Mit dem Dialogbuch „Erklär mir Italien!“ kann man zwar nicht Italien verstehen lernen, lernt aber Roberto Saviano besser kennen.
Mailand – Man kann ein Land geographisch beschreiben, mit Hilfe von Daten lassen sich Gesellschaft und Wirtschaft analysieren, Prozesse in Politik und Kultur erkennen. Aber man kann kein Land „erklären“, Deutschland nicht und Italien schon gar nicht, in dem die regionalen Unterschiede größer sind als in jedem anderen westeuropäischen Land. Die Aufforderung im Buchtitel „Erklär mir Italien!“, zu der Giovanni di Lorenzo und Roberto Saviano einen munteren Dialog geführt haben, ist in diesem Sinne auch gar nicht als intellektuelle Aufforderung ernst gemeint. Sie entspricht eher einer Plauderstimmung, wie man sie zum Abschluss von einem guten Mittagessen, bei Diskussionen in der Bar oder ebenso bei Talkshows erleben kann.
Und Plaudern können die Autoren aufs Beste. Beide von einer gewissen Distanz aus. Der Deutschitaliener Giovanni di Lorenzo (geboren 1959), der höchst erfolgreich als Journalist nördlich der Alpen lebt und zurzeit Chefredakteur der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ ist. Der Schriftsteller Roberto Saviano (geboren 1979), der seit 12 Jahren, seit Erscheinen seines Antimafia Buchs „Gomorrha“ wegen Morddrohungen sich in Italien nur noch bei laufend wechselnden Wohnsitzen unter Polizeischutz bewegen kann und deshalb die meiste Zeit des Jahres im Ausland, in den USA lebt.
Das moderne Italien kommt nicht vor
Ein gewisser Abstand zum Gegenstand einer Auseinandersetzung ist oft hilfreich. Wenn man das Buch zudem als journalistische Plauderei versteht, kann man durchaus seinen Spaß an diesem Wortwechsel kreuz und quer durch Fragen der Gesellschaft und der Politik in Italien haben. Über Familie und Mütter wird geredet, über Gesetze und Regeln, Faschismus und Kommunismus, Flüchtlinge und Lobbyisten, Kirche und Mafia – und natürlich auch über Berlusconi. Roberto Saviano, als Experte zu Problematiken der neapolitanischen Mafia, unumstritten, zieht sich aber in vielen Fragen auf Allgemeinplätze, theoretische Ansätze oder auf seine Erfahrungen in Neapel zurück.
Das moderne Italien zwischen Trento, Mailand und Bologna, zwischen Turin, Venedig und Triest kommt in Savianos Denken nicht vor. Fragen der Umwelt, der Kultur, der Wissenschaft werden nicht oder nur am Rande berührt. Manchmal hat man das Gefühl, er kenne Italien nur vom Hörensagen.
Starke Seiten
Das Buch hat aber auch starke Seiten. Zum Beispiel wenn Saviano – und ebenso di Lorenzo – persönlich werden, Jugenderlebnisse durchscheinen lassen. Oder wenn besonders bei dem immer noch von der Camorra verfolgten Schriftsteller aus Neapel die Lebens- und Arbeitsbedingungen deutlich werden. Oder wenn er über libertäre Anarchisten redet und Malatesta seinen „Lehrmeister“ nennt.
Vielleicht führt der Titel in die Irre. Jemand könnte glauben, mit diesem Buch Italien besser zu verstehen. Aber vor allem lernt man Roberto Saviano – und auch Giovanni di Lorenzo – besser kennen. Was ja ein Gewinn sein kann.
Roberto Saviano / Giovanni di Lorenzo: Erklär mir Italien! Wie kann man ein Land lieben, das einen zur Verzweiflung treibt? Übersetzung Sabina Kienlechner. Kiepenheuer & Witsch, Köln. 272 Seiten, 20 Euro