WEBEN UND WIDERSTEHEN


„Garten der Engel“  ist ein Kriminalroman, der Einblicke in die Geschichte Venedigs unter der deutschen Besatzung am Ende des letzten Weltkriegs bietet.

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Dunkle Zeiten in Venedig 

Mailand/Venedig – In dem Roman „Garten der Engel“ (Folio Verlag) von David Hewson verknotet sich eine Familiengeschichte mit den historischen Ereignissen Venedigs in den letzten beiden Jahren des 2. Weltkrieges unter deutscher Besatzung. Während der größte Teil der Bevölkerung versucht, mehr schlecht als recht zu überleben, kämpft ein junger Mann nach dem Tod seiner Eltern um den Erhalt des Familienunternehmens, einer traditionellen Seidenweberei. Er gerät dabei in die Wirren von Unterdrückung, Judenverfolgung, Bürgerkrieg und Widerstand. Und nicht immer sind Freund und Feind auseinanderzuhalten.

David Hewson erzählt mit seinem spannenden, von Birgit Salzmann mit viel Gespür für die venezianischen Schauplätze übersetzten Roman von einer Zeit des Schreckens, in der zugleich mit Zivilcourage Fäden zu ihrer Überwindung und zur demokratischen Wiedergeburt Italiens gesponnen werden.

Dramatische Handlungswechsel

Das war eine chaotische und sich ständig verändernde Situation in der Lagunenstadt. Nord- und Mittelitalien waren von deutschen Truppen besetzt, während von Süden die Alliierten langsam vorrückten (September 43/April 45). Die Stadt bot keine nennenswerten militärischen Ziele und bleib wohl auch wegen der Bedeutung ihres kulturellen Erbes von Luftangriffen verschont.  Im Teatro La Fenice wurden Opern gespielt, Bars und Nachtclubs waren geöffnet, die Restaurants gut besucht. Flüchtlinge, Nazi-Besatzer und faschistische Helfershelfer von Mussolinis Republik von Salò, Soldaten, die ihren Fronturlaub machten, die jüdische Gemeinschaft, sich konkurrierende Polizeieinheiten und ebenfalls unterschiedliche Widerstandsgruppen bildeten ein Beziehungsgeflecht, in das der englische Autor David Hewson seine Personen einwebt und für viele dramatische (und hier und da etwas reißerische) Handlungswechsel nutzt.

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Jüdisches Altenheim im Ghetto heute – Im August und Oktober 1944 wurden die Bewohner des Altenheims verhaftet und nach Auschwitz deportiert

Als Protagonist tritt der junge Paolo Uccello auf, der zusammen mit einer der Weberei lange verbundenen Facharbeiterin das elterliche Unternehmen retten will. Er versteckt in seinem abgelegenen Familienplast anfangs ohne innere Überzeugung die jüdischen Geschwister Mika und Giovanni, zwei aus Turin geflohene Einzelkämpfer im Partisanenkampf. Ihre Geschichte kreuzt sich mit dem Arzt Aldo Diamante, eine historisch belegte Figur, der als Vorsteher der jüdischen Gemeinde eine tragische Rolle spielt. Und mit Padre Filippo, Pfarrer von San Pietro, der sich seiner Verantwortung als Christ stellt.

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Ospedale Ss. Giovanni e Paolo – die schönste Krankenhausfassade der Welt  

Neben vielen anderen Figuren dieser erfundenen Handlung spielt der Venezianer Luca Alberti eine wichtige Rolle. Polizist und Faschist, zynisch und gerissen, repräsentiert er im Roman gleichsam das Böse, das auch mit dem Kriegsende nicht vom Erdboden verschwindet. Der Autor zeichnet ihn als gespaltene Persönlichkeit vieldimensional wie keine andere seiner Figuren. David Hewsons Roman überzeugt, weil er sich einerseits natürlich auf die Seite der Verfolgten stellt, andererseits aber weitgehend auf Schwarz-Weiß-Malerei verzichtet, die Bürgerkriegsstimmung in der Stadt aufgreift und durchaus Widersprüche in der Resistenza herausarbeitet. Ob dabei jeder Handlungsverlauf einer Faktenprüfung standhalten würde (oder psychologisch überzeugen kann), fragt man sich angesichts des straff gespannten Spannungsbogens nicht.

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Historischer Treffpunkt: Bar und Zuckerbäckerei Rosa Salva

Hilfreich ist die dramaturgische Rahmenhandlung, mit der David Hewson Geschichte und Gegenwart verbindet. Es gibt neben einem neutralen Erzähler, der allerdings manchmal mehr erklärt als erzählt, zwei Erzählstimmen. Nico, der 15-jährige Enkel von Paolo Uccello, besucht seinen im Sterben liegenden Großvater im Krankenhaus. Von ihm erhält er in mehreren Fortsetzungen einen Text, in dem Paolo ausführlich die historischen Ereignisse wieder wach werden lässt, die Nico wiederum reflektiert.

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Der Schriftsteller David Hewson (70) unterwegs in der Lagunenstadt. Die Jury der Krimibestenliste von Deutschlandfunk Kultur hat seinen Roman unter die zehn besten Krimis im Monat April 2023 gewählt 

Der Journalist und Schriftsteller David Hewson, geboren 1953, lebt in Kent. Er hat sich mit einem Dutzend Romanen, von denen viele in Italien spielen, als Thriller- und Krimiautor einen Namen machen können. Die Originalausgabe von „Garden of Angels“ erschien zeitgleich in Großbritannien und den USA 2021.

Venedig als Schauplatz

Venedig als Schauplatz spannender Erzählung hat immer wieder Autorinnen und Autoren aus der englischsprachlichen Welt angezogen. Das reicht etwa von einem Klassiker wie Henry James („Aspern Papers“ 1888) bis zum leicht verkitschten Venedig von Dona Leon mit ihrem Commissario Brunetti. Auch der talentierte Mr. Riply von Patricia Highsmith taucht in der Lagunenstadt auf. Der britische Schriftsteller Martin Cruz Smith hatte etwa 2017 für „The girl from Venice“  – deutsch bei Bertelsmann 2018 „Im Schatten von San Marco“ – genau denselben historischen Hintergrund gewählt wie David Hewson vier Jahre später. Auch ähneln sich einige Motive der Handlung – u. a. versteckt bei Cruz Smith ein venezianischer Fischer eine Jüdin, die vor den Deutschen geflohen ist, und gerät so in Kontakt zu Widerstandskreisen.

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Weberin der Tessitura Bevilacqua bei der Arbeit an einem alten Webstuhl

David Hewson hat ausführlich vor Ort recherchiert. Er führt den Leser durch eine Reihe von Schauplätzen und macht den Roman auf eine gewisse Art auch zu einem Stadtführer. Es geht kreuz und quer durch Venedig, von der alte Kathedrale San Pietro di Castello bis zum Ghetto, von der Via Garibaldi bis zum Ospedale Ss. Giovanni e Paolo (vielleicht nicht zufällig zugleich die Vornamen der beiden Hauptdarsteller?), von der Friedhofsinsel San Michele bis zum jüdischen Friedhof auf dem Lido. Wer das Glück hatte vom Autor, der sich oft in Venedig aufhält, selbst geführt zu werden, konnte etwa mit ihm die Werkstatt der traditionsreichen „Tessitura Luigi Bevilacqua“ im Viertel S. Croce besichtigen. Der Betrieb mit seinen heute noch genutzten alten Jaquard-Webstühlen inspirierte David Hewson für die Weberei der Familie Uccello und die im Buch beschriebene Technik des Seidenwebens.

So ist der „Garten der Engel“ ein Krimi, der spannend Einblicke in ein im deutschen Sprachraum immer noch wenig beachtetes Kapitel der Geschichte Venedigs liefert – und ein kleiner Kulturführer zugleich. 

David Hewson: Garten der Engel. Roman. Aus dem Englischen von Birgit Salzmann. Folio Verlag, Wien/Bozen 2023. 387 Seiten, 27 Euro