„WIR WAREN NICHT ALLEIN“


Ein Besuch bei Dario Fo, der seinen 90. Geburtstag feiert

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Dario Fo in seinem Arbeitszimmer- 90 Jahre am 24. März

Mailand – Dario Fo sitzt in seinem Arbeitszimmer an einem langen Holztisch, der mindestens so alt ist wie sein 90jähriger Besitzer. Er trägt einen fleckigen Arbeitskittel, für den er sich entschuldigt. Seine Finger, mit der er ein Blatt im A3 Format hält, auf dem er sich mit großen, etwas unsicheren Lettern Notizen gemacht hat, sind voller Farbspritzer. Im Raum nebenan, dem Salon der Mailänder Wohnung unweit der Porta Romana, stapeln sich Leinwände wie in einer Künstlerwerkstatt. Sie sind gegeneinander gelehnt, bedecken das Sofa, reihen sich vor Beistelltischen voller Erinnerungsstücken, Masken und Teller mit Nüssen. Zeichnungen und großformatige Gemälde bedecken auch die Wände. Gemälde nach Motiven klassischer Meister, Theater- oder Tanzszenen, Porträts oder farbenprächtige Illustrationen zu jüngsten Erzählungen.

Malen, so betont Dario Fo gerne selbstironisch, sei der einzige Beruf, den er wirklich gelernt habe. 1926 in einem Weiler unweit von Laveno am Lago Maggiore geboren, hatte er in Mailand an der Brera-Kunstakademie Malerei und Bühnenbild studiert. Das Erzählen für ein Publikum will er dagegen seinem Großvater Bristìn abgeguckt haben, der als fahrender Händler über die Gutshöfe der Lomellina in der Poebene zog, dort seine Waren anpries und nicht nur nebenbei der neusten Klatschgeschichten zum Besten hab. „Er verkaufte Geschichten, und zum Lohn gaben ihm die Leute Geld für seine Äpfel und Birnen.“

Ein politisch verstandenes Volkstheater

Die Erinnerung an Nonno Bristìn ist frisch wie eh und je und der alte Komödiant strahlt über das ganze faltige Gesicht. Mit dieser teils gleichsam natürlichen, teils schulischen Ausbildung kam er nach ersten Radio-Sketchen zum Theater, wo er die Schauspielerin Franca Rame kennen lernte, die er 1954 heiratete. „Ich habe immer gezeichnet, gemalt. Von morgens bis abends.“ Kein Theaterstück für das er nicht Studien gemacht hätte, um seine Ideen festzuhalten oder um sie anderen zu erklären.

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Skizze zu einer Arbeit über Molière

Im Archiv, das Franca Rame bis zu ihrem Tod 2013 aufgebaut hatte, werden angeblich 20.000 Blätter von der einzelnen Skizze bis zum vollständigen Storyboard aufbewahrt. Ganz zu schweigen von den großformatigen Kulissen, den Entwürfen für Wandbespannungen oder Vorhängen. Sie zeigen Situationen zum jeweiligen Stück, geben Informationen im Hintergrund. Oder sie verweisen oft auf historische Begebenheiten, auf die Zeit der mittelalterlichen Gaukler, die neben der Commedia dell’Arte die große historische Fundgrube für das immer auch politisch verstandene Volkstheater des Dario Fo war. Geschichte und Gegenwart, Boulevard und Revuetheater gemischt mit politischem Kabarett – das war das Erfolgsrezept in der Zusammenarbeit mit Franca Rame gewesen.

Wichtig war, so erinnert er sich heute, die Verbindung mit den Protestbewegungen der Studenten und der Gewerkschaften, „das gab uns eine ungeheure Kraft auch gegenüber den vielen Zensurversuchen“. In den 1970er Jahren als die Kompagnie Fo-Rame eine Theatervereinigung gründete und im Mailänder Palazzo Liberty für kurze Zeit einen festen Spielplatz fand, hatten sich 18.000 Mitglieder eingeschrieben. „Doppelt so viele wie damals das Piccolo Abonnenten hatte. Wir waren nicht allein.“ Die Bewegungen haben sich aufgelöst, aber auch die Gegner von einst sind längst Geschichte. Sogar ein Berlusconi gegen den Dario Fo Ende der 1990er Jahre noch einmal mit einigen Stücken Position bezog. Fehlen solche Gegner heute? „Und was ist der Toskaner? Der ist doch nur ein Klon von Berlusconi.“ Auf Ministerpräsident Matteo Renzis neuen Populismus ist Dario Fo nicht gut zu sprechen. Große Sprüche und wenig dahinter – oder anders gesagt: „die Banken retten die Regierenden mit Milliardenhilfen, Kultur und Wissenschaft lassen sie verkommen.“

Das Archiv wurde gerade in Verona eröffnet

Das Archiv hat jetzt endlich auch einen Platz gefunden, wo man es konsultieren kann. Das Staatsarchiv Verona hat dafür etwas Platz frei geräumt. „Aber der reicht nicht, wir brauchen viel mehr“, stöhnt Dario Fo. Hier soll alles aufbewahrt werden, die Erinnerungen an die Theaterproduktionen von den ganz frühen, noch zaghaft gesellschaftskritischen Komödien über die Szenenfolge „Mistero buffo“, vielleicht seine berühmteste Arbeit, bis zum Literaturnobelpreis 1997 und den späten Stücken Anfang 2000. Dazu Interviews, Reden, Manuskripte, Fotos und eben Skizzen, Zeichnungen und Gemälde. Warum in Verona und nicht in Mailand, wo der Neunzigjährige seinen Lebensmittelpunkt hat? In Mailand habe sich niemand dafür interessiert, antwortet er etwas verbittert.

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Fo als Maler – eine Diskussion Im Piccolo Teatro Studio

Die Unbilden des Alters sind an Dario Fo nicht vorbeigegangen. Augen und Ohren wollen nicht mehr so recht. Aber auch nach über 70 Theaterstücken ist die Lust zu fabulieren ungebrochen. Er hatte zuletzt Heilige wie Franziskus oder Künstler wie Leonardo auf die Bühne gebracht oder von ihnen in Büchern erzählt. Geschichten von einst auszugraben, sie gegen den Strich zu bürsten und ihren fortschrittlichen, gleichsam demokratischen Geist herauszustellen, das gehört neben dem Malen zu seinen bevorzugten Beschäftigungen im Alter.

Wie in einer Malerwerkstatt vergangener Jahrhunderte

So hat Dario Fo in den vergangenen Jahren auch Erzähltexte zu ganz unterschiedlichen Themen geschrieben. Über Lucrezia Borgia, den geisteskranken dänischen König Christian VII. oder kürzlich „Razza di Zingaro“ („Zigeunerrasse“) über den deutschen Boxer Johann Trollmann. Einen Sinti, der nach einer erfolgreichen Karriere in der Weimarer Zeit von den Nazi gedemütigt und schließlich im Konzentrationslager ermordet wurde (Chiarelettere editore).

Dazu sind unter Mitarbeit von Kunststudentinnen eine ganze Reihe von Bilder entstanden, die man auch nebenan im Salon der Wohnung finden kann. Im Hause Fo geht es manchmal zu wie in einer Malerwerkstatt vergangener Jahrhunderte. Der Meister gibt mit einer Skizze die Situationen und Proportionen vor, die Schüler führen die Arbeit weiter, die der Meister am Ende noch mit dem einen oder anderen Detail versieht. Und jetzt macht er sich hier am Tisch mit krakeligen Buchstaben Notizen für einen neuen „Roman“ über unbekannte Seiten des Lebens von Charles Darwin. Illustrationen dazu werden sicher folgen.

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Wenn das Wohnzimmer zum Atelier wird…

„Solange die Ideen kommen, muss ich einfach arbeiten“, lacht er. Gerade ist ein Dialog mit Giuseppina Manin bei Guanda als Buch unter dem Titel „Dario e Dio“ („Dario und Gott“) erschienen. Da ist die Rede auch vom Tod. „Ich laufe ihm nicht nach, er soll sich ruhig Zeit lassen, aber ich fürchte ihn auch nicht.“ Die Idee eines ewigen Lebens nach dem Tod ist ihm fremd. „Wir werden zu Staub, sagt mir der Verstand.“ Aber „die Phantasie, die Grille, die Torheit“ geben anderen Visionen Raum. Wie soll er sich ausdrücken? „Ich hoffe, ich werde überrascht.“

Info: http://www.dariofo.it/ und http://www.archivio.francarame.it/html/ArchivioIntro.html

In ähnlicher Form veröffentlicht in der Neuen Zürcher Zeitung vom 24.3.2016

"Dario e Dio". Ugo Guanda Editore, Mailand. 175 S., 15 Euro

„Dario e Dio“. Ugo Guanda Editore, Mailand. 175 S., 15 Euro

Siehe auch bei Cluverius „Ein neues Buch von Dario Fo“