EIN POKAL, AUS DEM MAN NICHT TRINKEN KANN


Zu Besuch in Paderno Dugnano im Weichbild Mailand, wo der FIFA World Cup herstellt  wurde und wo man ihn öfter restaurieren muss 

Wo der WM-Pokal designt wurde und laufend restauriert wird: Die Werkstatt von GDI Bertoni am Stadtrand von Mailand

Mailand (Juli 2014) – Das Objekt der Begierde stammt aus Italien, aus Mailand, der Welthauptstadt des Designs. Es ist innen hohl, 36,8 Zentimeter hoch und wiegt 6,1 Kilogramm, davon sind rund 5,5 Kilo 18karätiges Gold. An der Basis, wo es von zwei grünen Malachit-Ringen geziert wird, hat es einen Durchmesser von 13 Zentimetern. Seit 1974 tut es seinen Dienst. Der Vorgänger, der Jules-Rimet-Pokal, war den FIFA-Statuten nach vier Jahre zuvor ganz in den Besitz des brasilianischen Fußballverbandes gekommen, nachdem die Celeção zum dritten Mal den Titel gewonnen hatte. Franz Beckenbauer durfte dann als erster Spieler der Welt in München am 7. Juli 1974 nach dem gewonnenen Endspiel gegen die Niederlande Hand an die neue Trophäe legen. Auch das Regelwerk wurde geändert. Der neue WM-Pokal sollte solange im Rennen bleiben, bis sich Platz fand, den Namen des Gewinnerlandes auf die Basis und die Unterseite zu gravieren – mindestens bis zum Jahr 2038.

Wer ihn am 13. Juli nach gewonnenem Spiel in Rios versmogten Himmel reckt, hat einen Materialwert von rund 160 000 Euro in der Hand. Doch das wird den Spielern des Weltmeisters ziemlich egal sein, auch dass der „FIFA Word Cup“ genaugenommen kein Pokal ist, aus dem müsste man nämlich trinken können, sondern eine ziemlich kopflastige Skulptur mit der Erdkugel an der Spitze, die in jener Nacht so manchen Männerkuss aushalten muss. Aber darum geht es ja, Champions sind sie im Spiel um eine Kugel. Und wenn die siegestrunkenen Spieler genau hingucken würden, dann könnten sie sich, symbolisch jedenfalls, selbst erkennen. Denn die WM-Trophäe ist geformt aus zwei Körpern, zwei Athleten, die im Siegesrausch die Arme noch oben recken und so die Weltkugel halten, die gleichsam zwischen ihren Händen rotiert. Aber wer hat schon in solchen Momenten Augen für so etwas.

Die Freude der Sieger

„Ich wollte der Dynamik des Sport Ausdrucks geben“, sagt der inzwischen über neunzigjährige Designer Silvio Gazzaniga aus Mailand, der Schöpfer des Word Cup. „Und die Freude der Sieger  zeigen“, fügt er hinzu. Das sei ihm doch toll gelungen, sagt Valentina Losa, die heute das Unternehmen GDE Bertoni leitet, für das Gazzaniga Anfang der siebziger Jahre als künstlerischer Berater arbeitete. Ihr Urgroßvater hatte einst in der Mailänder Innenstadt eine Werkstatt für Medaillons und Heiligendarstellungen geführt, der Großvater machte daraus ein richtiges Unternehmen, das 1960 die Medaillen für die Olympischen Spiele in Rom produzierte. Zehn Jahre später beteiligte sich der Vater mit Gazzanigas Modell an den Ausschreibungen der FIFA für den neuen WM-Pokal – und gewann. Damals war die heute 34jährige Chefin noch gar nicht auf der Welt.

Aber seitdem kommt die Trophäe regelmäßig zu Restaurierungsarbeiten zurück in die kleine Fabrikhalle, die zwischen der nördlicher Stadtgrenze Mailands und dem Autobahnumgebung im Weiler Paderno Dugnano liegt. Da wo sich die Wirtschaftskraft der Lombardei mit löchrigen Straßen und rostigen Metallzäunen hinter der Hässlichkeit von Industriezonen versteckt, während in der Innenstadt neue, glasglitzernde Wolkenkratzer und moderne Platzanlagen das Image der Finanzmetropole aufpolieren, die im kommenden Jahr die Weltausstellung beherbergen wird.

Im Showroom von GDE Bertoni

Doch davon ist in Paderno nichts zu spüren, dafür glitzern im Showroom von GDE Bertoni die Kopien von Pokalen, die Fußballerherzen hochschlagen lassen: der Silberpott der Champions League mit seinen Riesenhenkeln, das langstielige blumentopfartige Gefäß der UEFA Europa League, der europäische Superpokal, der der Afrikameisterschaft, der IBAF Baseball-Weltpokal, der des Volleyballs (FIVB) – die Liste kann man, wie die Vitrinen zeigen, noch lange fortsetzen, darunter gehören neuerdings ebenso Trophäen für den arabischen Raum. „Ja, das haben wir alles hier gemacht“, lacht Valentina Losa hinter ihrer großen dunklen Designerbrille. Bis auf wenige wie den Topf der UEFA Champions League, den Schweizer Künstler entwickelt haben (was man ihm auch ansieht), wurden sie sogar hier gestaltet.Der WM-Pokal spielt natürlich die Starrolle in der Firmengeschichte, wie auch ein Foto von Franz Beckenbauer (mit Widmung) in Siegespose von 1974 zeigt, das zwischen den Vitrinen hängt.

Die Trophäe nimmt die Chefin dann liebevoll wie ein Kind in den Arm. Nach der Arbeit wird die kleine Frau zuhause von einer Familie mit drei kleinen Mädchen gefordert – das jüngste ist gerade drei Jahre alt geworden. Als ihr Vater noch lebte, musste das Original des World Cup im Jahr 2005 generalüberholt werden, nachdem auch Teile der Malachit-Ringe brüchig und der Goldglanz stumpf geworden waren. Seitdem leuchtet er wieder wie zu alten Zeiten. Aber seitdem hat die FIFA auch die ursprüngliche Regel geändert, dass das Original vier Jahre lang im Besitz des amtierenden Weltmeisters bleibt, der dann anschließend eine vergoldete Metallkopie erhält.

Original und Kopie

Jetzt wird die Goldtrophäe zwar zur Siegerehrung überreicht, mit nach Hause nehmen die Gewinner jedoch neuerdings eine Kopie, die sie behalten dürfen. Die wird natürlich auch in Paderno im Wachsausschmelzverfahren hergestellt und elektrochemisch vergoldet. Das Original kommt derweil nach Zürich in einen Tresor und wird nur bei besonderen Gelegenheiten gezeigt. Denn der FIFA steht noch vor Augen, wie der Jules-Rimet-Pokal dem stolzen brasilianischen Verband abhanden kam. Er wurde gestohlen und vermutlich von den Dieben eingeschmolzen. 1983 war das, in Rio de Janeiro, wo jetzt das Endspiel ausgetragen wird.  

Erschienen in der Süddeutschen Zeitung  Juli 2014