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Fondazione Prada (2): Die gelungene Ausstellung „Recycling Beauty“ über die Wiederverwendung antiker Fragmente und über die Vergangenheit als ein Phänomen in ständiger Entwicklung

© Cluverius

Bissige Ankündigung: Ausstellung Recycling Beauty in der Fondazione Prada Mailand

Mailand (Fondazione Prada bis 27.2.) – Als die Kunstzeitung „Giornale dell’Arte“ traditionell zum Jahresbeginn Kritiker, Fachleute, Liebhaber, Insider u.a. nach der besten Ausstellung des Jahres fragte, wurde immer wieder auf Recycling Beauty in der Fondazione Prada hingewiesen. Eine Ausstellung, die sich dem Thema der Wiederverwendung von griechischen und römischen Kulturgütern in postantiken Zusammenhängen, vom Mittelalter bis zum Barock, widmet. Sie wurde von Salvatore Settis und Anna Anguissola in Zusammenarbeit mit Denise La Monica kuratiert und von Rem Koolhaas/OMA gestaltet.

Ihr geht es darum, das Klassische nicht nur als ein Erbe der Vergangenheit zu betrachten, sondern als ein vitales Element, das unsere Gegenwart beeinflussen kann. Durch einen innovativen Interpretationsansatz und eine experimentelle Ausstellungsmethode wird das antike Erbe, insbesondere das griechisch-römische, in den Worten von Settis zu „einem Schlüssel für den Zugang zur Vielfalt der Kulturen in der heutigen Welt“. So stellt die Ausstellung den Moment in den Mittelpunkt, in dem das antike Stück seinen ursprünglichen oder zerstörten Zustand verlässt und reaktiviert wird.  Im Laufe der Jahrhunderte haben diese Stücke neue Bedeutungen angenommen oder sie wurden, nachdem die Kultur, die sie hervorgebracht hatte, verloren gegangen war, missverstanden.

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Etwas Missverstanden? – Figurengruppe aus dem 4. Jh. v. Chr. – im Mittelalter als Allegorie der guten Stadtregierung auf dem Kapitol ausgestellt

Das gilt etwa für die hellenistische Gruppe eines „Löwen, der ein Pferd zerreißt“ aus dem 4. Jahrhundert v. Chr., die im Mittelalter auf dem Kapitol aufgestellt wurde und zu einer Allegorie der guten Regierung wurde. Oder für einen dionysischen Sarkophag aus dem 2. Jahrhundert n. Chr., der elf Jahrhunderte später das Grabmal eines christlichen Gläubigen gestaltete. Anders die Fälle, in denen der eigentliche Ursprung der Werke missverstanden wurden: wie bei dem Pferdekopf im Bogen des Castel Nuovo in Neapel, von dem man bis vor zwei Jahrzehnten geglaubt hatte, er sei ein Ausgrabungsstück und der stattdessen ein Werk von Donatello ist. Während sich die als „Paris“ (ital. Paride) bekannte Statue im Mailänder Dom, von der man annahm, sie sei römisch, als ein Artefakt aus dem 16. Jahrhundert erwiesen hat.

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Römische Statue aus dem 1. Jh. n. Chr. – im 16. Jh. zur „Santa Ifigenia di Vicenza“ umgestaltet 

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Recycling Beauty ist zudem eine Ausstellung über Schönheit: Laut Settis ist dies auch der Grund, warum Werke wie die ausgestellten aus den Trümmern der griechisch-römischen Kunst gerettet wurden. Die Exponate, 64 Bronze- und Marmorskulpturen, Elfenbeine, Edelsteine und Zeichnungen stammen aus öffentlichen Sammlungen oder Museen wie dem Louvre, dem Kunsthistorischen Museum in Wien, der Ny Carlsberg Glyptotek in Kopenhagen, den Kapitolinischen Museen, den Vatikanischen Museen und der Galleria Borghese in Rom, den Uffizien und dem Archäologischen Museum in Neapel.

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Aktuelle Rekonstruktion (2022) der Kolossalstatue Konstantins (312 n. Chr.)

Zur Ausstellung ist ein monumentaler Katalog erschienen. Mit einer Reihe von Essays, einer umfangreichen Sammlung von Faktenblättern und wissenschaftlichen Hinweisen wird das Thema der Wiederverwendung im künstlerischen und architektonischen Bereich aus verschiedenen historischen, künstlerischen und philosophischen Blickwinkeln analysiert. Vergangenheit  erweist sich so als ein Phänomen in ständiger Entwicklung.

Ausstellung und Katalog dokumentieren einen großartigen Versuch, Geschichte als Verlauf zu skizzieren und die Kontinuität der Praxis der Wiederverwendung in Gedanken und Experimenten unserer Gegenwart zu erkennen.

Recycling Beauty. Fondazione Prada, Mailand, bis 27.2. Tgl. außer Di, Eintritt 15 Euro, Katalog 90 Euro . Info hier

 

Zur aktuellen Entwicklung der Fondazione Prada siehe auf Cluverius: „Etwas kulturell Dauerhaftes“