascanio in Alba“, „Gianni Sticchi“, die Musetta in „La Boheme“.

Dann kam Salzburg. War das der Durchbuch?

Ja, mit der Juliette konnte ich mich der Welt bekannt machen. In Italien, in Mailand, Parma, Bologna, Rom hatte ich mir schon ein Namen gemacht. Aber nach dem letzten Sommer in Salzburg haben sich neue Straßen geöffnet, neue Träume aufgetan.

Ihre nächsten Engagements sind…

…morgen fliege ich nach Los Angeles. Da gebe ich die Adina in „L’Elisir d’Amore“. Zum ersten Mal. Und zum ersten Mal trete ich auch in den USA auf. Danach kommt dann München, wieder die Adina. Ich freu mich schon riesig.

Beide Mal ist Giuseppe Filanoti ihr Partner. Könnten Machaidze/Filanoti ein Bühnen-Paar werden wie Netrebko/Villazón?

Ach… Mit Rolando mache ich die „L’Elisir d’Amore“ im kommenden Jahr an der Scala.

Rolando…

Villazón.

Die Angelina Jolie der Oper

Sie mögen vielleicht solche Vergleiche nicht: die „Angelina Jolie der Oper“ kann man über sie lesen.

Das stört weniger. Angelina Jolie ist eine schöne Frau, solange ich mit einer solchen Bellezza verglichen werde, ist das nur angenehm.

Als junge Sängerin muss man sich erste eine Identität aufbauen…

Ich habe meine Identität. Vielleicht ähnele ich ein bisschen der Jolie, aber ich tue nichts dafür. Ich ziehe mich nicht wie sie an, bewege mich nicht wie sie.

Sie sind sowieso gut im Geschäft.

Bis 2013 bin ich ausgebucht.

In welche Richtung wollen sie ihre Stimme entwickeln?

Meine Möglichkeiten liegen im Belcanto, in der leichten Oper zur Zeit. Wie die Juliette eben. Ich bin jetzt 26 Jahre alt. Wenn ich 30 bin, mal sehen, dann möchte ich die Traviata singen und Manon und die Mimi, nicht die Musetta, in „La Boheme“.

Wie arbeiten sie, haben sie noch einen Lehrer?

Nein, ich arbeite alleine. Manchmal bleibe ich nach den Regieproben noch im Theater, wärme die Stimme und singe dann entweder die Oper durch oder probiere einzelne Passagen für mich allein. Auch wenn ich freie Tage habe, gehe ich oft ins Theater und arbeite mit der Stimme.

Zu Hause nicht, ihre Nachbarn kommen nicht in den Genuss ihrer Stimme?

Nein, nein. Ich gehe immer ins Theater. Und die Nachbarn müssen das auch tun, sie müssen zur Vorstellung kommen, wenn sie mich hören wollen.

Joggen nein Danke, Schwimmen ja

Zum Ausgleich treiben sie einen Sport, joggen zum Beispiel?

Joggen, wie schrecklich, nein. Ich gehe gerne ins Schwimmbad. Ich liebe Wasser, ich mag gerne Schwimmen, das entspannt. Aber Laufen? Nein, das ist nichts für mich.

Es gehört viel Selbstdisziplin, viel innere Ordnung zum Beruf des Sängers.

Man muss viel arbeiten, viel lernen, besonders in diesen Monaten. Das sind lauter Debüts. Ich muss ganz viele Rollen zum ersten Mal lernen.

Auch das Theater hat eine innere Ordnung. Folgen sie gerne etwa den Anweisungen des Regisseurs?

Ja doch, das gehört zur Professionalität. Manchmal, wenn ich einen eigenen Einfall habe, frage ich: Können wir das auch so machen? Und wenn der Regisseur einverstanden ist, machen wir das dann so.

Sie gehören zu einer neuen Generation von Sängern, von denen mehr Bühnenpräsenz, mehr theatralisches Spiel verlangt wird. Bereiten sie sich darauf besonders vor?

Nein, ich habe keine besondere Schauspielausbildung. Das ist bei mir Natur, das kommt von selbst, das habe ich in mir. Aber das gefällt mir, dieses Theater auf der Bühne.

Ziehen sie eine moderne Interpretation einer traditionellen vor?

Das kommt darauf an. Wenn mir der Regisseur klar macht, warum ich zum Beispiel auf den Tisch springen muss, dann mache ich das. Ich muss verstehen, warum ich etwas tun soll. Ob modern oder traditionell hängt von der Konzeption ab, ob sie stimmig ist.

Die Liebe zum Theater

Setzen sie sich inhaltlich mit ihren Rollen auseinander?

Wenn ich singe, werde ich ganz die Person, die ich darstelle. Ich liebe alles, was ich singe. Das sind alles schöne Rollen, die Musik ist herrlich. Alles, was ich im Theater mache, liebe ich.

In Los Angeles wird die „L’Elisir d’Amore“ von Stephen Lawless inszeniert, in München von David Bösch. Kennen sie die Regisseure, ihre Konzeptionen?

Nein, ich lass mich überraschen.

Wenn Sie zu nach den Proben nach Hause kommen, was machen sie dann – im Internet surfen?

Manchmal, wenn man unterwegs ist, dann ist man auch viel allein, da ist das Internet schon ganz praktisch. Dann rufe ich meinen Vater an. Und er erzählt von seinem Tag, und ich erzähle von meinem. Oder ich rede mit meinem Bruder. Oder mit meinem Verlobten.

Der lebt…

… in Mailand.

Ein Musiker?

Ein Bariton.

Und Facebook?

Ja, schon aber nicht so oft. Ich habe eine eigene Seite, aber ich hocke nicht sklavisch vor dem Computer. Dafür muss ich viel zu viel arbeiten. Immerhin gibt es jetzt eine Seite „Willst du Fan von Nino Machaidze werden?“ Manchmal kann das Internet gang unterhaltsam sein.

Sind sie ein ordentlicher Mensch, räumen sie immer auf?

Nicht immer. Aber Ordnung hat schon seinen Wert. Ich finde es zum Beispiel schön, wenn die Wohnung aufgeräumt ist, wenn sie sauber ist. Aber wenn ich morgens aufwache und keine Lust habe, aufzuräumen, dann räume ich eben später auf. Es muss nicht immer alles sofort gemacht werden, ich bin da nicht verbohrt.

Gefällt ihnen Italien, weil man da mit der Ordnung etwas flexibler als anderswo umgeht?

Mir gefällt Italien, weil es Georgien ähnelt. Auch die Menschen ähneln einander. Das sagen alle. Sie sind herzlich, lebhaft, freundschaftlich.

Mailand als zweite Heimat

Vielleicht wollten sie auch deshalb nach Italien?

Vielleicht. Auf jeden Fall fühle ich mich hier wie zu Hause. Mailand ist meine zweite Heimat geworden. Die Stadt bietet sehr viel. Und hier habe ich auf der Akademie gelernt, hier ist die Scala, hier ist mein Zuhause.

Wenn sie mit ihrem Vater reden, reden sie dann auch über die nicht immer einfache politische Ordnung in Georgien?

Ich beschäftige mich nicht mit Politik. Aber ich habe bei meinem Besuch in diesem Sommer in Tiblis gesehen, dass die Stadt sich langsam zum Besseren entwickelt. Sie wird schöner, sauberer, es gibt eine bessere Straßenbeleuchtung. Und was die Politik angeht: Der Frieden ist für uns schon wichtig, auch im Verhältnis zu Russland. Ich hoffe sehr auf eine friedvolle politische Entwicklung, schließlich lebt meine Familie da.

Könnten sie sich vorstellen für immer nach Georgien zurück zu kehren?

Nein, nein. Meine Welt ist jetzt hier. Die Bühnen sind meine Welt. Ich möchte mir meinen Platz in der Welt der Oper erobern und ihn dann behaupten können. Ich möchte einfach Nino Machaidze, Sängerin, sein. Heute in Mailand und morgen in Los Angeles.

Und übermorgen in München.

Und übermorgen in München.

 

copyright Facebook Nino Machaidze 2017

Nino Machaidze, geboren 1983 in Tiblis (Georgien)

Des Gespräch wurde im August 2009 in Mailand geführt.
Veröffentlicht in der Ausgabe Oktober 2009 des Magazins der Bayrischen Staatsoper „Max Joseph“