DIGITAL ODER PRÄSENT?


Rückgang von Publikumsveranstaltungen bereits vor der Covid-Krise und offen für Neues mit der Pandemie – Untersuchungen des Unternehmerverbandes Federculture und der Bankgruppe Intesa Sanpaolo über das Kulturverhalten der Italiener

© Cluverius

Warten auf Präsenz -Teatro Rossini in Pesaro zur Festivalzeit im August als ein eingeschränktes Programm bei strengen Auflagen – das Orchester nahm im Parkett Platz, die Logen nur halb besetzt – noch möglich war

Mailand – Wie haben die Italiener auf das veränderte Kulturangebot der vergangenen Monate reagiert? Welche Rolle spielen die Kulturfestivals? Und wie wurde Kultur in welchen Sparten in den vergangenen Jahren genutzt? Analysen wurden jetzt in Mailand und Rom vorgestellt. Zusammenfassend kann man feststellen: In Italien sinkt (in den vergangenen zehn Jahren) die Teilnahme an Publikumsveranstaltungen, zugleich steigt die Neugier und Akzeptanz von neuen digitalen Formaten bzw. „hybriden“ (digital/präsent) Veranstaltungen.

Im Rahmen von Milano Bookcity Festival – in diesem Jahr vom 11. bis 15. November mit über 400 Veranstaltungen online – präsentierte die Bankgruppe Intesa Sanpaolo eine von ihr beauftragte demoskopische Untersuchung über den „Kultur-Konsum der Italiener in Covid-19-Zeiten“ (siehe hier). Der Stopp von Präsenzveranstaltungen wird allgemein als Verlust begriffen. 53 Prozent der Befragten haben während der beiden Lockdown-Phasen im Frühjahr und jetzt im Herbst die Chance genutzt, sich mit digitale Formaten (streaming, potcast etc) auseinander zu setzen. Für viele war das eine Entdeckung, positiv wurde gewertet, dass das Angebot meistens gratis war. Gerade für Jugendliche seien digitale Angebot eine neuer Weg, sich mit Kulturthemen zu beschäftigen. Für die Zeit nach der Pandemie wird eine Rückkehr zu Präsenzveranstaltungen erwartet, die aber stärker von digitalen Formaten ergänzt werden sollten als früher.

Die Nöte der Festivals

Parallel dazu wurde die Untersuchung „Effetto festival 2020“  präsentiert. Auf der Basis von 87 Kulturfestivals (60 Prozent davon in den vergangenen 10 Jahren entstanden, 59 Prozent in Norditalien, 62 Prozent weniger als 25.000 Besucher) mussten im laufenden Jahr 17 Prozent ganz abgesagt werden. Von den Durchgeführten nutzten 48 Prozent sowohl digitale Formate als auch Präsenzveranstaltungen (bei eingeschränktem Programm, weniger Publikum und entsprechend geringere Einnahmen), 35 Prozent blieben (außerhalb des strengen Lockdowns durchgeführt) bei reiner Präsenz, 17 Prozent wurden ausschließlich digital veranstaltet. Für die Zukunft wird eine stärke Integration von digitalen Formaten erwartet, doch leben die Festivals von ihren Live-Charakter und basieren auf der Beteiligung von Besuchern aus dem jeweiligen lokalen/regionalem Umfeld.

Die öffentliche Kulturfinanzierung sinkt

In einer in Rom vorgestellten Untersuchung des Unternehmerverbandes Federculture (siehe hier) ging es auch um die kulturelle Entwicklung der vergangenen Jahre. In ihnen ist etwa die Kulturfinanzierung durch die öffentliche Hand um rund 1 Milliarde Euro (von 6,7 Milliarden Euro in 2000 auf 5,7 Milliarden Euro in 2018) gesunken – hauptsächlich wegen geringerer Beteiligung von Regionen, Provinzen und Kommunen. Damit liegt Italien in Europa weit hinten. Der EU-Durchschnitt: 2,5 Prozent der öffentlichen Haushalte für Kultur, Italien: 1,6 Prozent.

Nach einer teilweise beeindruckenden Anstieg der Nutzung von Kulturangeboten im ersten Jahrzehnt zeigen die Jahre von 2010 bis 2019 meistens negative Tendenzen, darunter für Kino (minus 6,1 Prozent Besucher), Theater ( minus 8,8 Prozent) und Musik e/u ( minus 4,9/ minus 4,7 Prozent). Positiv entwickelte sich dagegen der Besuch von Museen ( + 7 Prozent) und archäologische Parks bzw. Monumente ( + 19,7 Prozent).

Für das Covid-Jahr 2020 erwarten 70 Prozent der Kulturunternehmen finanzielle Einbrüche von bis zu 60 Prozent und mehr im Vergleich zum Vorjahr. Nur 22 Prozent können sich für 2021 ein Rückkehr zur Normalität vorstellen.