Franco Maresco spielt in seinem in Venedig preisgekrönten Film über den „Bauch“ von Palermo mit Dokumentation und Fiktion
Milano (Cinema Anteo) – Was ist von den Helden geblieben und für wen sind sie überhaupt Helden? 25 Jahre nach den Mafia-Morden an Giovanni Falcone und Paolo Borsellino untersucht der Filmmacher Franco Maresco die Stimmung in den Unterschichten von Palermo. Und entwirft, indem er Dokumentation und Satire mischt, ein grotesk-trübes Bild von „oben“ verordneten Erinnerungsriten und der Trostlosigkeit der Da-unten im „Bauch“ der sizilianischen Regionalhauptstadt. Als Leitfiguren dienen ihm die Fotografin Letizia Battaglia – eine Veteranin auch der Antimafiabewegung – und der Impressario Ciccio Mira, der für eine Truppe von „neumelodischen“ Künstlern Auftritte bei Stadtteilfesten und in einem lokalen TV-Sender organisiert.
Zur Handlung: Dieser Ciccio Mira, gleichsam eine Parodie von Woody Allen als Danny Rose, bereitet eine Veranstaltung mit seinen Künstlern zum Erinnerung an Falcone und Borsellino in Palermo vor – und das ausgerechnet in dem verrufenen Vorort ZEN (Zona Espansione Nord). Doch will sich keiner der Beteiligten von der Mafia distanzieren. Als der Abend endlich vor wenig Publikum stattfindet, wird den Veranstaltern von Unbekannten geraten, möglichst schnell wieder ihre Zelte abzubrechen. Das ist der Hintergrund einer an vielen Aspekten reichen Filmerzählung, die auch einen Bogen zur Frage, ob es in den 1990er Jahren Verhandlungen zwischen Staat und Mafia gegeben habe, schlägt. Letizia Battaglia übernimmt dabei im Film gleichsam die Rolle einer Gegenfigur zur Welt von Ciccio Mira. Hier die Gefühlslage der international anerkannten Künstlerin, dort die der Künstler aus den Vorstädten.
Franco Maresco, Regisseur für Film- und Fernseharbeiten sowie Drehbuchautor und Cutter findet in Palermo und auf Sizilien seine Themen, mit denen er sich oft in satirisch-sarkastischer Art auseinander setzt. Nach vielen TV-Produktionen (u.a. mit Daniele Ciprì) machte der heute 61jährige mit einem „Dokumentarfilm“ über Berlusconi, die Cosa Nostra und Sizilien („Belluscone – Una storia siciliana“) auf sich aufmerksam. Der wurde 2014 auf der Biennale Venedig mit einem Preis in der „Sezione Orizzonti“ und 2015 mit dem italienischen Filmpreis (David di Donatello für den besten Dokumentarfilm) ausgezeichnet.
In „La mafia non è più quella di una volta“ („Die Mafia ist nicht mehr das, was sie früher mal war“) zeichnet Maresco geradezu gnadenlos mit den Mitteln der Satire ein Bild vom Bodensatz der Gesellschaft seiner Heimatstadt. Indem er die Grenze zwischen Dokumentation und Spiel (in der Form von Dokumentation!) verwischt, entwirft er eine Groteske, die den wahren Verhältnissen vielleicht näher kommt, als es mit einer „reinen“ Dokumentation oder alternativ mit einer allein fiktive Darstellung möglich gewesen wäre. Auf der Biennale 2019 wurde der Film mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet.
La mafia non è più quella di una volta. Mit u.a.: Letizia Battaglia, Ciccio Mira, Matteo Mannino, Cristian Miscel. Regie: Franco Maresco. Buch: Franco Maresco, Claudia Uzzo u.a. Kamera: Tommaso Lusena de Sarmiento. Musik: Salvatore Bonafede. Produktion: Ila Palma, Dreamfilm, Tramp Limited. Italien 2019. 105 Minuten
Hier zum Trailer
Letizia Battaglia erhält in diesem Jahr den Preis der Kythera Kulturstiftung, der am 21. Oktober in Palermo übergeben wird.
Hier auf Cluverius zum Gespräch mit Letizia Battaglia „Fotografieren ist wie Lieben“