„EIN DEUTSCHER ERINNERUNGSORT“


Gertrude Cepl-Kaufmann und Philipp Cepl haben sich auf eine anregende Spurensuche kreuz und quer durch die Geschichte und die Landschaft der ehemaligen Künstlerkolonie Positano begeben

Über Treppen und Terrassen – Richard Seewalds „Felsige Landschaft mit Ziegen bei Positano“ (Aquarell, 1924)

Mailand – Wer die Amalfi-Küste heute neben dem touristischen auch als kulturellen Lebensraum erfahren möchte, der sollte zum Taschenbuch aus dem Wagenbach Verlag „Der einzig senkrechte Ort der Welt. Die Künstlerkolonie Positano“ greifen. Das Autorenduo  Gertrude Cepl-Kaufmann und Philipp Cepl – sie Literaturwissenschaftlerin, er ein Kunstsammler – geht unzähligen Spuren nach, die  Positano von den 1920er Jahren an vor allem für deutsche Künstlerinnen und Künstler, für Schriftsteller und Intellektuelle zu einer Alternative etwa zum mondänen Capri machte – von Theodor W. Adorno bis Marianne und Otto Edmund Zoff, von Annot (Anna Ottonie Krigar-Menzel) bis Alma Mahler.  Dabei wird keine kopflastige Kulturgeschichte geliefert, sondern anschaulich von den Menschen, von ihren Schicksalen und Abenteuern erzählt. Und wie sich das gleichsam an den Felsen geklebte eher ärmliche ehemalige Fischerdorf zu einer Künstlerkolonie entwickelte, in der man seine Italiensehnsucht auf verschiedene Arten ausleben konnte.

Das reiche Capri und das arme Positano: „Der Lebensstil, aber auch das Landschaftsformat in den zwei Orten wurde als wesentlich andersartig empfunden.“ Positano avancierte zum neuen Bildmotiv, „eine ideale ästhetische Herausforderung“. Immer wieder diente die lokale Terrassenstruktur als malerisches Motiv. Für den Rheinländer Carlo Mense oder für den Züricher Otto Morach. Die Münchenerin Else Rüthel wie die Wienerin Joe Lederer suchten den Ort literarisch zu fassen. Es gab Künstlerinnen und Künstler, die kaum die finanziellen Mittel hatte, um sich Farben und Malutensilien zu besorgen, andere, wie Rudolf Jacobi, konnten aus dem vollen schöpfen und einen bürgerlichen Lebensstil entwickeln.

© Hamburger Kunsthalle

Positano von Anita Rée gesehen: „Weiße Nussbäume“ (Öl auf Leinwand, 1922/25) – heute in der Hamburger Kunsthalle

Gesellschaftlich erlebten Zugezogene die Siedlung als „freigiebigen Ort, in dem Kredit viel, Geld aber wenige zählte.“ Die Hamburgerin Anita Rée verlebte trotz prekärer Umstände, die vielleicht glücklichste Zeit ihres Lebens auf Positano. Das Buch erzählt ihre schließlich tragisch endende Geschichte  (und lädt ein, Anita Rée etwa beim Besuch der Hamburger Kunsthalle wieder zu entdecken).

Das Buch als Schatztruhe

Positano ist „ein deutscher Erinnerungsort.“ Es war auch ein Fluchtort für Exilanten. Viele Geschichten und Geschichtchen kann man aus dieser Schatztruhe von Gertrude Cepl-Kaufmann und Philipp Cepl fischen. Geschichten, die auch nach dem Krieg weiter gehen, wenn auch auf andere Weise. Am Ende, so schreiben die Autoren, überlebte, was Positano seit jeher ausgemacht habe: „die verwegen ‚senkrechte’ Hanglage, die maurisch inspirierte Architektur, die vom Vulkangestein dunkel gefärbte Uferpartie, die üppige, südländische Vegetation.“ Man könne „das Besondere der Nachkriegszeit als Weiterschreibung lesen, um es dann doch als etwas Neues, etwa in der Zeit und für die Zeit zu aktualisieren und zu verorten.“

Philipp Cepl, Gertrude Cepl-Kaufmann: Der einzige senkrechte Ort der Welt. Die Künstlerkolonie Positano. Wagenbachs Taschenbuch 841. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin (2021). 204 Seiten, 15 Euro