Buchkritik


VON ANFANG AN

Eine vergnügliche Art, die Geschichte der Malerei zu durchstreifen, bietet Nick Trend in seinem Buch „Meilensteine“.

© Laurence King Verlag/Metrop. Museum of Art NY

Das erste Lächeln? "Porträt eines jungen Mannes" (um 1470) von Antonello da Messina

Mailand – Fragen nach Inhalt und Form, nach Entstehung und Rezeption sind die klassischen Ansatzpunkte der Kunstgeschichte. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kunstwerken geht dabei notgedrungen über das Verständnis und das Bedürfnis vieler Besucher von Museen, Kirchen oder Monumenten hinaus. Und sie ist dabei, sich wie andere Wissenschaftszweige auch in viele Disziplinen aufzuspalten und das Ganze aus dem Auge zu verlieren. Sicher, es gibt viele Versuche, populäre Zugänge zu schaffen, die aber häufig mit bildungsbürgerlichen Ansätzen belastet sind oder sich in Stilfragen (Barock? Renaissance?) verlieren. Der britische Journalist und Kunsthistoriker Nick Trend wählt einen anderen Ansatz, um Schneisen durch die Kunstgeschichte zu schlagen. Er sucht nach „Meilensteinen“ auf diesen Wegen. Danach, wie alles angefangen hat. Nach dem ersten Lächeln, dem ersten Selbstporträt, dem ersten Stillleben. Und liefert somit für neugierige Laien eine unterhaltsame „Geschichte der Kunst in 30 Schlüsselwerken“ (so der Untertitel des im Laurence King Verlag erschienen Buches).

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WEBEN UND WIDERSTEHEN

„Garten der Engel“  ist ein Kriminalroman, der Einblicke in die Geschichte Venedigs unter der deutschen Besatzung am Ende des letzten Weltkriegs bietet.

© Cluverius

Dunkle Zeiten in Venedig 

Mailand/Venedig – In dem Roman „Garten der Engel“ (Folio Verlag) von David Hewson verknotet sich eine Familiengeschichte mit den historischen Ereignissen Venedigs in den letzten beiden Jahren des 2. Weltkrieges unter deutscher Besatzung. Während der größte Teil der Bevölkerung versucht, mehr schlecht als recht zu überleben, kämpft ein junger Mann nach dem Tod seiner Eltern um den Erhalt des Familienunternehmens, einer traditionellen Seidenweberei. Er gerät dabei in die Wirren von Unterdrückung, Judenverfolgung, Bürgerkrieg und Widerstand. Und nicht immer sind Freund und Feind auseinanderzuhalten.

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ITALIENISCHE ERSCHÜTTERUNGEN

Zwei Autorinnen und ein Autor des Jahres 2022: Esther Kinsky, Giulia Caminito und Emilio Lussu. Tipps auch für Geschenke

Mailand - Drei Bücher aus (bzw. über) Italien fallen aus dem breiten Angebot der Titel des Jahres 2022 heraus. „Rombo“ von Esther Kinsky, „Das Wasser des Sees ist niemals süß“ von Giulia Caminito (Übersetzung von Barbara Kleiner) und „Marsch auf Rom und Umgebung“ von Emilio Lussu (Nachwort und Übersetzung von Claus Gatterer). Es geht um unser Verhältnis zur Natur, zur Gesellschaft, zu Politik und Geschichte. Es sind drei Bücher, in denen Erinnerung eine Hauptrolle spielt. Drei Bücher, in denen Genres sich mischen. Drei Bücher, die zu lesen (und zu verschenken) sich lohnt.

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LUXUSBORDELL FÜR KEUSCHE HERREN

Wieder aufgelegt: „Irrläufe - Hundert Romane in Pillenform“ von Giorgio Manganelli. Mit Vermutungen, Lügen und Phantasien tummelt sich der Autor in den künstlichen Paradiesen der Kunst

© Tullio Pericoli/Wagenbach

Giorgio Manganelli (von Tullio Pericoli gezeichnet für die Tageszeitung La Repubblica)

Mailand – In einer Zeit, in der Bücher von Verlagen schnell auf den Markt geworfen werden, um noch schneller wieder aus dem Blick und aus den Buchhandlungen zu verschwinden, wird eine Neu- oder Wiederauflage zu einem Akt kulturellere Resistenz und Resilienz. Wagenbach, von Anfang an eine Art Stolperstein in der deutschen Verlagslandschaft, übt sich erfolgreich in dieser Praxis. Jetzt mit „Irrläufe - Hundert Romane in Pillenform“ von Giorgio Manganelli (1922-1990). Die italienische Originalausgabe erschien 1979, die deutsche Übersetzung durch Iris Schnebel-Kaschnitz (1928-2014) in der Wagenbach-Reihe Quartheft ein Jahr später. Der Verlag bringt Manganellis erfolgreichstes Buch jetzt im schönen Azzurro und im eleganten Format der neuen Reihe Oktavheft heraus. In der werden „vergessene sowie nie oder neu übersetzte moderne Klassiker, literarische Schwergewichte mit kenntnisreichen Vor- oder Nachworten versehen“ wieder vorgelegt. (Siehe auf Cluverius auch „Eine Privatsache“ von Beppe Fenoglio)

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„EIN DEUTSCHER ERINNERUNGSORT“

Gertrude Cepl-Kaufmann und Philipp Cepl haben sich auf eine anregende Spurensuche kreuz und quer durch die Geschichte und die Landschaft der ehemaligen Künstlerkolonie Positano begeben

Über Treppen und Terrassen - Richard Seewalds "Felsige Landschaft mit Ziegen bei Positano" (Aquarell, 1924)

Mailand – Wer die Amalfi-Küste heute neben dem touristischen auch als kulturellen Lebensraum erfahren möchte, der sollte zum Taschenbuch aus dem Wagenbach Verlag "Der einzig senkrechte Ort der Welt. Die Künstlerkolonie Positano" greifen. Das Autorenduo  Gertrude Cepl-Kaufmann und Philipp Cepl – sie Literaturwissenschaftlerin, er ein Kunstsammler – geht unzähligen Spuren nach, die  Positano von den 1920er Jahren an vor allem für deutsche Künstlerinnen und Künstler, für Schriftsteller und Intellektuelle zu einer Alternative etwa zum mondänen Capri machte – von Theodor W. Adorno bis Marianne und Otto Edmund Zoff, von Annot (Anna Ottonie Krigar-Menzel) bis Alma Mahler.  Dabei wird keine kopflastige Kulturgeschichte geliefert, sondern anschaulich von den Menschen, von ihren Schicksalen und Abenteuern erzählt. Und wie sich das gleichsam an den Felsen geklebte eher ärmliche ehemalige Fischerdorf zu einer Künstlerkolonie entwickelte, in der man seine Italiensehnsucht auf verschiedene Arten ausleben konnte.

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DAS GEHEIMNIS DER BUCHSTABEN

Maddalena Fingerle ist mit dem Roman „Muttersprache“ ein bemerkenswerter Erstling gelungen, den Maria Elisabeth Brunner ebenso bemerkenswert übersetzt hat (Folio Verlag)

© Cluverius

Saubere Wörter: "Eine schöne Sache aber gibt es in Bozen, und das ist das Wasser des Flusses..."

Mailand – Der junge Italiener Paolo Prescher wächst in Bozen unter nicht ganz leichten Umständen auf. Sein Vater ist verstummt, seine größere Schwester bösartig und verlogen, seine Mutter vor allem mit sich selbst beschäftigt und Jan, sein bester Schulfreund, macht sich noch in die Hose. Kein Wunder, dass auch der junge Paolo Nerven zeigt: übersensibel an der Grenze zum Wahn leidet er darunter, dass ihm die Wörter „dreckig“ gemacht werden. Er merkt, „dass die Sprache, die ich spreche, schmierig ist und ich es nicht mehr schaffe, mich auszudrücken.“ Das ist die Ausgangssituation des Romans „Muttersprache“ von Maddalena Fingerle, der in der ­– um es gleich zu sagen – tollen Übersetzung von Maria Elisabeth Brunner bei Folio (Bozen/Wien) vorliegt.

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GELBGRAUE WURMGEWINDE

Dieter Richter beschreibt in seinem Buch „Con gusto“ die kulinarische Geschichte der Italiensehnsucht. Im Wandel des Geschmacks wird ein kultureller Wandel sichtbar.

© Indigo Film, Rai Cinema

Neapolitanische Spaghetti-Schlacht im volkstümlichen Theater (- aus dem Film "Qui rido io" von Mario Martone mit u.a. Toni Servillo rechts auf dem Tisch)

Mailand – Italienisch essen, das war in den Zeiten der Pandemie, als das Reisen unmöglich war, die einzige Art, sich körperlich mit dem Süden zu verbinden. Entweder über den eigenen Herd, wo inzwischen (fast) jedes Kind schmackhaftes Risotto oder verführerisches Tiramisù vorbereiten kann. Oder beim „Lieblingsitaliener“, der die Speisen zudem mit halb deutschen, halb italienischen Wortfolgen koloriert serviert. Und wenn die Italiensehnsucht in der jüngeren Vergangenheit immer mal wieder gelitten hatte (Berlusconi, Müll in Rom, Algen in der Adria), die kulinarische Variante dieser Sehnsucht blieb ungebrochen. Eine Variante, die sich aber erst langsam in der deutsch-italienischen Geschichte durchgesetzt hat, wie Dieter Richter in seinem wundervollen kleinen Buch Con gusto. Die kulinarische Geschichte der Italiensehnsucht  erzählt (Wagenbach).

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UNTER DIE HAUT

Barbara Frandino erzählt in ihrem Roman „Das hast du verdient“ (Folio Verlag) von der langsamen Zersetzung einer Ehe

© Foto: Cluverius

"Ich würde gerne weinen, doch mein Körper ist wie ausgetrocknet."  (Gemälde von Xenia Hausner in der Ausstellung "True Lies" der Wiener Albertina, Mai 2021)

Mailand – Was hält eine Beziehung zusammen, wenn die Liebe in Enttäuschung umschlägt? Wenn der Schmerz die Lust nach Rache weckt? Barbara Frandino erzählt von Claudia, 42, die als Ghostwriterin arbeitet und mit Antonio, einem bekannten TV-Moderator, zusammen lebt. Vom Fenster aus sieht Claudia, wie Antonio im Garten von der Leiter bei der Arbeit an einem Grantapfelbaum stürzt und dann bewusstlos auf dem Boden liegt. Später im Krankenhaus erfährt sie, dass ihr Mann einen Infarkt erlitten hatte, die Erstversorgung aber erst sehr spät erfolgt sei. Als der Unfall passierte, war die Beziehung zwischen den beiden, die als große Liebe begonnen hatte, bereits merklich abgekühlt. "Meine Tage lasse ich fast wortlos verstreichen", heißt es In dieser Ich-Erzählung aus der Sicht von Claudia, die bei Folio unter dem Titel Das hast du verdient erschienen ist.

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HALL OF FAME

Von Raffael zu Legosteinen: Henry Keazor verfolgt in einem anregenden Buch Adaptionen und Interpretationen der „Schule von Athen“ durch fünf Jahrhunderte

Die Schule von Athen - Wandfresko in der Stanza della Segnatura im Vatikanpalast, ein Hauptwerk von Raffael (entstanden 1510/1511). Der Karton wird in der Mailänder Pinacoteca Ambrosiana aufbewahrt.

Mailand/Rom – Endlich, Impfpässe oder Tests öffnen die Grenzen. Wir können wieder reisen, auch nach Rom, auch in die Vatikanischen Museen, um staunend vor Raffaels Meisterwerk „Schule von Athen“ (1509/1511) zu verharren. Nun ist das Buch von Henry Keazor mit dem Titel „Raffaels Schule von Athen(Wagenbach Verlag) keine Buch zur Reise, dafür würde es auch in Form und Gewicht das Gepäck für unterwegs zu sehr belasten. Aber zurück aus Rom oder zur Vorbereitung auf den Besuch der Vatikanischen Museen – oder einfach so –, lädt der Autor zu einer ganz eigenen, neuen, bunten, abenteuerlichen, vergnüglichen wie lehrreichen Reise covidfrei durch Zeiten und Orte ein, die uns durch fünf Jahrhunderte, viele Länder und Dutzende Museen und Sammlungen führt. Eine Zeitreise, in der uns Raffaels Schule von Athen in immer neuen Interpretationen, Deutungen und Umdeutungen bis heute begleitet.

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AUF LEBLOSER FOLIE

Enttäuschend: der Ehe-Roman „Treue“ von Marco Missiroli an der Grenze zum Kitsch, die er manchmal überschreitet

© Cluverius

Mailänder Schmerzenbild - Graffito im Naviglio-Viertel

Mailand – Margherita und Carlo leben in Mailand. Sie sah sich als Architektin und leitet jetzt als Immobilienmaklerin eine kleine Agentur. Er hält sich für einen Schriftsteller, muss jedoch sein Geld als Dozent für kreatives Schreiben verdienen. Auch wenn beide Mittdreißiger ihre beruflichen Träume nicht erfüllt sehen, führen sie eigentlich eine gelungene Ehe, fühlen sich jeweils vom anderen auch erotisch angezogen. Wenn nur dieser Verdacht nicht wäre: gab es bei ihm einen Seitensprung mit einer Studentin? Und was spürt sie, wenn sie bei einer Therapiesitzung von dem jungen Physiotherapeuten berührt wird? Es geht in dem Roman von Marco Missiroli, wie es der Titel auf den Punkt bringt, um Treue, um Emotionen, um Sehnsüchte. Kein leichtes Gelände, das bereits von unzähligen Unterhaltungsromanen bearbeitet worden ist. Und, um es gleich zu sagen, der Autor verliert sich auf ihm.

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