ETWAS KULTURELL DAUERHAFTES


Fondazione Prada (1): Auf der Suche nach Spuren der Gegenwart in Kunst, Kultur und Wissenschaft. Ein Treffen mit Chiara Costa, Verantwortlich für das Programm der Mailänder Kulturstiftung

© Cluverius

Hauptsitz der Fondazione Prada in Mailand

Mailand – Im unmittelbaren Umfeld des Sitzes der Fondazione Prada im Süden Mailands gibt es keine Plakatwand, die nicht auf die Aktivitäten der Kulturstiftung des Modeunternehmens hinweist. So auch auf Recycling Beauty, den Titel der von Salvatore Settis eingerichteten Ausstellung, die noch bis Ende Februar 2023 zu sehen ist. Es geht um die Wiederverwendung griechischer und römischer Altertümer in postantiken Zusammenhängen vom Mittelalter bis zum Barock. Für alle, die die Fondazione Prada vor allem mit Gegenwartskunst in Verbindung bringen, mag das Thema überraschen. Doch: „Gegenwartskunst allein gehört längst nicht mehr zur Identität der Fondazione.“ Das sagt die 44-jährige Kunsthistorikerin Chiara Costa, die seit drei Jahren als „Head of Programs“ für das Kulturprogramm verantwortlich ist, im Gespräch.

In einem gewissen Sinn ist die aktuelle Settis-Ausstellung ein „Back to the Future“, denn es war Settis, der 2015 mit seiner Untersuchung Serial Classic über die serielle Herstellung und Verbreitung von Kunst der Antike den Hauptsitz der Fondazione Prada mit einer wissenschaftlich orientierten Ausstellung eröffnet hatte. „Viele Wissensbereiche zu umarmen gehöre zur DNA bei Prada“, sagt Chiara. „Gegenwartskunst, Gegenwartskultur sind nur wirklich dann Gegenwart, wenn sie offen sind, sich mit anderen wissenschaftlichen Bereichen zu vernetzen.“

© Fond. Prada / Delfino Sisto Legnani

Chiara Costa (44), „Head of Programs“ der Prada Kulturstiftung

Blenden wir kurz zurück. Die Fondazione Prada entstand 1993 unter dem Vorsitz von Miuccia Prada und ihrem Ehemann (und Prada-CEO) Patrizio Bertelli mit dem Ziel „Kultur, Kunst und Design in Italien wie im Ausland aufzuwerten und zu fördern.“ Das war kein PR-Coup, sondern, so die Programmchefin heute, das war vor allem von dem Bedürfnis geprägt, „der schnellen, flüchtigen Welt der Mode etwas kulturell Dauerhaftes entgegenzusetzen“. Es gab Ausstellungen mit Künstlern von Anish Kapoor bis Walter De Maria, aber auch Tanzveranstaltungen oder Programme zur Restaurierung alter Filmzyklen.

Eine Top-Adresse des Mailänder Kulturtourismus

Die Eröffnung fester Einrichtungen zunächst in Venedig (Palazzo Ca‘ Corner della Regina 2011) und dann in Mailand (2015) machte die bis dahin eher in einer Nische arbeitenden Stiftung zu einem wichtigen Player der Kulturszene Italiens – und zu einer Top-Adresse des Mailänder Kulturtourismus. Es war die deutsche Kulturwissenschaftlerin Astrid Welter, die in diesen Jahren als Vorgängerin von Chiara Costa die Programmentwicklung der Stiftung entscheidend prägen konnte (und inzwischen den Mailänder Sitz der Galerie Kaufmann Repetto leitet). © Cluverius

© Cluverius

Modellansichten der von Rom Koolhaas (OMA) entworfenen Fondazione Prada in Mailand

Der Ausbau einer ehemaligen Destillerie des frühen 20. Jahrhunderts, die Rem Koolhaas (OMA) zwischen respektvoller Industriearchäologie und zukunftsweisender Erweiterung zum Hauptsitz der Fondazione Prada entwickelt hat, ist bereits in seiner architektonischen Anlage ein Ausdruck von Vielfalt. So gibt es einen Turm (Atlas) für die Privatsammlung von Prada und Bertelli, die inzwischen in der Stiftung aufgegangen ist ( – mit großen und gefälligen Namen der Gegenwartskunst von Damien Hirst oder Jeff Koons, Carla Accardi oder Carsten Höller). Davor streckt sich ein auf dem Dach grün bepflanzter Kinosaal, in dem auch Tagungen wie zuletzt über Neurowissenschaften abgehalten werden können (parallel etwa zur Ausstellung Human Brains mit Darstellungen des menschlichen Gehirns in Venedig). Im historischen Teil der Anlage finden sich intime Räume, in denen zum Beispiel Jean-Luc Godards Le Studio d’Orphée eine feste Bleibe gefunden hat (seit 2019). In einem mit Blattgold überzogenen Haunted House, das wie ein Spukschloss aus der minimalistisch geprägten Anlage herausragt, haben Robert Gobert und Louise Bourgeois in einer festen Ausstellung viel Raum für ihre Skulpturen.

Internationale Aktivitäten

Und dann gibt es das zentrale, aluminiumverkleidete Ausstellungsgebäude Podium, das jetzt Settis (wieder) bespielt. Ausgelagert wurde das Interesse an der Welt von Foto- und Videos, die in Mailand einen Platz im Osservatorio unter dem Dach der zentralen Galleria zwischen Dom und Scala gefunden hat. Eine lichtdurchflutete Arbeit site-specific von Dan Flavin, entstanden für die Flavin-Ausstellung aus den Anfangsjahren der Stiftung 1997, macht die Kirche S. Maria Annunciata in Chiesa Rossa (Via Neera 24) zu einem Anlaufpunkt für Kunstpilger.  Gar nicht zu reden von internationalen Aktivitäten der Fondazione etwa in Schanghai. Oder von Online-Auftritten mit ihren Podcast-Angeboten, die zunehmend ein junges Publikum anregen und durch die Herausforderung der Pandemie ein eigenes Format gefunden hat.

Die Programmentwicklung ist immer auch von Kontinuität geprägt. „Häufig ergibt sich ein Projekt aus dem nächsten“, so Chiara. Das gilt auch für Beziehungen zu Künstlern, die über Jahre hinweg immer wieder auftauchen, etwa Francesco Vezzoli oder Thomas Demand, der mit Processo grottesco (2015) eine feste Einrichtungen im Hauptsitz gestaltet hat.

© Fond. Prada / Manuela Pavesi

Miuccia Prada (73), Modedesignerin, Mitinhaberin des Prada-Unternehmens und treibende Kraft der Kulturstiftung

Diese Vielfalt, die bis zur einer Kinder-Akademie in der Räumen der Mailänder Stiftung reicht, wird von den mannigfaltigen Interessen vor allem der inzwischen 73-jährigen Miuccia Prada gespeist. Die Signora sei unglaublich präsent und rufe nicht einmal im Monat, sondern „mindestens zwei Mal am Tag an“, wie Chiara erzählt. Was aber treibt eine Miuccia Prada an? Auf der Homepage der Fondazione gibt sie Auskunft: „Wir interessieren uns zunehmend für die wichtigen Themen der Gegenwart, die das Leben aller betreffen und die wir manchmal nicht kennen oder nicht ganz verstehen.“ Für eine Kultureinrichtung „die ihre Wurzeln in der bildenden Kunst hat,“ sei die Auseinandersetzung mit der Wissenschaft eine intellektuelle und politische Herausforderung.

Fondazione Prada Largo Isarco 2, 20139 Mailand, 
Ca‘ Corner della Regina, Santa Croce 2215, 30135 Venedig 

fondazioneprada.org

 

Eine kürzere Fassung dieses Beitrags ist im Informationsdienst Kunst Nr. 765, Branchenbrief für die Kunstszene (Verlag Lindinger-Schmid, Berlin) erschienen.

Siehe auf Cluverius zur Ausstellung „Recycling Beauty“: Fondazione Prada (2) „Auferstanden aus Ruinen“