Vom Kolosseum in Rom zum Hotelbau in Venedig – Debatte um Kulturgüter
Italien diskutiert wieder einmal heftig über den Umgang mit Kulturgütern. Anlass sind unter anderem ein Hotelbau am Canal Grande in Venedig und die mögliche Nutzung des römischen Kolosseums als Veranstaltungsort. Rund 80 Millionen Euro Steuergelder aus einem Sondertopf hat das Kulturministerium jetzt zwischen Aquileia, Pavia und Caserta zur „Valorisierung“, also zur kulturellen und touristischen Nutzung von denkmalgeschützten Einrichtungen verteilt. Der Löwenanteil von 18,5 Millionen Euro fällt dem Kolosseum in Rom zu. Während die antike Arena gerade mit Hilfe von Sponsoren wie Diego Della Valle („Tod’s“) restauriert wird, soll sie anschließend auch Publikumsveranstaltungen offen stehen.
Dafür sollen die Untergeschosse wieder bedeckt werden, die seit den letzten großen Ausgrabungen im späten 19. Jahrhundert offen liegen. Mit suggestiver Beleuchtung will man ihrer Besichtigung einen Erlebnischarakter geben. Und an den Rängen über dem Boden werden Zuschauerplätze entstehen. Musikveranstalter schwärmten in einer ersten Reaktion von Rockkonzerten in der Arena. Der Präsident des AS Roms sah bereits seine Fußballer hier gegen Bayern München oder FC Barcelona antreten. Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler schrien aber entsetzt auf: Wird das römische Kolosseum seiner Kopie in Las Vegas gleich gemacht?
Ach was. Italiens Kulturminister Dario Franceschini winkt ab. Die Kritiker, so Franceschini hätten einen falschen Begriff von „Valorisierung“, was sie mit „Entwürdigung“ verwechselten. Es wird keine Rockkonzerte geben und Fußball schon gar nicht. Platz sei nur für wenige hundert Zuschauer in einer unter den kritischen Augen der Denkmalschützer schnell auf- und abbaubaren Struktur geplant. Eine kleine Arena, ein „Kolosseum light“ sozusagen. Und übers Programm – Schauspiel, klassische Musik oder Jazz – wird ein künstlerischer Leiter entscheiden. Ähnliches soll bereits im kommenden Jahr in dem antiken Theater von Pompeji über die Bühne gehen. In Rom will man in drei bis vier Jahren so weit sein. Dem Minister gefällt die Idee, dass wieder Leben in die alten Spielstätten kommt. Und mit den Einnahmen etwa der Fernsehübertragungen könnte man weniger bekannte Altertümer erhalten.
Ein grell weißer Betonklotz
Aber braucht es wirklich ein „Kolosseum light“ in der antiken Arena? Einer der Kritiker ist der Kulturwissenschaftler Salvatore Settis. Der 74jährige Archäologe und Kunsthistoriker fragt, ob sechs Millionen Menschen, die im Jahr das Kolosseum besuchen – in diesem Jahr rechnet man mit Einnahmen von 50 Millionen Euro – nicht Leben genug seien? Der Plan, im Kolosseum TV-Produktionen mit Zuschauern abzuhalten, verstärke nur die weit-verbreitete Überzeugung, Altertümer seien heute allein nützlich, wenn man darin Spektakel veranstalten könne. In Italien verliere man immer mehr den Sinn dafür, dass Pflege und Erhalt der Kulturgüter an erster Stelle der staatlichen Kulturpolitik stehen müsste – und nicht deren zweifelhafte „Valorisierung“. Andernfalls, so Settis in einem Interview mit der Tageszeitung la Repubblica, erhalte man nur wenige symbolische Einrichtungen. Und nicht die Vielfalt, die den wahren Reichtum des Landes ausmachte.
Salvatore Settis gehört auch zu den Kritikern eines Neubaus in Venedig direkt am Canal Grande. Hier geht es um Pflege und Erhalt des weltbekannten feingliedrigen Stadtbildes. Besucher reiben sich seit ein paar Tagen die Augen, wenn sie von der Piazzale Roma aus in die einmalige Atmosphäre der Lagunenstadt eintauchen wollen und die Linienboote am Canal Grande besteigen. Denn neben dem ehrwürdigen Hotel Santa Chiara ist ein eckiger Erweiterungsbau entstanden, ein grell weißer Betonklotz. Auf der Rückseite zum Busbahnhof an der Piazza könnte man so etwas noch hinnehmen.
Aber an der Uferfront ist das für viele ein Schlag ins Auge. Und das mit Genehmigung der Denkmalschützer und der Gemeinde. Eine „Schande für Venedig, die Venezianer und alle, die die Lagunenstadt lieben“, kommentiert Settis. Ein „Monstrum“ nennt der Corriere della Sera den Klotz. Der steht am Ende einer jahrzehntelangen, verwickelten Baugeschichte, denn erste Anträge auf Erweiterung des Hotels gab es bereits in den 1950er Jahren. Ein unheilvolles Gemisch von Schachereien mit Grundstücken, verschleppten juristischen Streitigkeiten und dem stillschweigenden Einverständnis der Denkmalschützer hat schließlich zu diesem Ergebnis geführt.
Da scheint es ins Bild zu passen, dass das Kulturministerium, die Stellen von Wissenschaftlern in den Ämtern, die für die Überwachung und Pflege des künstlerischen, archi-tektonischen und landschaftlichen Erbes zuständig sind, gerade wieder verringert hat. Denn dafür ist kein Geld da. Armes Italien.