GEFÜHL UND ERKENNTNIS


Vor 250 Jahren wurde Caspar David Friedrich geboren. Der Essay „Maler Friedrich“ von Eberhard Rathgeb ist ein wichtiger Beitrag im Jubiläumsjahr zum Thema Natur und Mensch

© Wikipedia/ Staatliche Kunstsammlung Dresden

Ungeheuerlich modern: „Das große Gehege“, Spätwerk von Caspar David Friedrich um 1832 (Öl auf Leinwand, 73,5 x 102,5 cm, Staatliche Kunstsammlung Dresden)

Mailand – Am 5. September 1774 wurde Caspar David Friedrich geboren. Aus Anlass seines 250. Geburtstags häufen sich Ausstellungen, Veranstaltungen, Medienberichte. Und natürlich Veröffentlichungen. Die des Romanautors und Essayisten Eberhard Rathgeb („Maler Friedrich“, Berenberg Verlag), die bereits im Vorfeld des Jubiläums erschienen ist, sieht der Arbeit Friedrichs gleichsam aus dem „Innenraum“ des Malers zu. Dort, wo seine „inneren Bilder hingen, die Originale, die er auf Leinwand übertrug.“ Ein Innenraum, der durch eine pietistische Erziehung und den lutherischen Glauben ebenso geprägt wurde wie durch die geistigen und kulturellen Umbrüche seiner Zeit um 1800. In diesem Innenraum setzte sich Friedrich (neben seinen patriotischen Historienbildern) mit der Natur auf eine Art auseinander, durch die wir ihn heute in der kritischen Auseinandersetzung mit dem Anthropozentrismus vielleicht nicht als Zeitgenossen, aber doch als Stichwortgeber und Fragesteller verstehen können.

Friedrich wuchs im pommerschen Greifswald auf, studierte in Kopenhagen und lebte vorwiegend in Dresdent: „ein Maler aus dem verregneten Norden, der nie das Licht des Südens erblickte.“ Bildungsreisen etwa nach Italien wie viele der zeitgenössischen Künstler unternahm er nicht. Er reiste statt dessen unermüdlich durch die Landschaften des deutschen Nordostens zwischen Harz, Elbe und Ostsee. Dabei schaute er „in die Natur mit großer Wachsamkeit und Aufmerksamkeit“, wie Rathgeb schreibt, und „auch mit dem Staunen der Verlorenheit.“

Die Wahrhaftigkeit des Sehens

In den Arbeiten Friedrichs, besonders in ikonenhaften Gemälden wie „Der Wanderer über dem Nebelmeer“, „Die Kreidefelsen auf Rügen“ oder „Der Mönch am Meer“ gehe es, so der Autor, „um die Wahrhaftigkeit des Sehens.“ Es ist dieser Blick auf die Natur, diese Schule des Sehens, die Friedrich heute aktuell erscheinen lässt. Landschaft erlöst nicht, sondern verstört. Sicher hat der Maler keine Reflexion über die anbrechende Industrialisierung gefertigt, aber er registriert einen Verlust. Mensch und Natur sind sich fragwürdig geworden, eine melancholische Stimmung, eine Art Trauer breitet sich in Friedrichs Werken aus.

Er hatte als „der modernste unter den Romantikern“ eine Zeit lang Erfolg, weil es ihm gelang, „Gefühl und Erkenntnis“ miteinander in „einer unauflöslichen Einheit“ zu verbinden. Während er nicht von seiner Methode, das Licht als Medium des Sehens und der Weltenwahrnehmung einzusetzen abwich, änderte sich jedoch der Geschmack des Publikums. Eine Karriere an der Kunstakademie blieb stecken. Bald wurde Caspar David Friedrich vergessen. Den Lebensstrom vom Werden und Vergehen hielt er in der Darstellung einer Elb-Landschaft bei Dresden („Das große Gehege“, um 1832) fest, das, so Eberhard Rathgeb, „vielleicht das schönste, ungeheuerlichste und modernste Bild ist, das er gemalt hat.“

© Berenberg/Hamburger Kunsthalle

Natur als Quelle des Künstlertums: „Selbstporträt mit aufgestützem Arm“ um 1802 (Feder in Braun über Bleistift, 26,7 x 21,5 cm, Kunsthalle Hamburg)

Der Autor verzichtet auf Abbildungen der Gemälde Friedrichs, die man ja in unseren digitalen Zeiten überall abrufen kann. Eine Ausnahme machen einige Sepia-Zeichnungen, darunter ein frühes Selbstbildnis, das den 28-jährigen Maler in verträumter Pose am Arbeitstisch zeigt. Wobei sein Auge nicht auf die Skizzenblätter fällt, auf die er den linken Arm stützt. Den Kopf in die rechte Hand gelegt, die einen Zeichenstift hält, geht der Blick durch ein Fenster in die Natur, wo die Quelle seines Künstlertums liegt. Doch der Mensch, so das bittere Fazit am Ende seines Lebens, hat sich von dieser Quelle endgültig entfernt. Caspar David Friedrich starb am 7. Mai 1840 in Dresden.

Eberhard Rathgeb: Maler Friedrich. Berenberg Verlag, Berlin (2023). 208 Seiten, 28 Euro.