CHRONIK EINES EINZELGÄNGERS


Der Roman „Der kunstfertige Fälscher“ von Maria Attanasio erzählt von einem Leben auf Sizilien (und in der Welt), das in wohltätiger Selbstjustiz seine Erfüllung findet

Herausforderung für einen Künstler – die 500 Lire Banknote der 1920er Jahre (Kaufwert umgerechnet von rund 560 Euro heute)

Mailand – Das ist wirklich ein „kurioser Fall“, wie es im Untertitel dieser höchst lesenswerten Geschichte von Maria Attanasio heißt. Die Autorin erzählt von Paolo Ciulla (1867 – 1931), einem Künstler und Fotografen aus ihrer sizilianischen Heimatstadt Caltagirone, der nach einem abenteuerlichen Leben zwischen Neapel, Paris, Buenos Aires schließlich in Catania zum Geldfälscher wurde. Aber nicht, um sich zu bereichern oder um sich in den Dienst maffiöser Gruppen zu stellen. Er war ein Einzelgänger, der aus „Hunger nach Gerechtigkeit“ zu einer ganz eigenen Art der Selbstjustiz griff, indem er Armen und Ausgebeuteten von ihm perfekt nachgemachte 500-Lire-Scheine zusteckte, die sogar die Staatsbank nicht als Fälschung erkannte.„Roman bedeutet nicht Lüge“, sagte Ciulla, als er schließlich durch einen Zufall aufgespürt wurde und man ihm den Prozess machte. Manchmal, so der „kunstfertige Fälscher“ vor Gericht, manchmal sei das Leben „viel verlogener als ein Roman.“ Maria Attanasio hält sich in der Beschreibung seines Lebens weitgehend an die Chronik der Ereignisse. Und die ist in der Tat romanhaft, während das Leben, in das Ciulla geworfen wird, voll falscher Versprechungen, Gemeinheiten und Heucheleien steckt. Ciulla, der Sohn eines Schusters, entdeckte die Liebe zur Kunst wie die zum eigenen Geschlecht. Beide Lieben waren war mit Hürden und Fallen verbunden.

Rache an einem tauben und abwesenden Staat

Und Zeitgeschichte drängte sich in die ganz private Geschichte von Ciulla, was die Autorin geschickt verwebt. Aufstandsbewegungen wie die „fasci siciliani“, sozialistische Ideen und Parteien aber auch Kolonialkriege spielen eine Rolle. Gelegentlich genügt eine Andeutung oder auch nur ein Name, um die historische Dimension zu erhellen – ein Glossar am Ende des Buches stellt zur Sicherheit knapp formulierte Zusammenhänge her.

© Francesco Francaviglia / Edition Converso

Maria Attanasio, Lyrikerin, Erzählerin und Pädagogin, geboren 1943 in Caltagirone

Maria Attanasio hat als Autorin aber auch als Staatsbürgerin nie Hehl aus ihrer politischen Überzeugung gemacht. Sie war Mitglied der KPI, als es die Partei noch gab und nennt sich weiterhin Kommunistin. Kein Wunder also, dass sie ihren Helden mit viel Sympathie durch Höhen und Tiefen seines Daseins begleitet, der schließlich „Rache an einem tauben, abwesenden Staat“ nimmt. Als preisgekrönte Lyrikerin und als Erzählerin lässt sich die heute 77jährige von den langen veristischen Wellen der sizilianischen Literatur treiben. Zur ihrer Poetik gehört der Gebrauch von Worten und Redewendungen ihrer Heimat, was für die Arbeit der Übersetzerinnen sicher eine Herausforderung war – zum Glück sind sie nicht in die Falle getappt, etwas nachzuempfinden, was nicht nachzuempfinden ist.

Schön herausgekommen ist auch in der deutschen Übersetzung (des bereits 2007 bei Sellerio erschienenden Originals) die gleichsam barocke Form der Chronik, die bereits im Untertitel „Ausführliche Notizen über den kuriosen Fall…“ kenntlich wird. So schmückt die Autorin manche Szenen aus, manchmal berichtet sie nur, fasst zusammen, springt von einer Lebensstation ihres Protagonisten in die nächste, fügt laufend neue Personen in die Handlung ein. Das erfordert ein waches Lesen, das aber Lesevergnügen garantiert.

Maria Attanasio: Der kunstfertige Fälscher. Ausführliche Notizen über den kuriosen Fall des Paolo Ciulla aus Caltagirone. Aus dem sizilianischen Italienisch von Michaela Wunderle und Judith Krieg. Edition Converso, Bad Herrenalb (2020). 224 Seiten, 18 Euro