Wieder aufgelegt: „Irrläufe – Hundert Romane in Pillenform“ von Giorgio Manganelli. Mit Vermutungen, Lügen und Phantasien tummelt sich der Autor in den künstlichen Paradiesen der Kunst
Mailand – In einer Zeit, in der Bücher von Verlagen schnell auf den Markt geworfen werden, um noch schneller wieder aus dem Blick und aus den Buchhandlungen zu verschwinden, wird eine Neu- oder Wiederauflage zu einem Akt kulturellere Resistenz und Resilienz. Wagenbach, von Anfang an eine Art Stolperstein in der deutschen Verlagslandschaft, übt sich erfolgreich in dieser Praxis. Jetzt mit „Irrläufe – Hundert Romane in Pillenform“ von Giorgio Manganelli (1922-1990). Die italienische Originalausgabe erschien 1979, die deutsche Übersetzung durch Iris Schnebel-Kaschnitz (1928-2014) in der Wagenbach-Reihe Quartheft ein Jahr später. Der Verlag bringt Manganellis erfolgreichstes Buch jetzt im schönen Azzurro und im eleganten Format der neuen Reihe Oktavheft heraus. In der werden „vergessene sowie nie oder neu übersetzte moderne Klassiker, literarische Schwergewichte mit kenntnisreichen Vor- oder Nachworten versehen“ wieder vorgelegt. (Siehe auf Cluverius auch „Eine Privatsache“ von Beppe Fenoglio)
Giorgio Manganelli, der aus der „Bassa“, der Po-Ebene, stammte und schließlich in Rom seinen Lebensmittelpunkt fand, war ein Irrwisch der italienischen Literatur. Ausgehend von den Erfahrungen des avantgardistischen Gruppo 63 machte er sich neben Kritiken, Essays und Reiseberichten (Indien, China) mit phantasievollen, experimentellen Prosastücken einen Namen, die „die Notwendigkeit der Lüge für Literatur, ihren anarchistischen und hypothetischen Charakter“ unterstrichen – so Klaus Wagenbach (1930-2021) in einem Nachwort zu den „Irrläufen“. In den phantasiert sich der Autor durch eine Hundertschaft von Kurzromanen, die die Erzählung von Wirklichkeit auf den Kopf stellen und ihr gerade dadurch eine kritische Rolle zusprechen.
In den künstlichen Paradiesen der Kunst
Da spielt sich Leben etwa rund um ein Luxusbordell für keusche Herren auf einem unbekannten Himmelskörper ab. Ein paar Romane weiter geht es um die Tötung des Lilientiers, weil es „lind, statisch und abstinent“ ist. Kurz darauf folgt man einem Ritter, der stolz auf seine Unternehmungen ist, „obwohl er dunkel weiß, dass seine Lanze zu gleichen Teilen vom Schicksal und von der Dummheit geführt wurde.“ Kurz: Manganelli tummelt sich „in den künstlichen Paradiesen der Kunst“ (Klaus Wagenbach), dass es eine pure Lese- und Lebensfreude ist.
Giorgio Manganelli: Irrläufe. Hundert Romane in Pillenform. Mit einem Nachwort von Klaus Wagenbach. Aus dem Italienischen von Iris Schnebel-Kaschnitz. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin (2022). 160 Seiten, 22 Euro