100 Jahre Maria Callas. Mailand feiert sie u.a. mit Ausstellungen im Museo Teatrale alla Scala und in den Gallerie d’Italia. Dazu Erinnerungen von Ingeborg Bachmann und Adriano Sofri
Mailand – Maria Callas wurde am 2. Dezember 1923 in New York geboren. Ihre Karriere band sie früh an Italien und an Mailand. Sie lebte einige Jahre unter der Madonnina und prägt ausgehend von ihren Erfolgen an der Scala das gesellschaftliche Leben in den Mailänder Salons der 1950er-Jahre. An der Scala trat Maria Callas zwischen 1950 und 1961 mit insgesamt 23 Titeln in 26 Aufführungen (darunter sechs Saisoneröffnungen) auf. Die Stadt feiert sie jetzt zu ihrem 100. Geburtstag als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der Operngeschichte mit einem Reigen von Veranstaltungen (Info hier). Zum Beispiel mit einem Abend über Pasolini und die Callas im Piccolo Teatro. Im Mittelpunkt stehen aber zwei Ausstellungen im Museo Teatrale alla Scala (bis 30. April 2024) und in den Gallerie d’Italia Intesa Sanpaolo (bis 18. Februar 2024).
Die beiden Ausstellungen ergänzen einander durch eine gegensätzliche Herangehensweise: Dokumentarisch die Gallerie d’Italia, interpretativ die Scala. So wurden fünf kleinen Räume im Ausstellungsbereich des Scalamuseums von Persönlichkeiten gestaltet, die sich heute mit dem Phänomen Callas auseinandersetzen. Giorgio Armani repräsentiert die Mode mit einem Kleid, das versucht, einer Stimme Form zu geben. Alvin Curran nutzt zeitgenössische Musik für die Neubearbeitung historischer Aufnahmen. Francesco Vezzoli und Latifa Echakch versuchen mit den Mitteln der Gegenwartskunst den Mythos der Callas zu greifen. Und Mario Martone hat mit Sonia Bergamasco einen Kurzfilm gedreht über die Faszination, die die Sängerin auf Ingeborg Bachmann ausgeübt hatte.
Die Galleria d’Italia zeigt Fotografien aus dem Archiv der Agentur Publifoto. Aufnahmen zwischen 1954 und 1970, die den Alltag der Calles abseits der Bühnen dokumentieren.
Die Affäre mit Onassis – ein Scoop für Publifoto
Die Fotografen begleiteten sie überall hin: auf der Straße, in Restaurants, auf dem Flughafen oder auf der Megajacht von Onassis, im mondänen Atelier der Schneiderei Biki, in ihrer Mailänder Wohnung und vor Gericht, als die Trennung ihrer Ehe verhandelt wurde. Wir finden sie neben den Männern, die ihr Leben am meisten prägten: ihrem Ehemann, dem Industriellen Giovanni Battista Meneghini, und Aristoteles Onassis – Publifoto veröffentlichte am 3. und 4. September 1959 den „Scoop“, der die Affäre der Weltöffentlichkeit enthüllte. Aber auch neben lebenslangen Freunden wie Antonio Ghiringhelli, Luchino Visconti, Vittorio De Sica, Franco Zeffirelli und natürlich Pier Paolo Pasolini, mit dem sie den Film „Medea“ drehte.
Die Ausstellung ist Teil der Initiativen zur Erschließung des Publifoto-Archivs, das mehr als 7 Millionen Fotografien der 1937 von Vincenzo Carrese gegründeten Agentur umfasst, der wichtigsten privaten Fotojournalistenagentur, die in den 1930er-Jahren in Italien gegründet wurde. Das Archiv wurde 2015 von Intesa Sanpaolo erworben und wird nun vom Historischen Archiv der Bankgruppe in Turin verwaltet.
Die Heilige Familie als Amulett
Zum reichhaltigen Programm 100 Jahre Callas gehört auch die Ausstellung einer kleinen Darstellung der Heiligen Familie, die die Diva als ein Amulett zu (fast) jeder Aufführung in einer dunkelroten Samtschatulle mit sich führte. Nur zweimal habe sie die Arbeit aus dem 18. Jahrhundert (Giambettino Cignaroli zugeschrieben) nicht zu einem Auftritt mitgenommen, erzählte sie dem Toronto Daily Star 1958, und beide Male habe ihre Stimme bei der Aufführung versagt. Eine Kopie des Artikels ist jetzt zusammen mit dem Amulett in der Kirche San Gottardo in Corte ausgestellt und (bis zum 8.1.) am Ende des Rundgangs durch das Mailänder Dommuseum im Palazzo Reale zu besichtigen.
Im Palazzo Reale ist außerdem eine Ausstellung von rund 60 großformatigen Fotografien mit Arbeiten von Patrizia Mussa unter dem Titel „Teatralità. Architetture per la meraviglia“ (bis 4.2.) zu sehen. Das gibt es Beispiele von ehemaligen Hoftheatern wie in Parma oder Sabbioneta, natürlich die klassischen Bühnen in Mailand oder Venedig, Neapel oder Palermo, aber auch „theatralische“ Architekturen in Schloßanlagen (u.a. in der Veneria, in Caserta, im Palazzo Grimani/Venedig). Passend dazu wurde gerade 400 Jahren italienischen Operngesang in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes der Unesco aufgenommen.
Tränen und Schlüsselschlagen
Maria Callas starb am 16. September 1977. Die Spuren der Erinnerungen an sie sind eine Myriade. Hier nur zwei Beispiele.
Ingeborg Bachmann (1926-1973), der Martone ja seinen Film gewidmet hat, hörte die Callas zum ersten Mal als Traviata 1956 in der Scala (Regie Luchino Visconti). In ihrem Nachlass fand sich ein Entwurf für eine „Hommage à Maria Callas“. Darin heißt es u.a.: „Sie war, wenn ich an das Märchen erinnern darf, die direkte Nachtigall dieser Jahre, dieses Jahrhunderts, und die Tränen, die ich geweint habe – ich brauche mich ihrer nicht zu schämen. Es werden so viel unsinnige geweint, aber die Tränen, die der Callas gegolten – sie waren so sinnlos nicht. Sie war das letzte Märchen, die letzte Wirklichkeit, deren ein Zuhörer hofft, teilhaftig zu werden. (…) Sie war der Hebel, der eine Welt umgedreht hat, zu dem Hörenden, man konnte plötzlich durchhören, durch Jahrhunderte, sie war das letzte Märchen.“
Der heute 81-jährige Journalist und Schriftsteller Adriano Sofri begann während seiner Haftzeit ab 1997 für die Zeitung Il Foglio eine tägliche Kolumne („Piccola Posta“) zu schreiben, in der auch den Gefägnisalltag dokumentierte:
„Ich habe schon mehrfach erzählt, dass den Gefangenen der Nachthimmel verboten ist und Dienstag Abend war eine Mondfinsternis angekündigt. Zum Ausgleich habe ich tagsüber mehrfach die Callas ‚Casta diva‘ singen hören, und ich hätte es gern noch öfter gehört. Es ist merkwürdig, stundenlang dieser Stimme und dieser Musik zuzuhören auf Hintergrundgeräuschen von Sicherheitstüren, die geöffnet und zugeworfen werden, und einem andauernden Schlüsselschlagen. Gewisse Gefängniswärter schlagen mit den Schlüsseln gegen die Türgitter. Sie wissen nicht, was sie anrichten. Am Nachmittag war ich niedergeschlagen: ich wollte nicht auf die Stunde an der frischen Luft verzichten, aber ich hätte auf eine Stunde mit der Callas verzichten müssen. Schließlich bin ich dennoch rausgegangen, doch ich habe den Fernseher angelassen, damit sich meine verfluchte Zelle wenigstens mit jenen Klängen füllte. Am Abend habe ich dann den Ton lauter stellen müssen, denn auf dem anderen Kanal wurde das Spiel von Inter übertragen … Jetzt sehe ich mir gerade ‚Medea‘ an. Die anderen Zellen schlafen zufrieden. Der Wärter der Nachtschicht langweilt sich, nehme ich an, deshalb spielt er mit seinen Schlüsselbund.“
Fantasmagoria Callas. Museo Teatro alla Scala, Kurator: Francesco Stocchi. Bis 30.4. tgl. 9.30 bis 17.30 Uhr, Eintritt 12 Euro, Katalog 15 Euro
Maria Callas. Ritratti dall‘archivio Publifoto Intesa Sanpaolo. Gallerie d’Italia-Milano. museo di Intesa Sanpaolo, Kurator: Aldo Grasso. Bis 18.2. tgl. außer Mo 9.30 bis 19.30 Uhr (Do bis 22.30 Uhr), Eintritt 10 Euro, Katalog in Vorbereitung
Maria Callas, La voce e l’amuleto. Chiesa San Gottardo in Corte. (Museo del Duomo) Bis 8.1., Eintritt 14 Euro, tgl. außer Mi 10 bis 19 Uhr.
Patrizia Mussa: Teatralità. Architetture per la meraviglia. Palazzo Reale. Kurator: Antonio Calvi. Bis 4.2. tgl. außer Mo 10 bis 19.30 (Do bis 20.30 Uhr), Eintritt gratis, Katalog (Silvana Editore)