DAS DENKEN ALS COLLAGE


Italien feiert Louise Nevelson in mehreren Ausstellungen unter anderem in Venedig und in Mailand

© Cluverius

Ein Leben mit Collagen – Arbeiten aus den 1960er- und 1970er-Jahren von Louise Nevelson selbst arrangiert (Galerie Giò Marconi, Mailand)

Mailand/Venedig – In historischen „Kapseln“ erinnert die diesjährige Biennale dell‘Arte u.a. an die US-amerikanische Künstlerin Louise Nevelson (Kiew 1899 – New York 1988). Ihre vom Kubismus beeinflussten und ebenso mit der Arte Povera verwandten Arbeiten kann man aber vor allem auf zwei größeren Ausstellungen in Mailand und in Venedig verfolgen. Dazu kommt eine kleine Initiative in Castelfranco Veneto. In Venedig stehen in den gerade restaurierten und wieder zugänglich gemachten Procuratie Vecchie an der Piazza San Marco die Skulpturen und Wandinstallationen im Mittelpunkt. In Mailand geht es um die Collagen auch im Zusammenhang mit der Buchveröffentlichung „Out of Order. The Collages of Louise Nevelson“ in englischer Sprache.

Louise Nevelson wurde 1899 als Leah Berliawsky in der Ukraine geboren. Die jüdische Familie wanderte 1905 in die USA aus und ließ sich in Maine nieder. Durch die Ehe mit dem Unternehmer Charles Nevelson nahm die erst 17-Jährige den neuen Namen an. Die Ehe scheiterte bereits 1931, doch ihr ehemaliger Mann unterstützte sie weiterhin in ihrer Ausbildung als Künstlerin. In den 1930er-Jahren reiste sie nach Europa und studierte bei Hans Hofmann in München, bevor sie sich der Art Students League in New York anschloss. Ihre erste Einzelausstellung hatte Louise Nevelson 1941 in der Nierendorf Gallery in New York. In den frühen 1950er-Jahren besuchte sie Guatemala und Mexiko, um das Erbe der präkolumbianischen Kulturen näher kennenzulernen – eine Erfahrung, die ihre künstlerische Praxis nachhaltig beeinflussen sollte.

© Lorenzo-Palmieri/Mostra "Persistence" Venezia

Leuchtend: Skulpturen von Louise Nevelson in der Ausstellung „Persistence“ (Venedig)

Louise Nevelson gelang es, das traditionelle Umfeld des Hauses vom Symbol weiblicher Sensibilität, Häuslichkeit in einen Ausdruck kreativer Freiheit zu verwandeln. Mit ihrer Technik leistete von den 1950er-Jahren an Pionierarbeit für einen neuen ökologischen Ansatz des Kunstschaffens, indem sie alltägliche Element des Hauses für die Schaffung von Artefakten verwendete. Von größeren, dreidimensionalen Teilen alter Möbel, die die Künstlerin in großen Mengen erwarb, bis hin zu kleineren und oft verderblichen Gegenständen wie Pappe, Papier, Holzschnittabfällen und Türklinken. Die von Julia Bryan-Wilson kuratierte venezianische Ausstellung – ein der Künstlerin gewidmeter Katalog soll 2023 erscheinen – unterstreicht jedoch, wie schwierig es für Louise war, für ihr so „unmännliches“ Werk in einer Welt männlicher Künstler und Kritiker Anerkennung zu finden.

© Cluverius

Alltagsmaterialien – Ausschnitt aus einer Collage von 1956 (Galerie Giò Marconi, Mailand)

Die Mailänder, von Yuval Etgar kuratierte Ausstellung in der Galleria Giò Marconi unterteilt Nevelsons Collagen mit Schlüsselmerkmalen nach Materialzusammensetzung und technischer Herangehensweise. Wobei überrascht, wie gut selbst 70-jährige Arbeiten aus Pappe, Karton oder Holzresten heute noch erhalten sind. Kategorien wie „Behälter“, Verwendung von „Sprühfarbe“, „zerrissene Papiere“, „weggeworfene Materialien“ und „Gebrauchsgegenstände“ laden Besucher und Besucherinnen dazu ein, das kreativem Potenzial dieser Künstlerin zu entdecken, das sie aus Alltagsresten entwickelten konnte. Denn ihre Art zu denken, so unterstrich Louise Nevelson selbst, sei eine Art Collage.

In Castelfranco Veneto schließlich dreht es sich in einer kleinen intimen Begegnung mit der Künstlerin um die Skulptur „Black Secret Wall“ aus 24 Holzkisten. Dazu werden einige Collagen aus der Zeit von 1950 bis 1980 gezeigt.

Ausstellungen:

Out of Order. I collages di Louise Nevelson. Galleria Giò Marconi, Milano. Bis 29.7. Di-Sa 11-19 Uhr. Info hier 

 Black Secret Wall. Ca’Amata, Castelfanco Veneto. Bis 10.9. Nur nach Anmeldung über die Schweizer Galerie Allegra Rivizza (Tel. +41(0)789760926 . Info hier 

 Persistence. Procuratie Vecchie, Venedig. Bis 11.9. Di-So 10-18 Uhr. Info hier. Und hier zu einem Video.

Das Buch: Out of Order. The Collages of Louise Nevelson. Hrsg. Yuval Etgar. Mit Beiträgen von Yuval Etgar und Pia Gottschaller sowie einem Gespräch von Giò Marconi mit Maria Nevelson. Fondazione Marconi / Mousse Publishing, Mailand 2022. 568 Seiten, 45 Euro