EINE LOGE IM WELTTHEATER


Die Mailänder Museums-Wohnung Bagatti Valsecchi und ihre Einrichtungen im Stil der Neorenaissance suchen den Dialog mit der Sammlung Gastaldi Rotelli. Dazu Anmerkungen von Walter Benjamin

© Museo Bagatti Valsecchi, Milano

Santa Giustina (Ausschnitt), Gemälde von Giovanni Bellini in der Camera Rossa des Museo Bagatti Valsecchi

 Mailand (bis 12.3.2023) – Die eigene herrschaftliche Wohnung zu einer Art Gesamtkunstwerk zu machen, das war der Traum der Brüder Bagatti Valsecchi aus einer wohlhabenden Familie des Mailänder Stadtadels, den sie an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Wirklichkeit werden ließen. Fausto (1843-1914) und Giuseppe (1845-1934) rekonstruierten die Innenräume ihres Familienpalastes im historistisch Stil der Neorenaissance und richteten sie mit Kunst- und Gebrauchsgegenständen vornehmlich aus dem 15. und 16. Jahrhundert ein: darunter Gemälde (etwa von Giovanni Bellini oder Bernardo Zenale) und Möbel, Tapisserien und Schmuckarbeiten, wissenschaftliche Geräte und Waffen. Mit der Generation der Enkel öffneten sich die Privaträume dann 1994 zu einem Museum. In den Räumen dieses Museo Bagatti Valsecchi und im Dialog zu seinen Einrichtungsgegenständen werden gerade rund 50 Exponate aus der privaten Sammlung Gastaldi Rotelli mit Gemälden aus Früh- und Spätbarock gezeigt.

© Museo Bagatti Valsecchi Katalog Gastaldi Rotelli

„L’incontro al pozzo“, Gemmälde der Sammlung Gastaldi Rotelli von Giacomo Antonio Ceruti („Il Pitocchetto“) um 1750

Die Unternehmerfamilie Giuseppe Rotelli und Gilda Gastaldi hatte ihre Sammeltätigkeit besonders auf Künstler aus der Lombardei bzw. Venetien des 17. und 18. Jahrhunderts konzentriert. In der von Antonio D’Amico zusammen mit Maria Silvia Proni kuratierten Ausstellung sind bemerkenswerte Arbeiten u.a. von Giulio Cesare Procaccini, Francesco Guardi oder Sebastiano Ricci zu sehen. Neben religiösen Motiven, Naturdarstellungen, Landschaften und Städte-Capricci wechseln Alltagsszenen (Giacomo Ceruti u.a.) mit sinnlichen Darstellungen etwa einer Maddalena von Francesco Cairo. Neugierig machen Genrebilder eines Jakob Frances Zipper (Feldkirch 1664 – Mailand 1736). Zipper (italianisiert in Cipper) tritt mit dem Beinamen „Il Todeschini“ (der Deutsche) auf. Die Museumsräume sind sicherlich nicht leicht zu bespielen, doch hätte man sich eine bessere Lichtregie für die sonst gelungene Ausstellung gewünscht.

© Museo Bagatti Valsecchi Katalog

„Maddalena portata in cielo dagli angeli“, Gemälde aus der Sammlung Gastaldi Rotelli von Francesco Cairo um 1650

Nach dem Tod ihres Ehemanns Giuseppe Rotelli (Gründer der privaten Krankenhausholding Gruppo San Donato GSD) im Jahr 2013 hat Gilda Gastaldi die Leitung der Fondazione San Donato übernommen, in der die Familiensammlung aufgegangen ist. Sie hofft jetzt im Gebäude eines ehemaligen Mailänder GSD-Krankenhaushaus ein eigenes Museum einrichten zu können. Die Ausstellung im Museo Bagatti Valsecchi ist wohl auch ein Versuch, die Sammlung stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen.

© Museo Bagatti Valsecchi

Decke der Bibliothek in den herrschaftlichen Wohnräumen der Brüder Bagatti Valsecchi

Ein Aufsatz von Cristina Muccioli im Katalog (Sagep, Genua), der die Sammlertätigkeiten von Gastaldi Rotelli und den Brüdern Bagatti Valsecchi vergleicht, trägt den Titel „Abitare significa lasciare impronte“ und verweist damit auf eine Diktum von Walter Benjamin im Passagen-Werk: „Wohnen heißt Spuren hinterlassen.“ Der Katalog zitiert auch einen Abschnitts aus Benjamins berühmten Kapitel Louis-Philippe oder das Interieur, in dem es u.a. heißt: „Der Sammler träumt sich nicht nur in eine ferne oder vergangene Welt, sondern zugleich in eine bessere“, in der die Dinge „von der Fron frei sind, nützlich zu sein.“

© Museo Bagatti Valsecchi/Ruggero Longoni

Speisesaal

Die Absicht der Brüder Bagatti Valsecchi war es allerdings nicht, wie Giuseppe Bagatti Valsecchi einmal unterstrichen hat „ein Museum oder eine Kollektion zu schaffen, sondern eine Herrschaftswohnung aus der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts nachzubilden und hier die verschiedensten Gegenstände aus dem XV. und XVI. Jahrhundert unterzubringen.“  Nach Walter Benjamin tritt für den „Privatmann“  im 19. Jahrhundert erstmals „der Lebensraum im Gegensatz zur Arbeitsstätte“. Ein Lebensraum, der sich im „Interieur“ konstituiere. Der Privatmann, so Benjamin, verlange „vom Interieur in seinen Illusionen unterhalten zu werden.“ Das Interieur stelle „für den Privatmann das Universum dar. In ihm versammelt er die Ferne und die Vergangenheit. Sein Salon ist eine Loge im Welttheater.“

 Eine Loge im Welttheater: lässt sich eine bessere Beschreibung für das auf seine Art faszinierende Museo Bagatti Valsecchi finden?

 

 La Seduzione del Bello. Capolavori segreti tra `600 e `700. Museo Bagatti Valsecchi, Mailand. Bis 12.3.2023. Mi 13-16 Uhr, Do/Fr 13-17.45 Uhr, Sa/So 10-17.45 Uhr. Eintritt 12 Euro. Katalog (Sagep, Genua) 28 Euro. Info: museobagattivalsecchi.org

 Hier ein TV-Bericht der RAI Lombardia