EIN TOLLES GEFÜHL


Die Accademia Teatro alla Scala (1): Ob Musiker, Tänzer oder Handwerker, die Scala-Akademie bildet eine Elite unter den Nachwuchskräften in allen Bühnenberufen aus 

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Das Orchester der Scala-Akademie – eines der besten Jugendorchester Italiens

Mailand – Es geht fröhlich zu in dem ehrwürdigen Teatro alla Scala, wenn jetzt zum Ausklang der Spielzeit eine Oper für Kinder auf dem Programm steht. Es wird gelacht und gerufen, geschupst und gedrängelt. Mit brausendem Beifall und zustimmenden Pfiffen werden die Musiker begrüßt, die im Orchestergraben Platz nehmen. Dann verlöscht langsam das Licht, hier und da mahnt jemand „tsch, tsch“ zur Ruhe. Die ersten Takte von Mozarts „Entführung aus dem Serail“ – eine reduzierte Fassung in italienischer Sprache in Koproduktion mit den Salzburger Festspielen – verbreiten schließlich eine zauberhafte Stimmung in dem vormittags um 11 Uhr mit Grundschülern vollbesetzten Haus.

„Das ist ein tolles Gefühl“, sagt Felizia Bade von den ersten Violinen im Orchester. Man spüre während der ganzen, rund eine Stunde dauernden Aufführung, „die pure Neugier und Freude der Kinder.“ Die 24jährige Musikerin aus dem ostwestfälischen Vlotho lebt nach einem Studium in Lugano seit ein paar Monaten in Mailand und hat hier – nach überstandener Vorauswahl – an der Akademie der Scala einen zweijährigen Meisterkurs für Orchestermitglieder belegt. Das Teatro alla Scala pflegt nicht nur den Nachwuchs im Publikum, sondern seit Jahren äußerst erfolgreich den des Theaters selbst.

Über 30 Berufskurse in vier Hauptabteilungen

Bei dieser in Europa wohl einmaligen Einrichtung werden in vier Hauptabteilungen Musik (Chor, Orchester und Gesang), Tanz (klassisch und modern), Bühne (Szenographie, Kostüme, Maske und Spezialeffekte) sowie Theatermanagement über 30 Berufskurse für rund 600 Teilnehmer angeboten. Ziel ist es, eine Elite unter den Nachwuchskräften zu fördern. Vorgeschaltet sind Vorbereitungs- und Einführungskurse für weitere 700 Schüler.

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Vor einer Karriere steht harter Unterricht – Ballettklasse der Akademie

Ein erste Ballettschule gab es an der Scala bereits 1813 – heute lernen hier rund 200 junge Tänzerinnen und Tänzer aller Altersstufen. Parallel führt sie ein Lyzeum bis zum Abitur. 20 Schüler (je 10 junge Frauen und junge Männer) machen Jährlich einen Abschluss. Der frühere Ballettchef der Scala Frédéric Olivieri leitet die Ballettabteilung. Er ist stolz darauf, dass fast 90 Prozent aller Abgänger eine Anstellung finden.

Absolventen wie Roberto Bolle oder Anja Kampe

Arturo Toscanini gründete 1950 eine Meisterklasse für junge Sänger. 1991 schuf man am Theater eine eigene Direktion für alle Ausbildungszweige. 2001 wurde die Akademie in eine Stiftung überführt, die heute mit einem Jahresbudget von rund 7 Millionen Euro mehrheitlich von der Scala getragen und von privaten Einrichten unterstützt wird.

Stars wie Roberto Bolle, Anja Kampe oder Nino Machaidze gehören zu den Absolventen. Intendant Alexander Pereira setzt mehr noch als seine Vorgänger auf eine enge Verknüpfung von Ausbildung und Bühnenpraxis am Opernhaus. Er ist der erste Intendant der Scala der auch Präsident der Accademia ist. Das habe, so Pereira, „zu einer Osmose und zu höchsten qualitativen Ergebnissen geführt.“ (Siehe auch hier das Interview auf Cluverius.)

Entscheidend dabei, so die Direktorin Luisa Vinci, sei der Werkstattcharakter der Accademia: „Woher kommen unsere Dozenten? Die kommen zum größten Teil aus der Belegschaft der Oper und dem künstlerischen Personal.“ Die Stimmführer des Scala-Orchesters stellen zum Beispiel den Lehrplan für die zweijährige Ausbildung der Musiker des Akademie-Orchesters auf. Bei allen Berufsfeldern gebe es „diese Art Osmose zwischen Ausbildung und Theater.“

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Eine Brücke zwischen Ausbildung und Bühnenpraxis – Hof der Accademia in der Mailänder Altstadt

Zusammen mit ihren Kommilitonen gehört Felizia Bade zum Orchestra dell’Accademia Teatro alla Scala. Man gibt öffentliche Konzerte in der Scala oder spielt auf Tourneen. Im Oktober etwa unter der Leitung von Christoph Eschenbach mit Stücken von Beethoven (Egmont-Ouvertüre, 1. Symphonie) und Brahms (2. Symphonie). Gerade trat das Jugendorchester in Rom zum Abschluss des Heiligen Jahrs mit Puccinis „Messa di Gloria“ beim Festival di musica e arte sacra auf. Eschenbach zeigte sich begeistert über die Arbeit mit den jungen Musikern und über „ihren Willen zur Perfektion“. Sie seien „technisch schon so erfahren, dass sie alles umsetzen können, was man verlang.“ Und Felizia Bade sagt: „Wenn uns einer wie Eschenbach ernst nimmt, dann will man auch alles geben.“

Workshops und Stages gehören zur Ausbildung

Wer etwa mit Schülern der Bühnenbildausbildung wie Alice (24), Elisabetta (26) und Elia (29) im Hof der Scala-Werkstätten spricht, spürt auch hier einen Enthusiasmus, der die ganze Accademia durchzieht. Die drei, die vorher an der Mailänder Kunsthochschule Brera studiert haben, sind von dem Praxisbezug der Einrichtung begeistert. Sie arbeiten zusammen mit ihren Meistern an den Planungen der Bühnenbilder, zeichnen Skizzen oder stellen dafür die Aufführungen ganz konkret etwa Holz- und Kunststoffskulpturen her. Während der zweijährigen Ausbildung wird ihnen auch die Möglichkeit gegeben, bei Workshops und Stages in anderen Einrichtungen Erfahrungen zu sammeln – vom Rossini-Festival in Pesaro bis zur Oper in Barcelona oder Trickstudios in London.

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Scala Werkstätten in den ehemaligen Industrieanlage Ansaldo

Zu den Höhepunkten der Ausbildung zählt ein Progetto Accademia, das von nun an zum offiziellen Spielplan der Scala gehört. Jedes Jahr soll eine große Oper unter der Leitung erfahrener Dirigenten und Regisseure eingeübt werden. In diesem Jahr 2016 begann es mit einer Zauberflöte, im kommenden Jahr 2017 soll Humperdincks „Hänsel und Gretel“ folgen. Bei der Zauberflöte dirigierte Adam Fischer das Orchester der Akademie und Peter Stein führte Regie. Zur Vorbereitung kam Stein acht Monate lang für jeweils vier Tage an die Scala. Anfangs war er, wie er in einem Interview sagte, entsetzt, denn „die jungen Sänger der Akademie hatten nicht die leiseste Ahnung von Schauspielerei.“ Doch Schritt für Schritt brachte er ihnen bei, wie sie sich auf der Bühne zu bewegen haben und die Stimme bei den langen Sprechphasen modulieren sollten.

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Die Zauberflöte als Akademieprojekt – in der Mitte Martin Summer (Sarastro)

Unter ihnen war der österreichische Bass Martin Summer (Jahrgang 1988) aus Graz in der Rolle des Sarastro, der sich „an die tolle Arbeit“ mit Stein noch lange erinnern wird. „Ich habe unglaublich viel gelernt.“ Summer ist an die Akademie gekommen, als er von dem Projekt Zauberflöte erfuhr. Die Musikkritik lobte die Inszenierung, die den ganzen September gespielt wurde. 175 Schüler aus 20 Nationen waren daran beteiligt. „Diese Zauberflöte ist wirklich zauberhaft“, titelte etwa die Tageszeitung Il Sole 24 Ore. Und der Corriere della Sera jubelte: „Un grande spettacolo!“

Eine „großartige Aufführung“ hieß es auch unisono bei Groß und Klein nach dem „Ratto dal Serraglio“ für Kinder. Und Sängerinnen und Sänger, Martin Summer etwa als Osmino, standen danach noch lange nach dem Schlussapplaus in ihren Kostümen im Foyer und gaben Autogramme. Es wird nicht das letzte Mal in ihrem Leben gewesen sein.

Info: http://www.accademialascala.it

Der Text ist in kürzerer Form auch in der Zeitschrift Opernwelt (Dezember 2016) erschienen. Der Bayerische Rundfunk hat auf BR-Klassik am 30.11.2016 einen Beitrag gesendet