AZURBLAUE UNENDLICHKEIT


Ein Maler und seine Leidenschaft – Die sizilianischen Meerstudien von Piero Guccione im Museo d’arte Mendrisio

©Museo d'arte, Mendrisio Foto Cosimo Filippini 2019

Blaue Linientreue – Piero Guccione: „La Linea azzurra „(2007), Öl auf Leinwand 81 x 111 cm

Mendrisio (Museo d’arte bis 30.6.) – Der Ort Scicli liegt an der südöstlichen Spitze Sizilien, wo die größte Insel Italiens bei der Punta Corvo über das Mediterraneo nach Afrika weist. Hier kam 1935 Piero Guccione auf die Welt. Das Meer mit all seinen Variationen wurde dem Maler zur ästhetischen Leidenschaft: „Mich fasziniert der absolute Stillstand des Meeres, das jedoch unentwegt in Bewegung bleibt.“ Das Museo d’arte Mendrisio (Tessin) zeigt jetzt das Spätwerk von Piero Guccione, der 2018 im Alter von 83 Jahren in Modica starb. Unter dem Titel La pittura come il mare („Malerei wie das Meer“) sind 56 Arbeiten vorwiegend in Öl- aber auch in Pastell-Technik zu sehen.

Die Arbeiten zeigen, wie der Maler in seinen Meeresansichten einerseits der Wirklichkeit verbunden bleibt und zugleich die Abstraktion sucht. Er ist kontinuierlich auf der Suche nach der Linie zwischen Meer und Himmel, wo Raum sich gleichsam auflöst und zu einer unendlichen Fläche wird. Guccione arbeitete immer nach dem Gedächtnis. Er kehrte nach langen Wanderungen längs der Küste ins Atelier zurück und begann, ohne Skizzen und ohne technische Mittel wie Fotografie zu arbeiten

Die Malerei, beeinflusst auch von Caspar David Friedrich, strahlt eine ungeheure Ruhe aus, von der sich der Betrachter magisch angezogen fühlen kann. Zugleich aber überlagern sich im Kopf andere Bilder. Ist das nicht auch das Meer antiker Mythen – und ebenso das gegenwärtiger Flüchtlingsdramen? Wird Ruhe hier zur Friedhofsruhe? Es war schon immer die innere Kraft großer Kunst, die dem Betrachter Raum für seine Gefühle und Gedanken öffnen, die mit den Werken verschmelzen und sie am Leben halten.

 © Museo Medrisio/Luigi Nifosì

Piero Guccione (1935-2018) am Strand von Sampieri

Piero Guccione studierte zunächst in Catania und dann ab 1954 an der Kunstakademie Rom. In den 1950er und 1960er Jahren nahm er mehrfach an archäologischen Kampagnen zur Freilegung von Felszeichnungen in der Sahara teil. Es folgten Studienaufenthalte in den USA und in Frankreich. In Rom suchte er die Nähe zu neofigurativen Künstlergruppen. Von 1966 bis 1969 war er Assistent von Renato Guttuso an der römischen Accademia di Belle Arti. Ausstellungen in ganz Italien (auch mehrfach auf der Biennale) sowie im Ausland (Paris, Basel, New York) machten ihn über die lokale römische Szene hinaus bekannt. Doch blieb er im Kunstbetrieb eher ein Außenseiter. 1979 kehrte Guccione in die heimatliche Landschaft im Südosten Siziliens zurück, wo sich unter seinem Einfluss die Künstlergruppe „Gruppo di Scicli“ (u.a. mit Sonia Alvarez und Franco Sarnari) bildete. Und das Meer nahm ihn endgültig gefangen.

Im Katalog der Ausstellung, herausgegeben vom quicklebendigen Museum der Tessiner Bezirksstadt zwischen Lugano und Chiasso, ist auch ein Grußwort der Tochter des Künstlers enthalten. Paola Guccione erinnert an den „sparsamen Umgang“ ihres Vaters mit Worten – in der „azurblauen Unendlichkeit“ des Meeres habe „er all das, was verschwiegen geblieben war“, ausgedrückt. Paola Guccione leitet auch das vor einem Jahr gegründete Archivio Piero Guccione, das dabei ist, einen vollständigen Werkkatalog der Arbeiten des Künstlers zusammen zu stellen. Außerdem wird geplant, in seinem ehemalige Wohnhaus in Scicli eine Künstlerresidenz einzurichten.

Piero Guccione – La pittura come il mare. Museo d’arte Mendrisio bis 30. Juni 2019. Di – Fr 10-12 und 14-17 Uhr, Sa und So 10-18 Uhr, Eintritt 10 CHF/Euro, Katalog (leider nur auf Italienisch) 25 CHF/Euro. Info hier

In der Ausstellung ist neben dokumentarischen Materialien auch ein Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm „Piero Guccione – verso l’infinito“ von 2011 zu sehen. Hier zum Trailer