Palermo (III): Das Teatro Massimo feiert ein doppeltes Jubiläum: 120 Jahre der Gründung und 20 Jahre der Wiedereröffnung – wobei Mafia und Antimafia eine wichtige Rolle gespielt haben
Palermo – Es gibt Opernhäuser, die wollen schon von außen zeigen, wie bedeutend sie sind. Palermos Teatro Massimo an der Piazza Verdi gehört dazu. Eine monumentale Freitreppe führt zu einem neoklassizistischen Portikus, der von sechs hoch aufragenden korinthischen Säulen getragen und von zwei bronzenen Löwen bewacht wird. Eine mächtige Kuppel überspannt den Zuschauerraum (für rund 1300 Besucher). Kleinere Gewölbe zieren die Nebentrakte, die wie Apsiden den Hauptbau umspannen. Das ist der Grundfläche von 7700 Quadratmetern nach das größte Opernhaus Italiens und eines der größten in Europa (nach Paris und Wien). Und wenn es abends in das warme Licht der Scheinwerfer getaucht wird, dann leuchtet ganz Palermo vor Stolz.
Und es gibt Gründe zu feiern. Vor 120 Jahren wurde der Bau im Frühjahr 1897 mit Verdis „Falstaff“ eröffnet. Einer zivilen Basilika gleich galt sie bald als Wahrzeichen von Palermo. Ein Symbol, in dem sich die Bevölkerung heute noch wieder erkenne, sagt der Intendant Francesco Giambrone im Gespräch. Zugleich spielte das Theater aber eine Rolle auf den dunklen Seiten der Stadtchronik. Weltweit bekannt wurde das Massimo durch die Schlussszene von dem Kinofilm „Der Pate – Teil III“ von Francis Ford Coppola, die hier 1990 gedreht wurde. Das waren keine gute Jahre für das Opernhaus, das – baufällig – seit 1974 geschlossen war und für die Hollywoodproduktion nur kulissenhaft restauriert wurde. Erst 1997 konnte das Teatro Massimo wieder eingeweiht werden. Claudio Abbado kam mit den Berliner Philharmonikern und spielte die Auferstehungssymphonie von Gustav Mahler.
Ein Krieg der Mafia gegen Schönheit
Als das Theater quälende 23 Jahre lang geschlossen blieb, befand sich Palermo gleichsam in einem Kriegszustand. Mafiagruppen befehdeten zunächst blutig einander und richteten dann extreme Gewalt gegen Vertreter von Justiz, Journalismus und Politik. Auf der Strecke blieben die Zivilcourage wie die Kultur – und die ehemalige Gartenstadt im Westen, die von hässlichen Betonbauten überzogen wurde. Es sei „ein Krieg der Cosa Nostra auch gegen die Schönheit der Stadt gewesen“, so Francesco Giambrone. Es gab einzelne couragierte Frauen und Männer, aber die Gesellschaft von Palermo als Ganzes habe nicht reagiert.
Erst nach den Morden an den Staatsanwälten Giovanni Falcone und Paolo Borsellino im Frühjahr 1992 sei ein Ruck durch die Bevölkerung gegangen: Basta, genug! Und parallel zu neuem zivilen Bewusstsein habe auch das Teatro Massimo zurück zu sich selbst gefunden. 20 Jahre danach wurde jetzt im Mai 2017 wieder mit Mahlers 2. Symphonie gefeiert – und erinnert. Gabriele Ferro, der musikalische Leiter des Hauses, dirigierte Orchester und Chor des Teatro Massimo
Die „kleine Renaissance“ des Massimo
Italienische Medien wie der Corriere della Sera sprechen inzwischen von einer „kleinen Renaissance“ der Bühne. Denn nach einer Schlingerfahrt durch die vergangenen Jahrzehnte ist die Opernstiftung wieder einigermaßen auf Kurs gekommen. Seit vier Jahren, so rechnet der Intendant vor, ist der Haushalt (zuletzt 29 Millionen Euro im Jahr) ausgeglichen. Finanziert mit staatlichen Zuschüssen und Eigenmitteln. Privatunternehmen geben gerade mal 250 Tausend Euro. Palermo ist eben nicht Mailand.
Dennoch: In dieser Spielzeit, die im Januar mit einer viel beachteten Inszenierung von Verdis Macbeth (Regie: Emma Dante, musikalische Leitung: Gabriele Ferro) eröffnet wurde, gibt es im Theater 160 Veranstaltungen (Oper, Ballett, Konzerte). Klassiker wie Puccinis „Tosca“ oder Massenets „Werther“ stehen neben einer szenischen Inszenierung von Bachs „Johannes- Passion“ durch Italiens Bühnenprovokateur Pippo Delbono. Zum 25. Jahrestag der Anschläge auf Falcone und Borsellino gab es eine Revue unter dem Titel „Le parole rubate“ (Die geraubten Wörter). Die neue Spielzeit 2018 beginnt dann mit „Guglielmo Tell“ von Rossini. Mit 145.000 zahlenden Besuchern, davon ein Drittel junge Leute, sind die Vorstellungen zu 76 Prozent ausgelastet – gegenüber 55 Prozent, als Giambrone vor drei Jahren sein Amt antrat.
Ein multiethnischer Kinderchor
Der 60jährige Arzt und Theatermanager hatte bereits um die Jahrhundertwende herum das Haus geleitet und war dann an die Spitze des Maggio Musicale von Florenz gerückt, bevor er unter Bürgermeister Leoluca Orlando zunächst als Kulturstadtrat nach Palermo zurückkehrte. Das Theater habe sich endgültig der Stadt geöffnet, erzählt er. Die monumentale Freitreppe, die früher außerhalb der Vorstellungen mit einem Gitter verschlossen war, bleibt heute Tag und Nacht zugänglich. Und rund 100.000 Besuchern kämen im Jahr allein zu Führungen, die dadurch auch zu einer Einnahmequelle geworden sind. Das Theater ist nach der Cappella Palatina das meistbesuchte Monument der Stadt.
Des Intendanten ganzer Stolz ist jedoch der neue multiethnische Kinderchor der Oper. Als ihn der Rat der Emigranten der Stadt um Preisnachlass bei Eintrittskarten für Zuwanderer bat, lehnte Giambrone ab: „Ich wollte kein Ghettoisierung des Publikums.“ Aber er lud die Kinder der Emigranten ein, den „Coro Arcobaleno“ zu bilden. Rund 30 junge Stimmen von Völkern aus mehreren Erdteilen haben diesen „Regenbogen-Chor“ seit zwei Jahren zur festen Einrichtung des Teatro Massimo gemacht. Und wenn das Theater ein Symbol für Palermo ist, so setzt der Coro Arcobaleno ein positives Signal für die Integration von Zuwanderern gerade unter den fragilen sozialen und kulturellen Strukturen Süditaliens.
Info: http://www.teatromassimo.it/
Ein ähnlicher Text ist in der Zeitschrift Opernwelt (August 2017) erschienen.
Siehe auch auf Cluverius: „Unterwegs … In Palermo“