Die Welten des Marco Polo, der vor 700 Jahren bei einer Jahrzehnte langen Reise China und Europa näher brachte, in einer Ausstellung des Palazzo Ducale von Venedig. Im friedlichen Austausch, im Geben und Teilhaben suchte Marco Polo die Erfüllung eines Weltbilds, das bis heute, 700 Jahre nach dem Tod des Venezianers, nichts von seiner utopischen Kraft verloren hat
Venedig – Ohne China geht nichts. Die wirtschaftliche Großmacht ist trotz politischer Widersprüche und seiner Probleme mit Menschenrechten aus den europäischen Handelsbeziehungen nicht wegzudenken. Zudem gewinnt Peking geopolitisch immer mehr an Bedeutung. Dass dabei die Beziehungen zum „Reich der Mitte“ und dem euroasiatischen Raum eine Tradition haben, die weit vor die Entdeckung Amerikas zurückgehen, zeigt die Ausstellung „I Mondi di Marco Polo“ (Die Welten des Marco Polo). Miit mehr als 300 Exponaten ist sie bis Ende September im Palazzo Ducale von Venedig zu sehen ist.
Der Kaufmannssohn Marco Polo wurde 1254 in Venedig geboren und starb vor 700 Jahren als wohlhabender wenn auch nicht hochrangiger Patrizier, den ein zeitgenössisches Dokument als „nobilis vir(adeligen Mann) Marchus Paulo Milioni“ bezeichnet. Marco war 15 Jahre alt, als sein Vater Niccolò und sein Onkel Matteo von einer ersten, neunjährigen Asienreise zurückkehrten, die sie nach Peking (damals Khanbaliq) an den Hof des Mongolenherrschers Kublai Khan, Enkel des Dschingis Khan und Begründer der Yuan-Dynastie geführt hatte. Zwei Jahre später, 1271, brachen sie erneut auf. Sie wollten friedlich Handel u. a. mit Stoffen, Gewürzen oder Edelsteinen treiben und verstanden sich zugleich als Botschafter der christlichen Welt. Diesmal war der junge Marco dabei.
Eine 25 Jahre lange Reise
Die Reise, die er in seinem Buch „il Milione“ beschreibt, sollte 25 Jahre dauern. Wobei besonders Marco die Gunst des Kublai Khan (1215-1294) gewinnen konnte, für den er jahrelang als eine Art Präfekt Expeditionen bis in den indischen Raum hinein unternahm. Er lernte ein Reich kennen, das nicht streng zentral regiert wurde, sondern als Föderation zusammen hielt. Es durchlief gerade während der Reisen der drei venezianischen Kaufleute eine (relative) Friedensperiode, was deren Erfolg und die schließlich glückliche Heimkehr vermutlich erst ermöglichte.
Die Stationen der Reise ausgehend von Venedig durch den gesamten eurasischen Kontinent über Kleinasien, Armenien, Iran und Irak, Afghanistan, Zentralasien und China bis nach Indien sind auch Stationen der Ausstellung in 12 Räumen. Wobei die Kuratoren sich dokumentarisch möglichst eng an Exponate der Zeit halten. Sie führen uns in fremde, manchmal strenge, manchmal fantasievolle Welten voller Stoffe oder Keramiken, Instrumente oder Objekte. Von armenischen Bronzekreuzen und Weihwasserbehälter zu weiblichen Göttinnen des Buddhismus (Guanyin) und hinduistischen Shiva-Skulpturen, von iranischen Miniaturen und Geweben zu chinesischen Schmuckstücken wie zu Siegeln und Gewichten. Alltagsgegenstände entpuppen sich erst beim zweiten Blick als solche wie eine Silbertasse in Kürbisform aus der Yuan-Dynastie. Fremd thront eine Tigerskulptur aus Südchina (12./13. Jahrhundert), verspielt gibt sich ein Wandteppich mit Ente und Einhorn etwas später. Man hätte sich auf dieser Zeitreise jedoch eine bessere Ausleuchtung der Exponate gewünscht. Und auch die Beschriftungen sind oft nicht gerade lesefreundlich gestaltet.
Der Reisebericht – im Gefängnis entstanden
Eine besondere Rolle spielt natürlich der Reisebericht, der bis heute die Erinnerung an Marco Polo wach hält. Der Venezianer schrieb ihn im Gefängnis, als er bei einem Scharmützel zwischen Schiffen Venedigs und Genuas festgenommen wurde und 1298/99 mehrere Monate in den Palazzo San Giorgio von Genua eingesperrt worden war. Nach einem Friedensschluss durfte er schließlich wieder nach Venedig zurückkehren. Genauer gesagt diktierte er seine Erinnerungen einem Mithäftling, einem zeitgenössischen Autor von Ritterromanen.
Die ersten Manuskripte sind verschollen, belegt ist nur, dass Marco Polo eine Kopie an den französischen Regenten Karl I. von Valois schicken ließen. Unter dem Titel „Le Devisement dou Monde“ (Die Aufteilung der Welt) oder „Le livre des merveilles du monde“ (Das Buch der Wunder der Welt) entstanden hunderte handschriftliche Abschriften, bis dann in verschiedenen Sprachen Druckfassungen erschienen. Ausgestellt wird in Venedig u. a. die deutsche Übersetzung „Das Puch des edlen Ritters und Landtfarers Marcho Polo“ (bei Creusssner in Nürnberg 1477).
Obgleich Marco und seine Verwandten nicht die ersten Europäer waren, die China erreichten und ihnen bald andere nachfolgten, bildeten doch diese Aufzeichnungen eine Quelle für Reisende wie etwa Kolumbus (der ja Indien entdecken wollte). Auch führten die Beschreibungen zu Kartografien wie der riesigen Weltkarte des venezianischen Mönches Fra Mauro (um 1450), die als Faksimile in Originalgröße (230 x 230 cm) gezeigt wird. Eine Karte, bei der die Welt unserem Verständnis nach sprichwörtlich auf den Kopf gestellt wird. Der inzwischen geläufige italienische Originaltitel „Il Milione“ des Reiseberichts bezieht sich vermutlich auf den Namenszusatz, den die Familie Polo angeblich schon zu Zeiten von Marcos Vater Niccolò trug.
Von Marco Polo zu Italo Calvino
Das Buch hatte nicht nur spätere Handelsleute, Kartografen oder Historiker interessiert, sondern auch Literaten fasziniert. Jules Verne lieferte zum Beispiel eine Nacherzählung. Eine großartige Auseinandersetzung gelang Italo Calvino mit seinem Band „Le città invisibili“ (auf Deutsch „Die unsichtbaren Städte“, Fischer Taschenbuch 2017). Mit einem imaginäreren Dialog zwischen Marco und dem Kublai Khan entsteht ein Kosmos traumartiger Geschichten über Fantasiestädte im Reich des Herrschers wie über die Angst und Sehnsüchte ihrer Einwohner. Wobei Marco über den Vergleich der Städte sagt: „Um die Eigenschaften der anderen zu unterscheiden, muss ich von einer Stadt ausgehen, die implizit bleibt. Für mich ist das Venedig.“ Er benutzt, das ist die These von Italo Calvino, Venedig als Maßstab, sucht die Heimat in der Fremde.
Gleich zu Beginn der Ausstellung kann man das Testament von Marco Polo aus dem Jahr 1324 lesen. Es zeigt einen Mann, dessen Abenteuergeist sich mit kultureller Neugier verbunden hatte. Seine merkantilen Interessen vermischten sich mit diplomatischem Geschick. Mutig und respektvoll hatte sich Marco Polo auf seiner Reise der Fremde und den Fremden geöffnet – und wurde als Fremder respektiert. Im friedlichen Austausch, im Geben und Teilhaben suchte er die Erfüllung eines Weltbilds, das bis heute, 700 Jahre nach dem Tod des Venezianers, nichts von seiner utopischen Kraft verloren hat.
I Mondi di Marco Polo. Il viaggio di un mercante veneziano del Duecento (Die Welten von Marco Polo. Die Reise eines venezianischen Kaufmanns des 13. Jahrhunderts). Venedig, Palazzo Ducale, Appartamento del Doge. Bis 29. September 2024, Mo bis Fr 9 -19 Uhr, Sa und So 9 – 23 Uhr. Eintritt 13 Euro. Kuratiert von Giovanni Curatola und Chiara Squarcina. Katalog italienisch (eine englische Ausgabe ist in Vorbereitung), Magonza Editore, 38 Euro
Der Text ist in gekürzter Form am 3. Juni in der Stuttgarter Zeitung erschienen