Im Kino: Io capitano


Matteo Garrone bewegt das Publikum mit den Erlebnissen von jugendlichen Emigranten, die im Senegal von Italien träumen und sich auf eine lebensgefährliche Reise begeben. Ein Film zwischen Märchen und bitterer Realität

© Archimede/Greta de Lazza

Der 16-jährige Seydou (Seydou Sarr) auf der letzten dramatischen Etappe seines Weges nach Italien

Mailand (Cinema Anteo) – Der Film von Matteo Garrone erzählt von den verschlungenen Wegen, den brutalen Hindernissen und tödlichen Fallen der Emigration. Im Mittelpunkt steht die Odyssee des 16-jährigen Seydou vom Senegal aus durch die Wüste, durch KZ-ähnliche Lager in Libyen und schließlich übers Meer Richtung Italien auf einem heruntergekommenen Kutter, der von im selbst als Kapitän gesteuert wird – deshalb auch der Titel „Io capitano“. Eine Art filmischer Bildungsroman, in dem sich märchenhafte Züge mit barbarischer Realität mischen und Authentisches mit Surrealem durchsetzt. Bei der Filmbiennale Venedig 2023 wurde Matteo Garrone dafür mit dem Leone d’Argento für die beste Regie ausgezeichnet.

Seydou und sein gleichaltriger Cousin Moussa, die in Dakar in ärmlichen, aber geordneten Verhältnissen leben, nehmen jede Arbeit an und sparen Geld für eine Reise nach Italien, wo sie von einer Karriere als Musiker träumen. Heimlich machen sie sich auf den Weg, doch bereits auf den ersten Stationen lassen Ausbeutung und Korruption ihr Reisebudget schmelzen. Zu Fuß müssen sie weite Teile der Wüste durchqueren. Verbrecherische Milizen trennen die Freunde. Seydou erlebt in einem libyschen Lager Folter. Mithilfe eines Mithäftlings gelingt es ihm, sich von Lager- und Sklavenarbeit zu befreien. In Tripolis trifft er den nach einer Flucht aus dem Gefängnis schwer verletzen Moussa wieder. Skrupellose Schlepper übertragen ihm das Kommando eines alten Kutters, der mit Dutzenden Menschen völlig überladen das Mittelmeer überqueren soll.

Verbindung von sozial und human

70 Prozent der afrikanischen Bevölkerung, so der Regisseur und Produzent Matteo Garrone in einem Interview, bestehe aus Jugendlichen. Menschen emigrieren, um vor Kriegen, Hunger, Klimakatastrophen zu fliehen. Aber es gebe eben auch Jugendliche, die in tiefster Armut aber würdevoll leben, „die davon träumen, sich in Europa beruflich weiter zu entwickeln, auch um ihre Familien daheim zu unterstützen“. Matteo Garrone, 1968 in Rom geboren, hat sich von seiner Jugend an mit dem Kino beschäftigt. Mit Spielfilmen wie „Gomorra“ (2008) und „Reality“ (2012) gewann er jeweils den Gran Prix in Cannes. In seinen Filmen sucht er wie auch in „Dogman“ (2018) Soziales mit Humanem  zu verbinden. Zugleich widmete er sich der Fabelwelt etwa in den Produktionen „Tale of Tales“ (2015) oder „Pinocchio“ (2019). Ein Echo davon findet man in der Geschichte von Seydou und Moussa, den Garrone über seine eigene Produktionsfirma „Archimede“ mitproduziert hat.

„Io capitano“ ist ein Film, der tief in die Realität eintaucht, in der Dramaturgie märchenhafte Züge nicht scheut und schließlich mit wenigen Traumbildern versucht, das Innenleben seines Protagonisten auszuleuchten. Es ist das Fiktive, ja das teilweise Fabelartige, das die Handlung wahrhaftig und die Problematik eingängig macht.

Io capitano. Mit (u.a.) Seydou Sarr (Seydou), Moustapha Fall (Moussa), Issaka Sawagodo (Martin), Hichem Yacoubi (Ahmed). Regie: Matteo Garrone; Buch: Matteo Garrone, Massimo Gaudioso, Massimo Ceccherini, Andrea Tagliaferri; Kamera: Paolo Carnera; Schnitt: Marco Spoletini; Musik: Andrea Farri. Originalsprachen Wolof und Französisch. Produktion Archimede, RAI Cinema u.a.  Italien, Belgien 2023. Länge: 121 Minuten

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